Umweltdesaster in Afrika
600 000 im Westen flüchten vor Flutwelle
Von Marc Engelhardt, Nairobi *
In Afrika leiden Millionen Menschen unter extremen Wetterereignissen. Während im Westen
ungekannte Regenfälle und Überschwemmungen gemeldet werden, hat in Ostafrika eine Dürre
Millionen in der Gewalt.
Der Regen fiel stark wie selten in Agadez, der Saharametropole im Norden Nigers. Und doch
erkannten Tausende, die in trockengefallenen Wasserläufen ihr notdürftiges Obdach errichtet hatten,
das Ausmaß der Katastrophe erst, als Flutwellen ihre Hütten in Stücke rissen. »Agadez ist in den
vergangenen Jahren stark gewachsen, die Leute wussten nicht, wo sie sich da angesiedelt hatten«,
erläutert der Soziologe Issouf Bayard. »Es sind die Neuankömmlinge und die Ärmsten, die sich ihre
Hütten in den Flussbetten gebaut haben, die fast immer trocken liegen.« Bewohner sprechen von
dutzenden Toten. »Es ist das schlimmste Unwetter, an das ich mich erinnern kann«, sagt
Bürgermeister Hamma Dilla. Der Aufenthaltsort Tausender, die in der Umgebung leben und vor den
Fluten geflohen sind, ist unbekannt. Die Regierung hat eine Rettungsaktion angekündigt.
Fast 600 000 Menschen in 16 Staaten, bilanziert die UN-Koordination für Humanitäre Hilfe (OCHA)
in Senegals Hauptstadt Dakar, sind wegen der heftigen Regenfälle obdachlos geworden, sind auf
der Flucht oder von der Außenwelt abgeschnitten. Allein in Senegal sind demnach 264 000
Bewohner betroffen, in Burkina Faso 150 000. In Ghana, Benin, Guinea, Gambia und Mauretanien
ist die Lage ähnlich schlimm. Die Zahl der Toten soll die 50 bereits weit überschritten haben, doch
gesicherte Zahlen gibt es nicht.
In Ouagadougou etwa, Hauptstadt von Burkina Faso, fiel an einem einzigen Tag so viel Regen wie
sonst in einem Jahr. Mehr als 110 000 Bewohner kampieren in Kirchen, Sporthallen und anderen
Notunterkünften. Das größte Krankenhaus des Landes musste teilevakuiert werden. »Immer mehr
Häuser brechen zusammen«, warnt Burkina Fasos Sozialministerin Pascaline Tamini. »Derzeit
arbeiten wir mit aller Macht daran, Notrationen bereitzustellen und Wasser- und Abwassersysteme in
Gang zu halten.« Präsident Blaise Compaoré war nach einem Besuch der Flutgebiete so entsetzt,
dass er ankündigte, seine Regierung werde für einen Monat auf Gehälter verzichten und das Geld
für die Flutopfer spenden. Zusammen mit Spenden von Abgeordneten sollen anderthalb Millionen
Euro zusammenkommen.
Niemand zweifelt daran, dass hinter den Wetterextremen der globale Klimawandel steckt. Während
Westafrika in schweren Regenfällen versinkt, leidet der Osten Afrikas unter der schlimmsten Dürre
seit Jahren. In Kenia etwa hat es vielerorts schon seit drei Jahren nicht mehr geregnet. »Früher
hatte ich 150 Kühe, davon haben sieben überlebt«, klagt der alte, auf einem Auge erblindete
Massaihirte Tanchu Karawuo in der staubigen Ebene zwischen Kenias Hauptstadt Nairobi und der
tansanischen Grenze. Alle anderen Bewohner seines Dorfes sind bereits abgewandert. »Vergangene Woche ist eine Kuh verdurstet, und ein Kälbchen wird es wohl auch nicht mehr lange
machen.« Minuten später bricht das Kalb vor unseren Augen zusammen.
Die meisten Brunnen im Kajiado-Distrikt, einer der am schwersten von der Dürre betroffenen
Regionen, sind ausgetrocknet. Wer Wasser braucht, muss oft einen Tagesmarsch zu wenigen
Wasserlöchern auf sich nehmen, in denen noch brackiges Wasser steht. Staatliche Hilfe, klagen die
Bewohner auf dem Land, gibt es kaum. Die Regierung hat bereits andere Sorgen: Ein Sprecher
teilte am Dienstag mit, man habe Ingenieure und Ärzteteams ins Land entsandt, um sich auf
Überschwemmungen vorzubereiten, die in wenigen Wochen mit Beginn des El-Niño-Phänomens
erwartet werden. Dass der Boden vielerorts völlig ausgetrocknet ist und kein Wasser mehr
aufnehmen kann, macht die Gefahr von Flutwellen besonders groß. Außerdem befürchten die
Behörden eine Ausbreitung von Malariaerkrankungen und Cholera.
* Aus: Neues Deutshcland, 10. September 2009
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