Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Neokoloniale Logik

"Offene" Märkte, kaputte Binnenwirtschaft: EU-Entwicklungsminister beraten über "Partnerschaft" mit Organisation von Staaten Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes (AKP)

Von Gerhard Klas *

Heute findet das informelle Treffen der EU-Entwicklungsminister auf dem Bonner Petersberg statt. Erstmals sind mehrere Minister und Regierungschefs der AKP-Staaten, eines Zusammenschlusses von 78 Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks, dabei. Denn bis Ende des Jahres, so will es die EU, sollen sie neue »Partnerschaftsabkommen« mit der Europäischen Union unterzeichnen. Die sollen bis spätestens Ende des Jahres unterschriftsreif sein. Zu den AKP-Mitgliedern gehören 39 der ärmsten Länder der Erde, viele von ihnen sind ehemalige Kolonien.

Bisher wurden den AKP-Staaten Handelspräferenzen für bestimmte Waren, meist landwirtschaftliche Produkte, eingeräumt. Die EU verlangte dafür geringere Zölle als von anderen Ländern. Diese Vorzugsbehandlung sei ab 2008 nicht mehr mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO kompatibel, sagt die EU-Kommission. Außerdem habe das System nichts gebracht, der Export der entsprechenden Länder beschränke sich noch immer auf ein paar wenige, meist landwirtschaftliche Erzeugnisse. »Die bisherigen einseitigen Handelspräferenzen konnten die Stellung der AKP-Staaten im Welthandel nicht wesentlich verbessern«, sekundiert auch Heidemarie Wieczorek-Zeul, die deutsche Ministerin für Entwicklung.

Muster ohne Wert

Kein Wunder, denn die sogenannten Präferenzen wogen nicht auf, was Dumpingexporte aus Europa in diese Staaten zerstörten. Zum Beispiel in den westafrikanischen Ländern Ghana und Kamerun. Dort verdienen zahlreiche Kleinbauern und besonders Frauen ihren Lebensunterhalt mit der Hühnerzucht. Viele von ihnen mußten aufgeben, als die EU Hühnerbeine, -flügel und -hälse zu Dumpingpreisen in diese Länder exportierte. Künstlich verbilligt durch EU-Exportsubventionen war das Hühnerfleisch für umgerechnet 1,40 Euro das Kilo zu haben, ghanaisches Huhn kostete 2,45 Euro.

Um die industrielle Entwicklung in den AKP-Staaten voranzubringen, hätte auch dieser Sektor gegen billige Einfuhren von Industrieprodukten weitgehend geschützt werden müssen. Das Gegenteil geschieht: Um einen Kredit des Internationalen Währungsfonds IWF zu erhalten, senkte Sambia zwischen 1992 und 1997 die Zölle für industrielle Güter. Seitdem hat sich die Anzahl der Industriearbeiter halbiert. In Nigeria verloren 30000 Textil­arbeiterinnen und -arbeiter ihren Job, nachdem die Regierung – wiederum auf Druck des IWF und der WTO – die Märkte für Textilprodukte aus dem Ausland geöffnet hatte. In Kenia gingen 90000 Arbeitsplätze in der Lederindustrie verloren.

Ein Abkommen gemäß der WTO wird die Märkte der AKP-Staaten mittelfristig vollends öffnen – nicht nur für Agrarprodukte, sondern auch für Dienstleistungen und Industriegüter. Die Produzenten in jenen Ländern müssen dann direkt mit den europäi­schen konkurrieren. Für die kenianische Zementindustrie z.B. würde das das definitive Aus bedeuten, aber auch für Verlage, die englisch- und französischsprachige Schulbücher herausgeben, und für Zulieferer für einfachen Medizinbedarf wie Desinfektionsmittel oder Spritzen. Auch die Verluste durch fehlende Zolleinnahmen in den AKP-Staaten werden hoch sein: Erste Untersuchungen gehen von 20 Prozent weniger Staatseinnahmen in Guinea-Bissau, Ghana und den Kapverdischen Inseln aus, bei den meisten anderen AKP-Mitgliedern sind es zwischen sieben und zwölf Prozent. Mit solchen Löchern im Haushalt läßt sich weder die Armut in diesen Ländern bekämpfen, noch das Gesundheits- und Bildungssystem verbessern, wie es die EU-Entwicklungspolitik als Anspruch formuliert.

Druck aus Brüssel

Seit zwei Jahren mehren sich nun die Stimmen derjenigen, die vor einem Abschluß der neuen »Partnerschaftsabkommen« warnen. An erster Stelle viele Regierungen der AKP-Staaten selbst, die in den Verträgen auch entwicklungspolitische Finanzhilfen verankert sehen wollen. Eine Delegation des Europa-Ausschusses der französischen Nationalversammlung warnte schon im vergangenen Jahr davor, daß die neuen Abkommen in Afrika »Frieden und Stabilität gefährden«. Europa versuche eine »Logik des Neokolonialismus« durchzusetzen. Erst vor kurzem warnte auch die UN-Wirtschaftskommission für Afrika, UNECA, davor, den Termin bis zum 31. Dezember einzuhalten. Die vier Regionen in Afrika, deren Staaten sich jeweils zu einer Zollunion zusammenschließen und als solche dann die Verträge unterzeichnen sollen, könnten die Folgen der Wirtschaftsabkommen noch nicht abschätzen, es gebe also noch Beratungsbedarf.

Die EU-Politiker ficht das nicht an. Die Kommission in Brüssel zieht sogar die Daumenschrauben an und droht den AKP-Staaten mit höheren Importzöllen, sollten diese nicht bis Ende des Jahres die Partnerschaftsabkommen unterzeichnet haben. Für die betroffenen Länder ist das auch der Grund, warum sie noch nicht aus den Verhandlungen ausgestiegen sind. »Wenn wir die Partnerschaftsabkommen verweigern, riskieren wir den Verlust der EU-Hilfen und den privilegierten Marktzugang«, hieß es schon Mitte 2005 aus dem AKP-Sekretariat in der belgischen Hauptstadt. In den Beratungen werden Repräsentanten jener Staaten von den EU-Offiziellen außerdem darauf hingewiesen, daß sie von der Entwicklungshilfe der EU abhängig seien. Das berichteten afrikanische Unterhändler Vertretern der entwicklungspolitischen Organisation »Weed« aus Berlin. »Das kommt einer Erpressung gleich«, meint deren Sprecher Klaus Schilder.

Von gleichberechtigter Partnerschaft kann bei diesen Abkommen also keine Rede sein. Im Gegenteil, es geht darum, die europäische Wirtschaftsinteressen in Afrika, der Karibik und im pazifischen Raum durchzusetzen. Das Cotonou-Abkommen hat den AKP-Ländern schon gegenüber dem bis 2000 geltenden – und ebenfalls sehr einseitig ausgelegten – Lomé-Abkommen entscheidende Verschlechterungen gebracht. Die nun geplanten Partnerschaftsverträge werden nicht besser als die beiden Vorläufer. Im Gegenteil, die Ausbeutung vieler AKP-Staaten wird sich beschleunigen.

* Aus: junge Welt, 13.03.2007


Zurück zur Afrika-Seite

Zur EU-Europa-Seite

Zur Seite "Entwicklungspolitik"

Zurück zur Homepage