Afrikanische Staaten stehen in der Kritik
Regierungen halten sich mit Finanzzusagen zurück, die Menschen zeigen sich solidarisch
Von Marc Engelhardt, Nairobi *
In Afrika wächst der öffentliche Druck auf die Regierungen, die Opfer von Dürre und Gewalt am Horn
von Afrika stärker zu unterstützen. Bei der Geberkonferenz der Afrikanischen Union in der
äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba sollen feste Zusagen auf den Tisch kommen.
Mit ihren klimpernden Büchsen stehen Mary, Jennifer und John etwas verloren im größten
Einkaufszentrum der kenianischen Hauptstadt Nairobi. Halb voll ist seine Büchse schon, sagt der
elfjährige Schuljunge. Sobald sie voll ist, bringt John das Geld zur Initiative »Kenianer helfen
Kenianern« – so wie die Büchsen von hunderten anderen. Laut kenianischem Roten Kreuz, das die
Initiative mit ins Leben gerufen hat, sind in kaum mehr als zwei Wochen schon mehr als drei
Millionen US-Dollar zusammengekommen. Selbst arme Kenianer spenden, so viel sie können, um
den hungernden Landsleuten im Norden zu helfen. »Jeder muss einen Beitrag leisten«, sagt die
zehnjährige Mary. Sie opfert fürs Spendensammeln ihre Schulferien. »Das ist mein Beitrag.« Die
zwei Jahre ältere Jennifer nickt. »Ich frage mich nur, warum unsere Regierung nichts tut – was wir
können, müssen die doch schon lange können.«
Viele Kenianer schämen sich, dass im reichsten Land Ostafrikas Menschen Hungers sterben. Doch
zur Scham gesellt sich immer öfter auch Wut. »Die Hungernden leben unter unakzeptablen
Bedingungen«, sagt Kenias Rot-Kreuz-Chef Abbas Gullet. »Als eine Nation, die seit einem halben
Jahrhundert unabhängig ist, können wir darauf, was sich derzeit abspielt, wirklich nicht stolz sein.«
Und Kenia steht nicht alleine da. Von allen afrikanischen Staaten haben bislang nur vier Hilfen für
die Dürreopfer am Horn von Afrika zugesagt, ärgert sich Irungu Houghton von der Hilfsorganisation
Oxfam. »Länder wie Nigeria, Südafrika oder Algerien sollten problemlos mindestens sechs Millionen
US-Dollar Hilfen aufbringen können«, glaubt Houghton.
Südafrika hat bislang eine Million Dollar zugesagt – mehr als jeder andere Staat in Afrika.
»Kenianische Bürger haben in nur zwei Wochen fast das Dreifache gesammelt«, sagt Houghton.
»Südafrika sollte eine Vorreiterrolle spielen, damit auch andere ausreichend Hilfe leisten.« 50
Millionen Dollar aus afrikanischen Staatskassen fordert Oxfam-Afrikadirektor Houghton. Wenn die
bis zum Gipfel der Afrikanischen Union am heutigen Donnerstag nicht zusammenkommen, will er die
knausrigen Regierungschefs öffentlich anprangern.
Auch viele Künstler unterstützen die Kampagne »Africans Act for Africa«, was so viel heißt wie
»Afrikaner, tut etwas für Afrika«. Der über Kenias Grenzen hinaus bekannte Rapper Nameless etwa
wirbt im Internet auf YouTube und Facebook für ein stärkeres Engagement der afrikanischen
Regierungen. Und die kenianische Sängerin Sara Mitaru fordert: »Wir müssen es endlich
hinbekommen, dass Afrika sich selbst mit Nahrungsmitteln versorgt. Nur dann ist unser Kontinent
wirklich unabhängig.« Wie viele Kenianer, so wirft auch Mitaru der kenianischen Regierung schwere
Fehler vor. »Diese Krise war vorhersehbar«, sagt sie. »Wenn die Regierung ihren Job gemacht hätte, müsste heute niemand hungern und erst recht nicht sterben.«
Rot-Kreuz-Chef Abbas Gullet teilt die Einschätzung der Künstlerin. Im Januar forderte er die
Regierung auf, sich auf einen Notstand vorzubereiten. Doch die winkte ab – die Nachricht war zu
unpopulär. Zwei Minister haben sogar gesagt: »Es gibt genug zu essen in Kenia, niemand wird
hungern müssen.« Nur wenige Monate später mussten auch sie einräumen, Unrecht gehabt zu
haben.
Die Vorwürfe gehen jedoch darüber hinaus. Nicht wenige Kenianer glauben, dass einige Politiker
vom Hunger profitieren, weil sie Teil der Maismafia sind, die den Preis für das Hauptnahrungsmittel
im Land künstlich hoch hält. Belege dafür gibt es freilich nicht, auch wenn in der Vergangenheit
ähnliche Skandale aufgedeckt wurden. Das Vorkommen der Kartelle jedenfalls bestätigt Wolfgang
Fengler, Chefökonom der Weltbank in Kenia. »Eine kleine Gruppe von Maisfarmern dominiert das
System und profitiert von den hohen Preisen«, sagt Fengler. »Die breite Masse leidet darunter, hat
aber nicht die politische Macht, Änderungen herbeizuführen.«
* Aus: Neues Deutschland, 25. August 2011
Die Hilfe muss fortgesetzt werden
Manfred Bischofberger: Auch Regenfälle können die Existenzgrundlage nicht ersetzen **
Manfred Bischofberger ist Regionalkoordinator der Welthungerhilfe in Äthiopien. Die Welthungerhilfe unterstützt dort und auch im benachbarten Somaliland, das sich 1991 von Somalia abgespalten hat, Projekte zur ländlichen Entwicklung, die die Ernährungssicherheit verbessern helfen. Über die gegenwärtige Hungersnot am Horn von Afrika sprach mit ihm für das "Neue Deutschland" (ND) Martin Ling.
ND: Ein Ende der Hungerkrise am Horn von Nordafrika ist nicht in Sicht. Wie stellt sich die Lage in Äthiopien derzeit dar?
Bischofberger: Am stärksten von der Hungersnot betroffen sind der Osten und der Süden des Landes. Dort erwarten wir frühestens im September/Oktober Regenfälle, wenn sie nicht wieder ausbleiben. Auch wenn Regen fällt, wird davon ausgegangen, dass die akute Notlage zumindest bis zum Jahresende anhält. Mit Regenfällen würde sich zwar die Wasserversorgung für die Menschen verbessern, doch andere Existenzgrundlagen fehlten weiterhin.
Die Menschen leben von der Viehhaltung, doch die Herden sind wegen der Dürre in der Zwischenzeit stark reduziert. Die Menschen können davon kaum noch Einkommen erzielen, und ausreichend Produkte für den Selbstverbrauch – wie Milch – fallen auch nicht an. Mehr als Entspannung würden selbst Regenfälle nicht bringen, denn die Lebensgrundlage der Menschen ist weggebrochen.
Was für Äthiopien gilt, gilt so auch für Kenia und Somalia?
Ja, im Großen und Ganzen trifft das so auch für die Nachbarländer zu. Somalia ist noch mal ein Sonderfall, weil dort durch den jahrelangen Bürgerkrieg die Strukturen im Land nicht funktionieren. Für alle drei Länder gilt jedoch: Die Menschen sind weiter auf Hilfsgüter und vor allem Nahrungsmittel angewiesen, und das wird auf Monate so bleiben. Danach stellt sich dann die Frage, wie man die Lebensgrundlage der Menschen wieder herstellen kann, wie die Viehherden wieder aufgebaut und die Wasserversorgung gesichert werden können.
In Bezug auf die Dürre ist immer von Somalia, Kenia und Äthiopien die Rede. Was ist mit Somaliland, das sich 1991 von Somalia abgespalten hat und seitdem eine relativ friedliche und prosperierende Entwicklung genommen hat?
Die Welthungerhilfe ist in Somaliland tätig, wir betreuen Somaliland hier von Addis Abeba aus. Wir unterhalten dort gegenwärtig ein Projekt im Bereich Ernährungssicherung. Da geht es um landwirtschaftliche Maßnahmen, um Trinkwasserbereitstellung, um veterinärmedizinische Maßnahmen und Erwachsenenbildung. Wir arbeiten dort seit mehr als zehn Jahren und es funktioniert recht reibungslos. In Somaliland herrscht akut keine Hungersnot. Es sind dort auch einigermaßen regelmäßig Niederschläge gefallen. Die Situation ist mit der in Somalia nicht annähernd zu vergleichen. Die staatlichen Strukturen sind zwar rudimentär, aber sie funktionieren auf einem bescheidenen Niveau. Konflikte werden intern gelöst. Auf Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft wartet Somaliland freilich immer noch.
Wie läuft bei der Hilfe die Kooperation mit den Behörden? In einer ARD-Fernsehreportage war von schleppenden Genehmigungen für ausländische Ärzte in Äthiopien die Rede.
Die Zusammenarbeit mit der Regierung funktioniert im Moment ziemlich reibungsfrei. Die Regierung unternimmt auch selber Maßnahmen, um den Bedürftigen zu helfen. Das heißt, es gibt im Moment einen Mix von verschiedenen Akteuren, die Hilfe leisten. Die internationale Gemeinschaft vor allem durch das Welternährungsprogramm (WFP), die Nicht-Regierungsorganisationen (NRO) wie wir und auch die lokalen Regierungen. Die äthiopische Regierung ist im Großen und Ganzen sehr hilfsbereit, notwendige Formalitäten zu erledigen. Der Bedarf ist so groß, dass weder die Regierung noch das Welternährungsprogramm noch die NRO das allein stemmen können. Die Herausforderung lässt sich nur gemeinsam anpacken, und das wird gemacht.
Am Donnerstag (25. Aug.) findet eine Geberkonferenz der Afrikanischen Union statt. Vorab gab es zuweilen Kritik, dass die afrikanischen Regierungen sich über Gebühr mit Hilfe zurückhalten. Berechtigt?
Die Kritik halte ich für überzogen. Es gibt auf dem afrikanischen Kontinent nur wenige Länder, die jetzt direkt Hilfe leisten können, weil den meisten die Strukturen und die Logistik dafür fehlen. Nigeria wäre vielleicht ein Ausnahmefall. Die afrikanischen Regierungen müssen sich Gedanken machen, wie sie die strukturellen Probleme in der ländlichen Entwicklung lösen. Was sich jetzt am Horn von Afrika abspielt, kann sich im nächsten Jahr im südlichen Afrika ereignen. Der ganze Kontinent wird im Zuge des Klimawandels häufiger von Naturkatastrophen betroffen sein. Hier helfen nur langfristige strukturelle Veränderungen zur Stärkung der Ernährungssicherheit und -souveränität.
Ist erkennbar, dass die afrikanischen Regierungen nach der allgemeinen Vernachlässigung der ländlichen Entwicklung seit den 80er Jahren inzwischen umschwenken?
Es ist in Ansätzen erkennbar, dass ländliche Entwicklung und landwirtschaftliche Produktion, gerade angesichts steigender Nahrungsmittelpreise, deutlich mehr Aufmerksamkeit erhalten. Bei den finanziellen Zusagen spüren wir das aber noch nicht in dem Maße, wie es notwendig wäre. Hier müssen den Worten noch deutlichere Taten folgen. Der afrikanische Kontinent hat ein riesengroßes Potenzial. Hier besteht auch eine große Chance, dass mit gestiegenen Erzeugerpreisen für die ländliche Bevölkerung neue Einkommens- und Lebensperspektiven entstehen. In Äthiopien hängen zum Beispiel über 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft ab. In der Krise liegt auch eine Chance: Es ist eine ideale Zeit, um dem Agrarsektor viel mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Spendenkonto: 51 51
Bank für Sozialwirtschaft, BLZ: 370 205 00
Stichwort: Ostafrika
www.entwicklung-hilft.de
** Aus: Neues Deutschland, 25. August 2011
Rotes Kreuz: Priorität für Somalia
Entwicklungsstrategie ist Voraussetzung für Frieden im Bürgerkriegsland ***
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat gefordert, das Krisenland Somalia zur internationalen Priorität zu machen.
Nur wenn Somalia internationale Priorität habe, werde das
Bürgerkriegsland dem Zyklus aus Gewalt und Hunger entkommen, sagte der IKRK-Präsident Jakob
Kellenberger in einem Interview mit der Schweizer Wochenzeitung »Der Sonntag«. Die
Voraussetzung für Frieden in Somalia, wo die Menschen seit Jahren inmitten eines Konflikts ohne
staatliche Infrastruktur lebten, sei eine Entwicklungsstrategie.
Das IKRK hatte Anfang August die Weltgemeinschaft um mehr als hundert Millionen Euro gebeten,
um in den kommenden drei Monaten im Zentrum und Süden Somalias 1,1 Millionen Menschen
versorgen zu können, die infolge einer schweren Dürre von einer Hungersnot bedroht sind. Nach
Angaben Kellenbergers versorgte das Rote Kreuz in den »vergangenen Wochen« 160 000
Menschen in von der islamistischen Shabab-Miliz kontrollierten Regionen mit Nahrung.
Die Präsidentin der Welthungerhilfe, Bärbel Dieckmann, forderte unterdessen die Afrikanische Union
(AU) auf, bei ihrem Sondergipfel am Donnerstag eine Friedenslösung für Somalia vorzulegen. Es sei
nur schwer vorstellbar, dass Kenia und Äthiopien dauerhaft Hunderttausende somalische Flüchtlinge
aufnehmen könnten, zumal sie selbst von der Dürre betroffen seien, sagte Dieckmann dem Berliner
»Tagesspiegel«. Voraussetzung für Frieden in Somalia sei aber eine diplomatische Anstrengung.
Als mögliches Vorbild nannte Dieckmann Sudan, wo nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg
zwischen dem Norden und dem Süden schließlich ein Frieden und die Unabhängigkeit Südsudans
ausgehandelt worden war. Die Afrikanische Union will sich am kommenden Donnerstag an ihrem
Sitz in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba zu einem Sondergipfel treffen, um über die
Hungersnot am Horn von Afrika zu beraten.
Die türkische Marine will ein Schiff mit Hilfsgütern für die Opfer der Hungersnot nach Somalia
entsenden. Eine Fregatte werde das Schiff auf dem Weg nach Somalia begleiten, bevor sie sich
dem internationalen Marineverband zur Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika anschließe,
teilten die türkischen Streitkräfte am Montag mit. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip
Erdogan hatte in der vergangenen Woche Somalia besucht.
In Ostafrika leiden derzeit rund zwölf Millionen Menschen unter der schwersten Dürre seit 60 Jahren.
Besonders betroffen sind das Bürgerkriegsland Somalia sowie Kenia, Äthiopien und weitere Staaten
in Ostafrika.
*** Aus: Neues Deutschland, 23. August 2011
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