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Obama will Pakistan und Afghanistan antreiben

USA verlangen mehr Gemeinsamkeit im Kampf gegen Taliban / Abermals hunderte Zivilisten getötet

Von René Heilig *

Die USA wollen Pakistan und Afghanistan zum entschlosseneren und gemeinsamen Kampf gegen die Taliban drängen. Im Grunde ist das auch ein Eingeständnis eigenen Unvermögens.

Präsident Barack Obama sei angesichts der Sicherheitslage »sehr besorgt«, erklärte sein Sprecher Robert Gibbs, noch bevor gestern (6. Mai) in Washington die Gespräche mit dem pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari und seinem afghanischen Kollegen Hamid Karsai begannen. In Einzelunterredungen und bei einem gemeinsamen Treffen will Obama von beiden mehr Zusammenarbeit und vor allem mehr Effektivität im Kampf gegen die Aufständischen verlangen. Es geht um ein regionales Bündnis zwischen den USA, Pakistan und Afghanistan.

Besonders die jüngste Entwicklung im islamischen Atomwaffenstaat Pakistan beunruhigt die USA.

Der US-Sondergesandte für die Region, Richard Holbrooke, hatte am Dienstag vor dem Kongress betont: »Wir müssen größtmöglichen Druck auf unsere Freunde in Pakistan ausüben, damit sie sich unserem Kampf gegen die Taliban und deren Verbündete anschließen. Wir können in Afghanistan ohne die Unterstützung und Beteiligung Pakistan keinen Erfolg haben.«

Nicht zufällig hat die pakistanische Armee vor dem Washington-Besuch ihres Präsidenten eine Art Offensive vorgetragen. Es wird um die Kontrolle der Stadt Mingora im Swat-Tal gerungen. Beobachter sprechen von mehr als 100 Toten und von Flüchtlingskolonnen.

Trotz aller behaupteten Sicherheitsregeln hat die US-Luftwaffe in Afghanistan am Dienstag (5. Mai) abermals zahlreiche Zivilisten getötet. Afghanische Quellen wie das Rote Kreuz bestätigten die Angriffe auf zwei Dörfer der Provinz Farah, bei denen über 100 Zivilisten getötet worden sein sollen. Karsai verurteilte den Vorfall und ordnete eine Untersuchung an. Er werde das Thema beim Treffen mit Obama in Washington zur Sprache bringen

US-Militärexperten machen eine zu geringe Präsenz von Bodentruppen für solche »Kollateralschäden« verantwortlich. Obama hat bislang eine massive Verstärkung der US-Truppen in Afghanistan befürwortet. Bis zur Präsidentenwahl im August will er 21 000 zusätzliche US-Soldaten in den Krieg schicken. Nun deutet sich jedoch ein sanfter Kurswechsel an. Obama bat den US-Kongress, in den nächsten fünf Jahren 7,5 Milliarden Dollar für Pakistan bereitzustellen. Damit sollen Schulen gebaut, die Gesundheitsversorgung sowie das Rechtssystem verbessert werden. Man will der pakistanischen Regierung unter dem schwachen Präsidenten helfen, die Bevölkerung zu gewinnen.

Bei Kundus ist erneut ein Bundeswehr-Konvoi attackiert worden. Kein deutscher Soldat sei verletzt, über Verluste auf Seiten der Angreifer könne man nichts sagen, erklärte das Einsatzführungskommando (am 6. Mai).

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009


Über hundert Tote durch US-Bombenterror

Luftangriff auf zwei afghanische Dörfer: »Jeweils Dutzende Leichen« in den betroffenen Orten **

Die US-Besatzungstruppen in Afghanistan richteten im Westen des Landes ein Blutbad an. Bis zu 120 Zivilpersonen wurden nach Behördenangaben bei Luftangriffen der Airforce auf zwei Dörfer am Montag abend getötet. Weitere Opfer würden derzeit noch aus den Trümmern geborgen, sagte am Mittwoch der frühere Bezirkschef von Bala Baluk, Mohammad Nieem Kadderdan. Das Rote Kreuz bestätigte den Tod von mehreren dutzend Zivilpersonen. Mitarbeiter der Hilfsorganisation sahen in den betroffenen Orten in der Provinz Farah »jeweils Dutzende Leichen«, darunter auch Frauen und Kinder.

Dorfbewohner aus Gerani berichteten am Dienstag von schweren Luftangriffen. Sie brachten aus Protest rund 30 Leichen zum Sitz des Gouverneurs der Provinz Farah. Es sei schwierig gewesen, die genaue Zahl der Toten zu ermitteln, weil die Körper schwer verstümmelt gewesen seien, sagte ein Mitglied des Provinzrats, Abdul Basir Khan. Andere Behördenvertreter sprachen von 70 bis 100 Toten. Augenzeugen erklärten, Frauen, Kinder und ältere Männer hätten sich in nahen Gehöften vor den Kämpfen versteckt. Kampfflugzeuge sollen diese jedoch bombardiert haben.

Wie bereits bei vergleichbaren Attacken in der Vergangenheit verurteilte der US-gestützte Präsident Hamid Karsai auch diesmal den »Vorfall als inakzeptabel«, so die Agentur AP, und ordnete eine Untersuchung an. Erneut wollte er zudem das Thema bei der Besatzungsmacht ansprechen – diesmal während seines Besuchs bei US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus am Mittwoch (nach jW-Redaktionsschluß). An dem Treffen in Washington zur Lage in der kriegsgeschüttelten Region sollte auch Pakistans Staatschef Asif Ali Zardari teilnehmen.

Unterdessen meldeten die deutschen Besatzungstruppen am Mittwoch erneut einen »Anschlag«. Eine Patrouille sei 25 Kilometer östlich von Kundus angegriffen worden. Bei dem Schußwechsel sei niemand verletzt worden.

** Quelle: AP/AFP/junge Welt, 7. Mai 2009

Letzte Meldungen

Erneut Angriff auf Bundeswehrpatrouille in Afghanistan

Im Norden Afghanistans ist erneut eine Patrouille der Bundeswehr angegriffen worden: Wie das Einsatzführungskommando der Bundeswehr bei Potsdam mitteilte, wurde die Patrouille des Regionalen Wiederaufbauteams (PRT) der Bundeswehr in Kundus rund zwölf Kilometer westlich der Stadt mit Handfeuerwaffen und Raketenwerfern beschossen. Deutsche Soldaten seien nicht verletzt worden.

Nach dem Angriff erwiderte die Bundeswehrpatrouille das Feuer und setzte den Angreifern nach. Dabei sei die Patrouille gut eine halbe Stunde später erneut aus unbekannter Richtung beschossen worden, ohne dass Bundeswehrsoldaten verwundet worden seien. Über Verluste auf Seiten der Angreifer liegen vorerst keine Informationen vor. Auch über deren Identität ist noch nichts Genaueres bekannt. Das Bundeswehrfeldlager im nordafghanischen Kundus ist immer wieder das Ziel von Angriffen islamistischer Taliban-Rebellen.

Bei einem Selbstmordanschlag in Helmand wurden 32 Menschen nach Angaben der Behörden verletzt, als ein Attentäter sein mit einer Bombe beladenes Motorrad in der Nähe eines Konvois aus einheimischen Sicherheitskräften und Soldaten der NATO-Truppe ISAF in die Luft sprengte.

AFP, 7. Mai 2009

Bundeswehr fasst mutmaßlichen Anschlagsplaner in Afghanistan

Deutsche Elitesoldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) haben in Afghanistan einen mutmaßlichen Drahtzieher mehrerer Anschläge gefasst: Abdul R. sei in unwegsamem gebirgigen Gelände rund 60 Kilometer vom nordafghanischen Faisabad entfernt von deutschen ISAF-Spezialkräften und afghanischen Sicherheitskräften gestellt und festgenommen worden, teilte das Bundesverteidigungsministerium am 7. Mai in Berlin mit. Bei dem Einsatz sei ein deutscher Soldat verletzt worden. Er werde im Regionalen Wiederaufbauteam (PRT) Faisabad behandelt, sein Zustand sei stabil.

Der Verdächtige ist laut Ministerium verantwortlich für einen Anschlag auf eine deutsche Patrouille am 26. Juni vergangenen Jahres, für Anschlagsplanungen mit Sprengfallen gegen die NATO-Truppe ISAF im Juli 2008 sowie für einen Anschlag auf den Konvoi des Provinzgouverneurs von Badakschan im November 2008. R. solle unverzüglich der Staatsanwaltschaft des afghanischen Inlandsgeheimdienstes in Kabul überstellt werden, teilte das Ministerium weiter mit.

"Spiegel Online" hatte zuvor berichtet, dass der Festnahme durch die KSK eine dramatische Verfolgungsjagd im afghanischen Hochgebrige vorausging. Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) erklärte, mit dem erfolgreichen und lange vorbereiteten Einsatz gegen Razeq hätten die deutschen Spezialkräfte ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt. "Jeder, der unsere Soldaten und die unserer Alliierten in Afghanistan angreift, muss wissen, dass er bekämpft und zur Verantwortung gezogen wird", fügte der Minister hinzu.

AFP, 7. Mai 2009

Obama will mehr Schutz für Zivilisten

Washington (AFP/ND). Nach dem Tod Dutzender Zivilisten durch US-Luftangriffe in Afghanistan hat US-Präsident Barack Obama mehr Schutz für die Zivilbevölkerung versprochen. Die USA würden »alle Anstrengungen unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden«, sagte Obama nach einem Treffen mit den Präsidenten Afghanistans und Pakistans in Washington.

In Afghanistan protestierten unterdessen Hunderte Menschen gegen die US-Truppen.

Obama lobte nach dem Dreiergipfel mit dem afghanischen Staatschef Hamid Karsai und seinem pakistanischen Kollegen Asif Ali Zardari den Willen zu einer »nie da gewesenen Zusammenarbeit«. Der Kampf gegen aufständische Islamisten in Afghanistan und Pakistan sei eine schwierige Aufgabe. Es werde »noch mehr Gewalt und auch Rückschläge geben«, sagte er. Karsai und Zardari seien sich der ernsten Bedrohung bewusst und hätten ihre Entschlossenheit bekräftigt, dagegen vorzugehen. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton sprach von »vielversprechenden ersten Signalen«. Karsai sagte nach dem Treffen, Pakistan und Afghanistan seien »siamesische Zwillinge«. Afghanistan werde alles dazu tun, beiden Ländern Frieden und Wohlstand zu bringen. Zardari versicherte seinerseits, dass die pakistanische Demokratie ihren Aufgaben gewachsen sei.

Neues Deutschland, 8. Mai 2009



Flucht am Hindukusch

Von Rainer Rupp ***

Im Nordwesten Pakistans haben die Regierungstruppen ihre Offensive gegen die Taliban am Donnerstag massiv verstärkt. Dadurch, so Sebastien Brack vom Internationalen Roten Kreuz in Islamabad, sei eine »schwere humanitäre Krise« ausgelöst worden. Hunderttausende Menschen versuchten, den Bombardierungen durch die pakistanische Luftwaffe, den Raketen- und Maschinengewehrangriffen der Kampfhubschrauber und dem Beschuß durch schwere Artillerie zu entkommen. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen erwarten, daß sich etwa 800000 weitere Menschen auf den Weg aus den Kampfgebieten heraus machen würden. Damit würde der anhaltende Flüchtlingsstrom dramatisch anschwellen.

Berichten zufolge tut sich die pakistanische Regierung schwer, den Flüchtlingen zu helfen. Dieser Umstand verschärft die ohnehin bereits vorhandene politische Instabilität noch weiter. Mit Sorge verfolgen daher große Teile des pakistanischen Establishments, wie ihr innenpolitisch schwacher, auf Washingtons Hilfe hoffender Präsident Asif Ali Zardari immer größere Teile Pakistans auf US-Druck in Kampfgebiete verwandelt. Davon kann ihrer Meinung nach letztlich nur der pakistanische »Erbfeind« Indien profitieren. Dieser wiederum wird als Verbündeter der USA gesehen. Vor diesem Hintergrund mehren sich auch international die Sorgen über ein bevorstehendes Auseinanderbrechen des Atomwaffenstaates Pakistan.

Unterdessen propagierte US-Präsident Barack Obama am Mittwoch (6. Mai) in Washington eine Ausdehnung der grenzübergreifenden Kampfhandlungen in der Region. Nach Gesprächen mit seinen afghanischen und pakistanischen Kollegen prophezeite er eine weitere Zuspitzung der militärischen Lage im »Kampf gegen den Terror«: »Es wird noch mehr Gewalt geben, und es wird Rückschläge geben«, sagte der Präsident nach der Unterredung mit Hamid Karsai und Asif Ali Zardari im Weißen Haus. Der gemeinsame Weg werde »kein leichter« sein. Zugleich lobte Obama die Zusammenarbeit der Nachbarländer. Vor allem bei der Überwachung der afghanisch-pakistanischen Grenze müsse eng zusammengearbeitet werden, um den »gemeinsamen Feind zu bekämpfen«, sagte der US-Präsident.

Das Treffen sollte helfen, die in letzter Zeit entstandenen Spannungen zwischen Afghanistan und Pakistan und den USA über die Methoden zur Bekämpfung der Taliban zu glätten. Insbesondere Pakistan stand im Fokus der US-amerikanischen Kritik, die dem Zardari-Regime vorwirft, im eigenen Land nicht genug gegen die Aufständischen zu tun. Obamas Nationaler Sicherheitsberater, Exgeneral James Jones, erklärte später, daß sich der pakistanische Präsident resolut zu einer verschärften »Bekämpfung der Extremisten« bereit erklärt habe.

Derweil intensivieren sich in Afghanistan wieder die Kämpfe zwischen ausländischen Okkupanten und einheimischen Kräften des Widerstandes. So berichtete jetzt das US-Militärblatt Navy Times, daß die US- und NATO-Luftwaffen im April dieses Jahres einen neuen Rekord bei der Anzahl der Bombenabwürfe aufgestellt haben. Mit weiteren »Kollateralschäden« wie am Montag abend, als bei US-Luftangriffen über hundert afghanische Zivilisten getötet wurden, muß daher gerechnet werden.

*** Aus: junge Welt, 8. Mai 2009


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