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"Wir brauchen sie für die Wahlen."

Die deutschen Kolonien in Afrika und die mutigen Aufstände der Herero und Nama

Von Gerd Fesser *

Von November 1884 bis Februar 1885 tagte in Berlin die Kongo-Konferenz mit Vertretern aus Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden, Österreich-Ungarn, Portugal, Russland, Schweden, Spanien, den USA sowie dem Osmanischen und dem Deutschen Reich. Die Teilnehmer erkannten die Kolonie, die Leopold II. am Kongo errichtet hatte, als Privatbesitz des belgischen Königs an. Und sie verständigten sich über die Regeln für die künftige Aufteilung Afrikas.

1876 hatten sich etwa 10 Prozent Afrikas in europäischem Besitz befunden. Binnen 25 Jahren eigneten sich die europäischen Kolonialmächte weitere 80 Prozent des Kontinents an. Deutschland »erwarb« unter Otto von Bismarck Deutsch-Südwestafrika (das heutige Namibia), Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika (das heutige Tansania, Uganda und Burundi). Das wahre Ziel seiner Kolonialpolitik offenbarte der Reichskanzler im September 1884 gegenüber einem seiner engsten Mitarbeiter, Karl Heinrich von Boetticher: »Die ganze Kolonialgeschichte ist ja ein Schwindel, aber wir brauchen sie für die Wahlen.« Später wäre Bismarck die Kolonien gern wieder losgeworden.

Die Befürworter einer energischen deutschen Kolonialexpansion jedoch dachten ganz anders. Sie hatten die Reichtümer vor Augen, die Großbritannien aus seinem riesigen Kolonialreich zog. Sie hofften, in eigenen Kolonien gleichfalls einträgliche Rohstoffquellen und Absatzmärkte für die expandierende deutsche Industrie zu finden.

Nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wurde in Deutsch-Südwestafrika das Hirtenvolk der Herero von deutschen Siedlern mehr und mehr von seinem Weideland verdrängt. Im Januar 1904 erhoben sich die Herero. Sie erschlugen 120 deutsche Soldaten und Siedler und unterbrachen die Eisenbahnverbindungen. Es dauerte mehrere Wochen, bevor aus dem Reich größere Verstärkungen eintrafen. Insgesamt wurden 10 000 Soldaten in die ferne Kolonie entsandt. Deren Oberbefehlshaber, General von Trotha, besiegte die Herero im August 1904 am Waterberg und drängte sie samt ihren Familien in die Wüste Omaheke ab, wo die meisten von ihnen verdursteten.

Erst nach der Niederlage der Herero griff Anfang Oktober 1904 auch das Volk der Nama (» Hottentotten«) zu den Waffen. Die NamaKrieger überfielen deutsche Patrouillen und Nachschubtransporte und verschwanden anschließend spurlos. Einige leisteten noch bis 1908 der gewaltigen deutschen Übermacht Widerstand. Am berühmtesten wurde Jacob Morenga, dem Uwe Timm ein literarisches Denkmal gesetzt hat.

Während der beiden Aufstände fanden 1500 deutsche Soldaten den Tod. Von den 100 000 Herero und Nama überlebten nur etwa 25 000 diesen deutschen Völkermord. Die Kolonialbehörden beschlagnahmten das Land und Stammesvermögen der Herero und Nama; ihnen wurde der Besitz von Großvieh sowie von Schusswaffen verboten. Jeder Herero oder Nama war fortan gezwungen, sich bei einem weißen Kolonialisten zu verdingen und ein »Dienstbuch« zu führen. Die Afrikaner wurden so zu besitzlosen und faktisch rechtlosen Lohnarbeitern. Das angestrebte lückenlose Überwachungssystem funktionierte in dem riesigen Land allerdings nicht.

Zeitlich parallel zum Herero- und Namakrieg war es 1905 bis 1907 in Deutsch-Ostafrika zum Maji-Maji-Aufstand gekommen, der äußerst brutal niedergeworfen wurde. 300 000 Afrikaner, so schätzt man mittlerweile, starben. Da die deutsche Kolonialmacht den Krieg fast ausschließlich mit afrikanischen Soldaten (Askari) führte, betrugen deren Verluste lediglich 15 Mann.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges stand jedoch fest, dass sich die Erwartungen der deutschen Kolonialenthusiasten nicht erfüllt hatten. Von Togo abgesehen, brachten die deutschen Kolonien nichts ein, forderten im Gegenteil enorme Zuschüsse für Verwaltung, Militär und Eisenbahnbau. Nur 0,6 Prozent des deutschen Exports ging in die Kolonien, 0,5 Prozent des Imports kam von dort. Erhebliche Gewinne erzielten aber zahlreiche Reedereien, Handelsfirmen und Plantagenbesitzer.

Die deutschen »Schutztruppen« waren zu schwach, um im Ersten Weltkrieg die Kolonien verteidigen zu können. Togo wurde bereits 1914, Deutsch-Südostafrika 1915 und Kamerun 1916 von den Truppen der Entente erobert. In Ostafrika behaupteten sich die Deutschen bis 1918 unter General Paul von Lettow-Vorbeck, der hernach fragwürdigen Mythos – auch noch in der Bundesrepublik – genoss. Hunderttausende von Afrikaner sind in diesem sinnlosen Kampf umgekommen. Im Versailler Vertrag musste Deutschland auf alle seine Kolonien verzichten.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Juni 2010


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