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Dürre bedroht 10 Millionen Afrikaner

Größte Hungerkatastrophe seit Jahrzehnten / Bundeskanzlerin auf Wirtschaftssafari

Von Martin Ling *

Die zweite Afrikareise der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in die wirtschaftlich prosperierenden Länder Kenia, Angola und Nigeria wird durch die schlimmste Dürrekatastrophe seit 60 Jahren in Ostafrika überlagert.

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein: Die deutsche Regierung spendet eine Million Euro für das weltgrößte Flüchtlingscamp Dadaab in Kenia. Das teilte Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einem Treffen mit Kenias Staatspräsident Mwai Kibaki am Dienstagmorgen (12. Juli) in Nairobi mit.

Ein Viertel der Bevölkerung aus Kenias Nachbarland Somalia ist auf der Flucht. Die meisten haben in ihrer vom Bürgerkrieg zerrütteten Heimat ihr gesamtes Vieh verloren. Die Vereinten Nationen schätzen, dass bald zehn Millionen Menschen in der Region unter einer Hungersnot leiden werden, darunter allein zwei Millionen Kinder. Rund 380 000 von ihnen vegetieren jetzt in Dadaab. Ausgelegt war das Lager für 90 000 Menschen – und täglich kommen bis zu 1000 weitere halbverhungerte Menschen an.

Der Chef des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR), Antonio Guterres, hatte am Montag die Internationale Gemeinschaft zu Spenden für das Flüchtlingscamp an der Grenze zu Somalia aufgerufen und von der schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt gesprochen. Die Vereinten Nationen haben die kenianische Regierung dringend dazu aufgerufen, ein weiteres Flüchtlingscamp für die von der Dürre am Horn von Afrika betroffenen Menschen zu eröffnen. Guterres hatte sich selbst ein Bild von der Lage in den Camps in Kenia und Äthiopien gemacht.

Nairobi hat es bisher abgelehnt, ein weiteres Lager in der Nähe des völlig überfüllten Dadaab-Camps im Norden Kenias zu eröffnen. Die Regierung fürchtet, dass sich die hunderttausenden Flüchtlinge – die vor allem aus Somalia in die Nachbarländer strömen – dauerhaft in Kenia niederlassen könnten.

Unterdessen ist in der somalischen Hauptstadt Mogadischu erstmals wieder neue Hilfe für die Opfer der schweren Dürre eingetroffen. Die »Organisation für islamische Zusammenarbeit« habe am Dienstag Lebensmittel an Hungernde verteilt, berichtete der britische Rundfunksender BBC. In den meisten Landesteilen von Somalia haben ausländische Helfer bisher keinen Zugang zu den Bedürftigen. Die Verteilung von Mais und Trockennahrung in Mogadischu sei möglich geworden, weil die islamistische Gruppierung Al-Schabaab in der vergangenen Woche ihre Drohung gegen internationale Helfer zurückgenommen hatte. Al-Schabaab kontrolliert den größten Teil von Somalia.

Während Millionen von Menschen in Afrika hungern, will Deutschland lieber in die Wirtschaft investieren. Bei den Gesprächen der Kanzlerin mit Präsident Kibaki und Regierungschef Odinga zeigte sich laut Regierungssprecher Steffen Seibert ein »großes Interesse an deutschen Investitionen und an Zusammenarbeit bei erneuerbaren Energien«. Merkel erklärte allerdings, dass sich Deutschland in der Landwirtschaft ebenfalls »stärker engagieren« wolle, auch um solche schrecklichen Naturereignisse wie die derzeitige Dürre »besser zu überwinden«. Deutschland hat seit den 80er Jahren die Förderung der ländlichen Entwicklung massiv zurückgefahren. Schwarz-Gelb hat versprochen, eine Trendwende einzuleiten. Der Beweis steht noch aus. Was das Business will, formulierte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben: »Die deutsche Wirtschaft erhofft sich von der Kanzlerin Engagement für einen weiterhin freien Zugang zu Afrikas Rohstoffen.«

* Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2011


Tödlich versagt

Von Martin Ling **

Dürren und Fluten gibt es seit Menschengedenken. Sie werden weder durch Entwicklungspolitik noch im engeren Sinne durch Wirtschaftspolitik verursacht, auch wenn die kapitalistische Produktionsweise als Katalysator des Klimawandels gilt und Letzterer zu einer empirisch nachweisbaren Zunahme an extremen Wetterereignissen geführt hat. Bei Hungersnöten wie jetzt am Horn von Afrika greift nur schnelle Nothilfe. Die kommt aber immer relativ zu spät, weil es im Medienzeitalter erst der Fernsehbilder von verhungernden Kindern bedarf, um Spendenbereitschaft und politisches Handeln zu beschleunigen. Schließlich wurde schon im Februar vermeldet, dass in Ostafrika wegen der Dürre mit einem Ausfall der Maisernte gerechnet werden müsse – Mais ist das wichtigste Nahrungsmittel in den meisten ostafrikanischen Staaten.

Dass die Folgen von Dürren und Fluten so verheerend sind, hat indes viel mit der internationalen Politik zu tun: Seit Jahrzehnten nimmt im Süden die Ernährungssicherheit durch die Agrarhandelsliberalisierung ab – mit voller Billigung von Deutschland. Die Kleinbauern haben wegen der Billigimporte keinen Anreiz mehr, Überschüsse zu produzieren, weil sie die nicht mehr verkaufen können. So wird die Saat für neue Hungerkrisen gelegt. Denn dass die globalen Überschüsse im Bedarfsfall nicht schnell genug geliefert werden, zeigt sich bei der jetzigen Krise am Horn von Afrika zum X-ten Mal – tödliches Politikversagen.

** Aus: Neues Deutschland, 13. Juli 2011


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