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Zweiter EU-Afrika-Gipfel in Lissabon: Mehr Sicherheit für europäische Interessen

Thema Menschenrechte unter "ferner liefen" / Libyens Staatschef ist ein begehrter Partner in der Flüchtlingspolitik

Von Martin Ling *

Beim Gipfel in Lissabon wollen die EU und Afrika an diesem Wochenende eine strategische Partnerschaft in wichtigen globalen Fragen wie Klimaschutz, Migration und Energie beschließen.

Mugabe kommt und Gaddafi zeltet. Der simbabwische und der libyische Präsident zählten aus europäischer Sicht einst zu den größten Schurken des Kontinents. Noch 2003 platzte der geplante EU-Afrika-Gipfel, weil die EU-Regierenden nicht mit Robert Mugabe an einem Tisch sitzen wollten. Von »wollen« dürfte auch diesmal keine Rede sein, zum Fernbleiben rang sich indes nur der Premier aus dem Mutterland des Boykotts durch: Großbritanniens Gordon Brown.

Willkommener als Mugabe ist der vom Schurken zum umworbenen Geschäftspartner gewandelte Muammar al-Gaddafi. Weil er in alter Beduinentradition lieber im Zelt als im Hotel logiert, hat ihm die portugiesische Regierung als »Zeltplatz« die Festung São Julião da Barra in Oeiras vor den Toren Lissabons offeriert. »Diese Anlage bietet bezüglich der Sicherheit die besten Voraussetzungen«, sagte ein Diplomat.

Sicherheit wird nicht nur bei der Unterbringung groß geschrieben, sie gehört auch zu den Spitzenthemen des Gipfels. »Keine Sicherheit ohne Entwicklung, keine Entwicklung ohne Sicherheit und weder das eine noch das andere ohne Menschenrechte« – diese Formel des Ghanaers Kofi Annan, einst UNO-Generalsekretär, soll formal die Richtschnur einer neuen gemeinsamen Afrika-Strategie sein, die in Lissabon offiziell beschlossen werden soll.

Vor allem im Bereich der Sicherheitspolitik ist ein Ausbau der Kooperation vorgesehen. In dem insgesamt 101 Seiten starken und nicht mehr strittigen Schlussdokument des Gipfels sichert die EU unter anderem finanzielle Hilfe für Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU) und den Aufbau einer schnellen afrikanischen Einsatztruppe zu. Die EU werde Maßnahmen ergreifen, um für AU-Friedenseinsätze »planbare und dauerhafte Finanzierungsinstrumente« zu entwickeln. Konkrete Zahlen werden nicht genannt.

Schwere Verstöße gegen Menschenrechte werden im Strategiepapier allgemein angesprochen, jedoch nicht auf einzelne Staaten bezogen. Ob das in Lissabon anders aussehen wird, ist fraglich. Es sei denn, der flammende Appell prominenter Afrikaner und Europäer – darunter die Literaturnobelpreisträger Wole Soyinka, Nadine Gordimer, Dario Fo und Günter Grass – zeigt noch Wirkung. Sie forderten die Politiker in einem Offenen Brief auf, die westsudanesische Krisenprovinz Darfur und Simbabwe an die Spitze der Tagesordnung zu setzen. Immerhin verlautete inzwischen aus Berlin, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel von EU-Ratspräsident José Sócrates gebeten worden sei, gemeinsam mit Südafrikas Präsident Thabo Mbeki das Thema Menschenrechte und Gute Regierungsführung in Referaten »offensiv« einzuführen.

Selbst wenn die katastrophale Menschenrechtslage in Simbabwe und Darfur doch noch breiteren Raum einnehmen sollte, der skandalöse Umgang mit Flüchtlingen in Libyen wird sicher nicht zur Sprache kommen – denn der beruht auf tatkräftiger Unterstützung der EU. In Libyen sind derzeit nach EU-Angaben 60 000 so genannte illegale Migranten in Haft. Bis zu 80 Flüchtlinge werden teilweise in Zellen von sechs mal acht Metern gehalten, bei einer Tagesration von 20 Gramm Reis und einer Stange Brot, wie ein Bericht der europäischen Flüchtlingskoalition Fortress Europe (Festung Europa) schildert. Von der EU erhält Libyen Unterstützung: in Form von Überwachungssystemen, Hubschraubern und Nachtsichtgeräten bis hin zu Leichensäcken. Von Anfang 2006 bis Mai 2007 sammelte Libyens Grenzpolizei 360 Leichen ein und griff 6725 Flüchtlinge auf. Allein 2006 wurden 50 000 Menschen in ihre afrikanischen Herkunftsländer deportiert. So stellt sich die EU offenbar eine gelungene Partnerschaft in Sachen Migration vor.

Die Migration gehört zu den großen Themen. 4,6 Millionen Afrikaner leben legal in der EU, Tausende kommen jährlich ohne die nötigen Papiere. Die EU möchte die Zuwanderung besser kontrollieren. Ein Pilotprojekt, das erste »Zentrum für Migration«, soll im März 2008 in Mali eröffnet werden. Es soll die Menschen über legale Arbeitsmöglichkeiten in der EU und über die Gefahren der illegalen Einwanderung aufklären. Gefahren, die die EU mit dem Ausbau der Festung Europa willent- und wissentlich permanent schürt.

Immer stärker in den Blickpunkt rückt Afrika auch als Energiemarkt. »Zwar verbraucht Afrika derzeit nur fünf Prozent der Energie weltweit, die Internationale Atomenergiebehörde rechnet aber mit einer Verdoppelung des Bedarfs bis 2030«, weiß Klaus Schilder von der Nichtregierungsorganisation WEED. Von einer nachhaltigen und fairen Partnerschaft ist im Energiesektor jedoch so wenig zu spüren wie im Bereich Handel oder Migration: Frankreich hat ausdrücklich einen Positivbezug zum Ausbau der Atomenergie in Afrika ins Strategiepapier schreiben lassen. Für eine gemeinsame strahlende Zukunft.

Hintergrund: Ungleiche Partner

Der Anspruch an das gemeinsame Strategiepapier von Europäischer Union und Afrikanischer Union (AU) ist groß: weg von einer »traditionellen Partnerschaft«, hin zu »einer wirklichen Partnerschaft, die auf Gleichheit und der Verfolgung gemeinsamer Interessen beruht«.

Gemeinsame Interessen sieht die EU (490 Millionen Einwohner) vor allem bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Terrorismus, bei Umweltproblemen und der organisierten Kriminalität. Die Interessenkonflikte vor allem in der Handels- und Migrationspolitik sind unterbelichtet. Das zeigen insbesondere die laufenden Verhandlungen zu den so genannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA), die zu einer weiteren Marktöffnung der afrikanischen Staaten führen sollen und auf teils heftigen Widerstand stoßen.

Der afrikanische Kontinent (960 Millionen Einwohner) ist nicht zuletzt wegen seiner Rohstoffvorkommen und dem globalen Wettlauf um den Zugriff darauf wieder verstärkt in den Blickpunkt geraten. Unbehagen herrscht in der EU über Chinas wachsenden Einfluss in einem seit kolonialen Zeiten als europäischer Hinterhof betrachteten Gebiet. China ist mittlerweile Afrikas drittgrößter Handelspartner nach der EU und den USA. Peking ist vor allem an den Bodenschätzen Afrikas interessiert: 32 Prozent des in China verbrauchten Öls kommen aus Afrika. Im Gegenzug investiert China mehr als eine Milliarde US-Dollar jährlich in afrikanische Infrastrukturprojekte, von denen chinesische Unternehmen als Auftragnehmer profitieren. Fragen nach »Guter Regierungsführung« und Menschenrechten werden nicht gestellt.

Die Europäer betonen inzwischen zwar die Bedeutung von Guter Regierungsführung und Menschenrechten, aber die EPA-Verhandlungen zeigen, dass auch sie ihre Wirschaftsinteressen über alles andere stellen. ML

Afrika-Aktionsplan

Schon beim ersten Gipfel 2000 in Kairo beschlossen beide Seiten einen pompösen »Aktionsplan« - der allerdings rasch in Vergessenheit geriet. Deswegen ist der neue »Aktionsplan« von Lissabon auf drei Jahre befristet und soll von 2008 bis 2010 umgesetzt werden. In überschaubarer Zeit soll nachgefragt werden, was daraus geworden ist. Geeinigt hat man sich auf acht strategische Bereiche der Partnerschaft:
  • Partnerschaft bei Frieden und Sicherheit
  • Partnerschaft bei demokratischer Regierungsführung und Menschenrechten
  • Partnerschaft bei Handel und regionaler Integration
  • Partnerschaft bei den Millenniums-Entwicklungszielen
  • Partnerschaft bei der Energie
  • Partnerschaft beim Klimaschutz
  • Partnerschaft bei Migration, Mobilität und Beschäftigung
  • Partnerschaft in der Wissenschaft und der Informationsgesellschaft


* Aus: Neues Deutschland, 8. Dezember 2007


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