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Unter heißer Sonne

Ein DDR-Diplomat über harte Arbeit, Hoffnung und Enttäuschung

Von Heinz-Dieter Winter *

In einer schlaflosen Tropennacht am 7. September 1987 in Lagos lässt den 1. Sekretär der DDRBotschaft in Conakry sein Leben Revue passieren, erinnert sich an seine diplomatischen Lehrjahre in Moskau und Algier. Ein chiffriertes Fernschreiben beordert ihn »dringend« nach Berlin, ohne Angabe von Gründe. Erwartungen mischen sich mit Unbehagen. Wird er abberufen, hat er einen Fehler gemacht, warten neue Aufgaben auf ihn? Ähnliches dürften schon andere Diplomaten erlebt haben.

Nicht nur für diese hat Gerhard Haida sein Buch geschrieben; ermöchte einem breiten Leserkreis Einblicke in den diplomatische Alltag vermitteln. Da geht es nicht um Empfänge in teuren Garderoben und mit Whiskeysoda, sondern um harte Arbeit unter oft widrigen Umständen, um Streben nach Erfolg und Anerkennung, um Leidenschaften und Sehnsüchte, aber auch um kleinliches Karrieredenken und Intrigen und schließlich auch um Geheimdienste.

Die spezifischen, vor allem ideologisch verursachten Probleme der DDR-Botschaft in Moskau, wo der Autor Anfang der 60er Jahre seinem ersten Einsatz hatte, werden fesselnd und überzeugend dargestellt. Im Mittelpunkt steht eine brisante Episode: Ein Diplomat wird nach Hause geschickt, weil er den Fehler beging, eine kluge innenpolitische Analyse mit einem sowjetischen Angestellten der Botschaft zu diskutieren. Der Diplomat litt darunter, dass Analysen zu wenig die reale Situation in der Sowjetunion darstellten, stattdessen nur den Inhalt von Losungen und Parteibeschlüsse wiedergaben. Auch in Algier erlebt der Autor die Probleme eines abgeschotteten Kollektivs, die dem Druck äußerer Einflüsse, einem nicht immer verständnisvollen Verhalten des Leiters gegenüber Mitarbeitern oder einem zuweilen überzogenen Sicherheitsdenken geschuldet waren; Situationen, die es ähnlich in anderen Auslandsvertretungen der DDR gab. Vom »Sittenbild« einer Vertretung spricht Haida. Das alles schildert er lebendig und auch mit Humor.

So manchem Angehörigen des Außenministeriums der DDR hat er ein Denkmal gesetzt, wie jenem Abteilungsleiter Bierbaum, der vor einem Auslandseinsatz dem Buchautor das Gefühl gab, »von einem Mann verabschiedet worden zu sein, der jedem seiner Leute draußen in den Vertretungen menschlich nahe stand und ihren Werdegang aufmerksam verfolgte«. Die Tatsache, dass die erste Generation der DDR-Diplomaten vorwiegend aus dem antifaschistischen Widerstand kam (im Gegensatz zu den ehemaligen Ribbentrop-Diplomaten der alten Bundesrepublik) begründet Stolz, zu jenen »zu gehören, die berufen waren, eine neue Außenpolitik auf deutschem Boden zu entwickeln, die nur eine Politik des Friedens und der Völkerverständigung sein konnte«.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre wuchs unter DDR-Diplomaten Unzufriedenheit angesichts innenpolitischer und wirtschaftlicher Probleme in der DDR und eines offensichtlich gestörten Verhältnisses zur Sowjetunion. Man empfand zunehmend, dass die eigene Führung außerstande sei, den neuen Anforderungen gerecht zu werden, die sich aus der Unterzeichnung der KSZESchlussakte in Helsinki 1975 ergaben. In der Tat diskutierten DDR-Außenpolitiker in jener Zeit unter dem Eindruck des »neuen Denkens« des KPdSU-Generalsekretärs Gorbatschow, dass eine zeitgemäße Außenpolitik, besonders auch gegenüber den Entwicklungsländern betrieben werden müsste. Haida wirft Fragen auf, die noch heute keine befriedigende Antwort gefunden haben, z. B. warum die enorme Entwicklungshilfe der Sowjetunion und anderer sozialistischer Staaten letztlich doch so wenig zur Verbesserung der Lage der Völker in der »Dritten Welt« beitragen konnte und dortige progressive Entwicklungen scheiterten.

Der 1. Sekretär der DDR-Botschaft in Conakry ist der per Fernschreiben eingegangenen Order gefolgt. In Berlin wurde ihm eröffnet, er sei als Botschafter der DDR in Algerien auserwählt. Und so kehrte der Buchautor zurück in »das kalte Land mit einer heißen Sonne«, wie ihm ein Algerier seine Heimat beschrieb, als er dort seine diplomatischen Lehrjahre verbracht hatte. Gerhard Haida, der in seinem Buch keine Klarnamen verwendet, war von 1988 bis 1990 Botschafter in Algerien.

Gerhard Haida: Ein Tag in Lagos. Nach Erinnerungen eines DDR-Diplomaten erzählt. BS-Verlag, Rostock 2007. 335 S., br., 19,90 EUR; ISBN 978-3-86785-005-6

* Aus: Neues Deutschland, 14. Februar 2008

Eine ältere Rezension:

"Wo willst du hin?"" – "Nach Hause, nach Laipsch"

Von Franz-Karl Hitze **

Gerhard Haida gibt in »Ein Tag in Lagos« den Blick in sein Leben als DDR-Diplomat frei, in die Welt geheimer Papiere, der Protokollempfänge, aber auch der Intrigen und Karriereabsichten. Der heute siebzigjährige Autor lernte das außenpolitische Handwerk von der Pike auf bis zum Rang eines Botschafters. Er zeichnet in einem Mosaik aus Erzählungen und humorvollen Skizzen ein bizarres Bild, das die Dimension des Ringens der DDR-Diplomatie um die internationale Anerkennung ihres Staates deutlich macht.

Alles beginnt mit einem Anruf aus Berlin. Der in Conakry stationierte Diplomat Apel wird ohne Angabe von Gründen nach Berlin gerufen. In Lagos muß er einen Tag im Transit verbringen und erinnert sich z.B. an seinen ersten Auslandseinsatz in Moskau. Speziell an einen Disput mit seinem Abteilungsleiter über ein sowjetisches Faltblatt aus Anlaß einer DDR-Filmwoche in der sowjetischen Hauptstadt, auf dem neben dem sowjetischen Banner die DDR-Fahne ohne Emblem gedruckt war. Wer beim sowjetischen Partner intervenierte, erhielt einen freundschaftlichen Klaps auf die Schulter: »Nu, nascha Germanija, unser Deutschland.« Den Erzähler macht das heute noch rasend: »Ich bin kein Vertreter Germanijas… Ich bin ich, die DDR, geographisch winzig, ein Klecks auf der Karte, aber sozialistisch, und politisch eine Einmaligkeit.«

Die Eindrücke vom Aufenthalt in Lagos und Gedanken Apels über Vergangenheit und Zukunft stehen im Mittelpunkt des Buches. Auf dem Flughafen kommt es zu einer besonderen Begegnung: Irgend jemand stößt den DDR-Diplomaten von der Seite an, ein kleiner, etwa achtjähriger Junge, offensichtlich afrikanischer Herkunft, der auf einem Hocker neben ihm Platz nimmt. Der Wirt fragt den Jungen nach seinen Wünschen, der versteht aber kein Englisch. Apel übersetzt ins Französische – ohne Erfolg. Dafür sagte der Kleine schüchtern: »Gansch was ssu ässn ham?« Es entspinnt sich folgender Dialog: »Wie heißt du denn?« »Achmed« »Und wo kommst du her?« »Aus Goddonu.« »Woher?« »Aus Benin.« »Und wo willst du hin?« »Nach Hause.« »Und wo ist das?« »In Laipsch.« »In Leipzig?« »Nu.« Der Kleine, stellt sich heraus, ist Sohn eines Zahnmediziners, der in Leipzig studiert hatte und in Cotonou (Benin) eine nicht recht florierende Praxis unterhielt.

Gerhard Haida vertrat die DDR u.a. in Guinea, Sierra Leone und Gambia, in Nigeria, Côte d’Ivoire und Benin sowie in Algerien. Seine lebendige Schilderung authentischer Erlebnisse macht das Buch zu einer anregenden Lektüre.

** Aus: junge Welt, 26. November 2007




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