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Marx im Wohnzimmer

Sri Lanka hat einen neuen Präsidenten. Welchen Kurs wird Maithripala Sirisena einschlagen?

Von Hilmar König/Neu-Delhi *

Sri Lankas neuer Präsident, der 63jährige Maithripala Sirisena, steht vor enormen Herausforderungen. Wer ist dieser Politiker? Welchen Kurs wird er einschlagen? Sirisena, seit Freitag voriger Woche – nach einem Wahlsieg mit 51,3 Prozent Stimmenanteil gegenüber 47,6 Prozent für seinen Gegner – im Amt, bevorzugt die leisen Töne. Rajapaksa, der sich im Wahlkampf sarkastisch als »bekannter Teufel« bezeichnete, klebte dem Herausforderer das Etikett »unbekannter Engel« ans Revers. Unbekannt mag für das Ausland zutreffen. In Sri Lanka jedoch ist Maithripala Sirisena durchaus kein unbeschriebenes Blatt. Bis zum November vorigen Jahres war er ein treuer Gefolgsmann Rajapaksas. Erst die wuchernde Korruption unter dessen Regime veranlasste ihn zum Aussteigen.

Seit 1967 in der Freiheitspartei (SLFP), machte er langsam, aber stetig Karriere, kam 1981 ins Politbüro seiner Partei, 1989 ins Parlament und stieg schließlich zum Generalsekretär der SLFP auf. Er bekleidete verschiedene Ministerposten, darunter für Landwirtschaft, Bewässerung, Umwelt, zeitweilig Verteidigung und zuletzt, bevor er Rajapaksa den Rücken kehrte, Gesundheit. In der Westprovinz hat der Bauernsohn in der Umgebung von Pollonaruwa seine Hausmacht. Dort studierte er, marxistischem Gedankengut nicht abgeneigt, an der Agrarschule. Als 19jähriger kam er für 15 Monate ins Gefängnis, wegen angeblicher Beteiligung an einem Aufstand der linksextremen Volksbefreiungsfront JVA. 1980 erwarb er am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau ein Diplom in Politikwissenschaften. Der singhalesische Nationalist gilt als Bewunderer Mahatma Gandhis. Doch in Sirisenas Wohnzimmer hingen neben dessen Porträt bis vor kurzem laut einem Bericht in der Zeitung The Hindu auch Bilder von Karl Marx und von Lenin.

Die Herausforderungen, vor denen das neue Staatsoberhaupt steht, sind enorm. Zunächst muss er seine »Regenbogenkoalition« namens »Neue Demokratische Front« zusammenhalten und konsolidieren. Sie besteht aus religiös geprägten, nationalistischen, rechten und linken Parteien, die zudem Interessenvertreter der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit oder der tamilischen und muslimischen Minderheiten sind. Er muss alles besser machen als das alte Regime, dem er den Zusammenbruch von Recht, Gesetz und Ordnung vorwirft. Der äußert sich seiner Ansicht nach in Korruption, Vetternwirtschaft und Betrug, im Plündern und Verschwenden nationaler Ressourcen, in der Unfähigkeit, nationale Prioritäten zu setzen, in der Verursachung von Umweltschäden, im moralischen und spirituellen Verfall der Gesellschaft sowie in einer inkompetenten und naiven Außenpolitik. Er braucht für seine Vorhaben die Unterstützung der bisherigen Regierungskoalition, deren Abgeordnete im Parlament eine deutliche Mehrheit bilden. Viele von ihnen betrachten Sirisena als Verräter.

Der neue Kurs ist im Wahlmanifest klar abgesteckt. Eine Regierung der Nationalen Einheit soll ein Hundert-Tage-Programm umsetzen. Dessen Kern bildet die Abschaffung des bestehenden Exekutivpräsidialsystems. Es wird ersetzt durch ein starkes Parlament, das mit dem Kabinett verbunden ist. Dafür sind Änderungen und Ergänzungen der Verfassung erforderlich. Der Oppositionspolitiker Ranil Wickremesinghe von der rechten Vereinten Nationalpartei ist bereits zum neuen Premier ernannt worden. Den hundert Tagen folgen Parlamentswahlen. Die dann zu bildende Regierung wird ein Sechs-Jahres-Programm verwirklichen. Danach endet die Amtszeit von Präsident Sirisena.

Das Manifest widmet sich der Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen. Es enthält eine Reihe von Wohlfahrtsmaßnahmen, Schritte zur Nahrungsmittelsicherheit und nachhaltiger Landwirtschaft. Es favorisiert eine Gesundheitsbetreuung für alle, eine radikale Bildungsreform, die Förderung der Industrie und Dienstleistungen sowie den Abbau der Arbeitslosigkeit. Es verspricht die Förderung des staatlichen Sektors, die Energiesicherheit und garantiert die Pressefreiheit. Die internationalen Beziehungen sollen der Verteidigung der Souveränität Sri Lankas dienen und das Verhältnis zu Indien, China, Pakistan und Japan verbessern. Professor Jayadeva Uyangoda von der Colombo University sieht die Möglichkeit, »eine neue Version der Blockfreiheit zu etablieren: nicht feindlich gegenüber dem Westen, nicht so abhängig von China und recht entspannt mit Indien«.

Vage bleibt Sirisenas Vision zum ethnischen Konflikt mit der tamilischen Minderheit. Keine Andeutungen zur Aussöhnung oder zu Vorstellungen über eine politische Lösung. Doch die sind unabdingbar, wenn er wie versprochen einen Kurswechsel und eine »neue politische Kultur« anstrebt.

* Aus: junge Welt, Montag, 12. Januar 2015


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