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Afrikas "rechtmäßige Rolle" wird kommen

UNIDO-Direktor Scholtès: Agrobusiness kann den Kontinent aus der Armut führen


Philippe Scholtès ist Direktor der Agrarwirtschaft bei der UN-Organisation für Industrielle Entwicklung (UNIDO). In der UN-Zentrale in Wien erläutert er gegenüber unserem Korrespondenten Markus Schönherr, wie Afrika mit Hilfe seiner Landwirtschaft bald der Armut entfliehen könnte.

nd: Wie steht es um die Industrialisierung südlich der Sahara, und welche Rolle spielt der Agrarsektor?

Scholtès: Wohlstand bringt die (verarbeitende) Industrie bisher nur den wenigsten afrikanischen Staaten. In den meisten von ihnen erwirtschaftet sie weniger als zehn Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP). Aber die extraktive Industrie - Diamanten, Öl und andere Bodenschätze - bescherten Afrika zuletzt hohe Wachstumsraten. Mit dem Beginn der globalen Ernährungskrise realisierte man in weiten Teilen der Welt, dass man ein neues globales System der Nahrungssicherheit finden muss. Das hat auch das Interesse von Unternehmen geweckt, in der Nahrungsindustrie einzusteigen. Bis zum Beginn der neuen Dekade gab es praktisch keine Investoren im Agrosektor, aber innerhalb von drei Jahren steckten Unternehmen plötzlich Milliarden in diesen Bereich. UNIDO glaubt, Agrobusiness könnte den Kontinent aus der Armut führen.

Dazu fordern Sie »nachhaltiges Wachstum«.

Ja, denn Wachstum wird viel zu oft am BIP gemessen. In Afrika haben wir das größte Wachstum, aber das allein reicht nicht: Es bleibt in den Händen weniger. Wenn dies zu sozialen Unruhen führt wie in Sierra Leone oder Südafrika, dann ist es nicht nachhaltig. Sierra Leone war einmal ein Staat mit prosperierender landwirtschaftlicher Produktion, bis die Förderung von Diamanten dies verdarb. Afrika ist heute ein typisches Beispiel für die »holländische Krankheit«: Man stößt auf Öl oder Diamanten, und es bildet sich eine reiche Elite. Die Lebensmittelpreise steigen, jedoch nicht nur für die Elite, sondern für alle.

Wie arbeitet UNIDO vor Ort?

2008 schloss sich UNIDO mit der Organisation für Ernährung und Landwirtschaft und dem Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung zusammen. Wir leisten technische Assistenz, vernetzen kleine Farmer mit dem globalen Markt, und mit der Afrikanischen Entwicklungsbank finanzieren wir Projekte. In Ghana zum Beispiel bat uns die Regierung, die Baumwollproduktion wieder zu beleben; in der Demokratischen Republik Kongo beauftragte uns die Regierung, die Nahrungsversorgung für die Hauptstadt Kinshasa zu sichern.

Weshalb ist Industrialisierung für Afrika so wichtig?

Der Kontinent ist traditionell leistungsschwach. Wir haben erkannt, dass Industrialisierung aber eine treibende Kraft für die Entwicklung ist. Afrika fehlen die wichtigen Schritte in der Produktionskette, es ist meist nur Rohstofflieferant. 95 Prozent der Baumwolle verlassen den Kontinent im Rohzustand. Wir müssen landwirtschaftlichen Produkten einen höheren Wert geben.

Kann Afrika seiner traditionellen Rolle entfliehen?

Die billigen Löhne erklären den »Erfolg« vieler Länder. Doch ab einem gewissen Punkt werden die Arbeiter ihren Anteil am Wachstum verlangen. Die Gewinner von gestern werden nicht unbedingt die Gewinner von morgen sein. Afrika hat zudem ein Gut, das mit der wachsenden Bevölkerung immer teurer wird: freies Land.

Wo liegen die Schwierigkeiten für industrielle Entwicklung? Will ich in Europa in das Lebensmittelgeschäft einsteigen, muss ich mich nicht um Strom- und Telefonanschluss oder Zulieferer sorgen. Wohl aber in Entwicklungsländern. Dort fehlt das Umfeld.

UNIDO spricht von der »rechtmäßigen Rolle Afrikas im Welthandel«. Bisher hatte Afrika die leiseste Stimme im globalen Handel. Dies steht im Widerspruch zu der Bevölkerungszahl von über einer Milliarde Menschen. Unter einer rechtmäßigen Rolle verstehen wir ein gesundes Verhältnis zwischen Bevölkerung und Wachstum.

Nord-Süd oder Süd-Süd? Welche Kooperation treibt das Wachstum mehr voran?

Weder, noch. Ich denke, dass beides funktionieren muss. Die globale Dynamik verändert sich schnell. Hatten wir früher eine ausschließliche Nord-Süd-Debatte, sitzt die Kaufkraft heute zunehmend auf der südlichen Hemisphäre. Das sollte man nicht ignorieren. Wir raten Unternehmen in Afrika, sich nicht auf ihre Region oder die EU zu versteifen, sondern auch die Möglichkeiten dazwischen auszukosten: etwa die afrikanischen Nachbarn oder den asiatischen Markt.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 05. März 2013


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