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Antwerpen und die "Blutdiamanten"

"Transparenz" soll dem Diamantenhandel auf die Sprünge helfen

In der Neuen Zürcher Zeitung erschien kurz vor Weihnachten 2000 ein interessanter Hintergrundartikel über die Versuche der internationalen Diamantenkonzerne, die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei ihren Kunden Antwerpen zu erhöhen bzw. wieder zu gewinnen. Wir dokuemntieren den Beitrag.

In der belgischen Stadt Antwerpen befindet sich das weltweit grösste Diamantenzentrum. Die Branche ist durch die Veröffentlichung von kritischen Berichten über den Handel mit Edelsteinen aus afrikanischen Konfliktgebieten aufgeschreckt worden, hat aber reagiert und setzt nun vermehrt auf Transparenz.

Der Antwerpener Diamantenhandel ist mit vier Börsen, mit Banken, Schleifereien, Verkaufsgeschäften, Berufsvereinigungen und Schulen imZentrum der Stadt in der Nähe des Hauptbahnhofs angesiedelt. Die Eisenbahn war in früherenZeiten das sicherste Verkehrsmittel für den Transport der Edelsteine, deshalb die Nähe des Handelszentrums zum Hauptbahnhof. Direkt und indirekt, so schätzt der Hoge Raad voor Diamant (HRD), der die Branche nach aussen vertritt, leben in Antwerpen und in der näheren Umgebung gegen 30 000 Personen vom Diamantenhandel. Die traditionsreiche und prosperierende Branche, deren Ursprung im 15. Jahrhundert liegt, hat 1999 mit einem Umsatz von 23,7 Milliarden Dollar einen neuen Rekord erzielt; sie stellt sieben Prozent der belgischen Exporte. Doch der Antwerpener Diamanten-Handelsplatz ist in diesem Frühjahr unter Beschuss geraten, nachdem Berichte der Uno und von Nichtregierungsorganisationen auf die sogenannten Konfliktdiamanten aufmerksam gemacht hatten.

Detaillierte Statistiken

Rebellen aus afrikanischen Bürgerkriegsländern wie Angola und Sierra Leone verkaufen Diamanten im Tausch gegen Waffen, um ihre blutigen Kämpfe fortsetzen zu können. Der Anteil dieser «Blutdiamanten» am weltweiten Handel wird auf knapp vier Prozent geschätzt. Weshalb ausgerechnet Antwerpen in die Schlagzeilen geriet, erklärt Youri Steverlynck vom HRD mit der Tatsache, dass das Diamanten-Handelszentrum der flämischen Stadt das weltweit grösste ist; ausserdem hat Antwerpen als einziger Handelsplatz seit je regelmässig detaillierte Statistiken über Importe publiziert. Neben Antwerpen gehören auch New York, Tel Aviv und Bombay traditionellerweise zu den grössten Handelszentren der Welt. Von nicht geringer Bedeutung sind ferner London, Dubai und die Schweiz, während auch Hongkong, Thailand, China, Sri Lanka, Armenien und die Ukraine über Manufakturen verfügen.

Die Edelsteine befinden sich folglich oft auf Weltreise, passieren verschiedene Handels- und Produktionsstätten, bevor sie den Konsumenten erreichen. Ein Blick auf die belgische Statistik der Rohdiamantenimporte zeigt übrigens, dass in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres die Einfuhren aus der Schweiz und den Vereinigten Arabischen Emiraten im Vergleich zur Vorjahresperiode am stärksten zulegten.

Führende Rolle Belgiens

Zusammen mit der belgischen Regierung haben die Verantwortlichen des HRD eine führende Rolle bei der Suche nach Lösungen für das Problem der «Blutdiamanten» übernommen. Bereitsim Dezember 1999 schickte der HRD eine Delegation nach Luanda, um der Frage von gefälschten Zertifikaten nachzugehen. Zwei Monate später führte die Regierung in Angola ein neues Zertifizierungssystem ein, während Belgien die Kontrolle verstärkte, nachdem der kanadische Uno- Botschafter Fowler die belgischen Behörden wegen ihrer zu laxen Kontrollen gerügt hatte. Die Regierung in Luanda etablierte eine einzige Behörde für den Ankauf (im Landesinnern) und den Export von Diamanten. Antwerpen importierte 1999 aus Angola 2,54 Millionen Karat Diamanten im Wert von insgesamt 548 Millionen Dollar. Die Importe aus anderen heiklen Ländern hatten bereits früher stark abgenommen - ein Trend, der sich auch dieses Jahr fortsetzte. Aus Ländern wie Sierra Leone, Liberia und Côte d'Ivoire stammt nur noch ein marginaler Teil der gesamten belgischen Diamantenimporte. Der HRD hält ferner fest, dass keine Edelsteine aus Rwanda und Burkina Faso in Antwerpen bearbeitet oder gehandelt würden.

Ungeachtet der Tatsache, dass die Diamantenindustrie im Sommer am World Diamond Congress in Antwerpen zahlreiche Massnahmen zurBekämpfung der aus fragwürdigen Quellen stammenden Edelsteine verabschiedet hatte, waren imHerbst aus dem amerikanischen Repräsentantenhaus Drohungen zu vernehmen, es könnte zu einem Boykott durch Konsumenten kommen, wenn die Branche ihre Versprechen nicht verwirkliche. Der World Diamond Congress hatte sichfür ein globales Zertifizierungssystem ausgesprochen, doch ist die Umsetzung dieses Vorhabens nicht ganz einfach. Für die Diamantenindustrie stellte sich die aus heutiger Sicht wichtige Frage nach der Herkunft der Edelsteine erst mit dem von der Uno 1998 verhängten Embargo gegen Diamanten der Uniăo Nacional para a Independęncia Total de Angola (Unita). Laut dem HRDist es mit den gegenwärtigen technisch-wissenschaftlichen Verfahren nicht möglich, die Herkunft eines Diamanten genau zu bestimmen. Es werde noch einige Zeit dauern, bis die zurzeit ins Auge gefassten Verfahren zuverlässig seien.

Anfang Dezember verabschiedete die Uno- Generalversammlung eine von Südafrika eingereichte Initiative, welche die Uno-Mitgliedsstaaten ersucht, an der Ausgestaltung eines einfachen und realisierbaren globalen Zertifizierungssystems mitzuarbeiten. Ein Bericht über die erzielten Fortschritte zu diesem Vorhaben soll innerhalb Jahresfrist vorliegen. Die für die Uno-Mitgliedsstaaten nicht bindende Resolution wurde unter anderem von Belgien, Botswana, Kanada, Zypern,Kongo-Kinshasa, Namibia, Sierra Leone, Grossbritannien und den USA unterstützt. Demgegenüber meldeten die Vertreter Indiens und Russlands Vorbehalte an, da sie negative Auswirkungen für ihre eigenen Diamantenindustrien befürchten.

Der HRD hat ferner am World Diamond Congress die Öl- und Waffenindustrie aufgefordert, ihr eigenes Haus in Ordnung zu bringen. Es dürfe nicht sein, dass die Diamantenindustrie wegen jedes kleinen Edelsteins gerügt werde, der auf illegale Weise aus Afrika herausgelange, während in der Gegenrichtung Militärflugzeuge und Panzer ungehindert passierten. Der HRD befürchtet übrigens als Folge der strengeren Kontrollen keine Verluste. Je früher die aus dubiosen Quellen stammenden Edelsteine Antwerpen verliessen oder ganz umgingen, desto besser, lautet der offizielle Standpunkt.

Plan für Embargo gegen Liberia

New York, 20. Dez. (ap) Eine Kommission der Uno hat sich für ein Verbot des Handels mit Diamanten aus Liberia ausgesprochen. Das vom Sicherheitsrat eingesetzte Gremium erklärte, mit «Blutdiamanten» würden mehrere Bürgerkriege in Westafrika finanziert. Liberia müsse nachweisen, dass es keine von der sierra-leonischen Rebellenorganisation Revolutionary United Front eingeschmuggelten Diamanten verkaufe.

Aus: Neue Zürcher Zeitung, 21. Dezember 2000

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