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"Mit dem Messer an der Kehle unterschrieben"

In Afrika fanden letzte Woche Proteste gegen das »Partnerschaftsabkommen« mit der EU statt. Ein Gespräch mit Aminata Traoré

Aminata Traoré war Kulturministerin des westafrikanischen Staates Mali. Heute ist sie Koordinatorin des FORAM (Forum für ein anderes Mali), das im Afrikanischen Sozialforum mitarbeitet. Anfang des Jahres erschien in Frankreich ihr Essay "L'Afrique humiliée" (Das gedemütigte Afrika) *



Am 7. und 8. Januar fanden in vielen afrikanischen Ländern Proteste gegen sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) zwischen der Europäischen Union (EU) und Afrika statt. Sie haben gegen die bilateralen Verträge in Bamako, der Hauptstadt von Mali, eine Konferenz organisiert. Warum?

Die EPA-Verträge werden das Leben der afrikanischen Bevölkerung noch stärker beeinträchtigen als bisher. Einer unserer wunden Punkte ist, daß bei uns nicht grundsätzlich über die Globalisierung und die Mechanismen diskutiert wird, die unseren Kontinent politisch und wirtschaftlich bestimmen. Insofern sind die EPA-Verhandlungen eine einmalige Gelegenheit, die Bevölkerung aufzuklären. Die Zahl der Länder, die die Verträge bisher unterzeichnet haben, ist übrigens deutlich geringer als die derjenigen, die es nicht getan haben. Jene, die unterschrieben haben, hatten das Messer an der Kehle.

Am 11. Januar fand in Brüssel eine Demonstration gegen diese Art Abkommen statt, an der auch Sie teilgenommen haben. Was war das Ziel?

Uns Afrikanern wird verwehrt, unser Schicksal selbst zu bestimmen. Das war mit der Europäischen Verfassung ähnlich - ihre Artikel wurden ohne die Billigung der Bürger beschlossen. Nach dem gleichen Muster wollen sich jetzt Politiker beider Seiten auf eine ultraliberale Agenda für Afrika einigen. Allerdings ging die Initiative für die EPAs nicht auf die Afrikanische Union zurück, sondern auf die EU, die uns ihr Wirtschaftssystem aufzwingen will. Mit unserer Demonstration in Brüssel wollten wir auf diese Parallele hinweisen.

Was ist Ihrer Meinung nach der Hintergrund dieses Vorstoßes der EU?

Um dem Wettbewerb mit China und den Schwellenländern standzuhalten, hat sich Europa für den gemeinsamen Markt seiner 27 Mitgliedsstaaten entschieden. Die sind nicht immer einig untereinander, sie treten aber dennoch als Block auf, sobald es um die Beziehung zum ärmeren Süden geht. Dieser Block hat Afrika im Zuge der EPA-Verhandlungen in verschiedene Bereiche aufgeteilt - wir gehören zur westafrikanischen Zone.

Durch finanzielle Erpressung will die EU die Staaten innerhalb dieser Zonen untereinander ausspielen. Da werden die Unterschriften buchstäblich erkauft, etwa mit dem Versprechen: »Unterschreibt, wir geben euch in der Übergangsphase Geld.« Wenn ein Land in einer politisch labilen Lage ist, wie Côte d' Ivoire, das gerade einen Krieg hinter sich und kein Geld hat, dann unterschreibt das jeweilige Staatsoberhaupt. Etwa nach dem Motto: »Alles Weitere wird sich zeigen...«.

Die wichtigste Frage ist heute: Wie können wir mit den Ländern solidarisch sein, die am meisten unter der Politik der reichen Staaten leiden werden? Was können wir für sie tun? Und wie können wir erreichen, daß ihre Produkte auch auf unsere Märkte kommen? Beispiel Bananen: Warum exportieren wir sie nach Europa, wenn es dafür einen afrikanischen Markt gibt? Ganz davon abgesehen, daß der teure Transport auch noch das Klima belastet.

Welchen Zusammenhang gibt es zwischen diesen geplanten Freihandelsabkommen und der Immigration nach Europa?

Je schlechter es einem Land wirtschaftlich geht, desto mehr Menschen wollen es verlassen -- diese Entwicklung wird sich zwangsläufig verstärken. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Europa die Einwanderungsbedingungen verschärft. Es gibt bei uns keine Arbeitsplätze, die Wirtschaft liegt am Boden, der öffentliche Dienst wurde privatisiert. Die Menschen haben keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung, nicht einmal die Müllabfuhr funktioniert. Der Staat hat sich aus Kostengründen aus allen öffentlichen Bereichen zurückgezogen. Die Stadt Bamako z. B. war früherer sauberer; es gab staatliche Müllwagen. Heute sollen Stadtteilinitiativen das Abfallproblem lösen. Alles, was früher noch klappte, funktioniert heute nicht mehr.

Interview: "Voyages d'Afrique"
"Voyages d'Afrique" ist eine Projektgruppe an der Universität Stuttgart

* Aus: junge Welt, 15. Januar 2008



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