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USA räumten Kriegsverbrechen endlich ein

Pentagon-Bericht: Bei Militäraktion vom 22. August in Afghanistan starben 33 Zivilisten

Lange hatten die US-amerikanischen Besatzer in Afghanistan die Zahl der zivilen Opfer eines ihrer Luftangriffe geleugnet. Ein Bericht des Pentagon musste nun weit mehr Tote als bisher einräumen.

Laut einem neuen Report des US-Verteidigungsministeriums vom Mittwoch (Ortszeit) starben bei der Militäraktion gegen Rebellen im Dorf Asisabad in der westlichen Provinz Herat am 22. August 33 Zivilisten und 22 Rebellen. Afghanischen Angaben sowie einem UN-Report zufolge waren bei dem Vorfall 90 Zivilisten ums Leben gekommen, darunter 60 Kinder. [Siehe: Wut und Trauer nach US-Luftangriff.]

Das US-Militär hatte bislang von sieben getöteten Zivilisten sowie 30 bis 35 toten Rebellen gesprochen. Nach Angaben der »New York Times« basieren die neuen Zahlen den USA zufolge auf einer gründlichen Untersuchung des angegriffenen Ortes, auf Gesprächen mit Dorfbewohnern und neuem Beweismaterial, darunter mit Handys aufgenommene Videos.

Der amtierende Chef des für die Region zuständigen US-Zentralkommandos, Martin Dempsey, behauptete, das US-Militär tue alles, was in seinen Kräften stehe, um zivile Opfer zu vermeiden. »Unglücklicherweise erleben wir zu oft, dass sich der gewissenlose Feind routinemäßig mit unschuldigen Menschen umgibt.« So sei es auch im Fall Asisabad gewesen. Die US-Truppen und die afghanischen Streitkräfte hätten nicht gewusst, dass sich Zivilisten in der Nähe befanden, als sie mit dem Luftangriff auf eine Rebellenattacke reagiert hätten.

Bei Gefechten zwischen Taliban und Sicherheitskräften in Afghanistan sind in den vergangenen Tagen mindestens 40 Menschen getötet worden. Seit Jahresbeginn kamen landesweit mehr als 4000 Menschen ums Leben.

US-Geheimdienste haben nach Medienberichten in einer geheimen Studie ein äußerst düsteres Bild von der Lage in Afghanistan gezeichnet. Danach befindet sich das Land in einer »Abwärtsspirale«, und es bestehen ernste Zweifel an der Fähigkeit der afghanischen Regierung, den wachsenden Einfluss der Taliban einzudämmen. Den Zeitungen »New York Times« und »Washington Post« zufolge ist diese Einschätzung im Entwurf für einen nationalen Geheimdienstbericht enthalten.

Die in der Regierung von Präsident Hamid Karsai wütende Korruption habe den Zusammenbruch zentraler Autorität ebenso beschleunigt wie die wachsende Gewalt durch Militante von Zufluchtsorten in Pakistan aus.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Oktober 2008


NATO eröffnet neue Afghanistan-Front **

Die NATO-Truppen in Afghanistan sollen fortan nicht mehr nur gegen Widerstandskämpfer vorgehen, sondern auch Drogenhändler und Heroinlabore ins Visier nehmen. Das beschlossen die Verteidigungsminister der NATO-Staaten am Freitag (10. Okt.) in Budapest. Auf eine Ermächtigung zur Drogenbekämpfung hatten vor allem die USA und Großbritannien gedrungen. US-Verteidigungsminister Robert Gates zeigte sich denn auch »extrem zufrieden«. Nun könne die Afghanistan-Truppe »die Drogenhändler ins Visier nehmen, die den Aufstand anfeuern, Afghanistan destabililsieren und unsere Soldaten töten«, sagte ein Pentagon-Sprecher.

Die Bundeswehr wird sich nach Angaben von Wehrminister Franz Josef Jung »auf eine Unterstützung der afghanischen Drogenfahnder beschränken«. Die entsprechenden Aufgaben seien durch das Afghanistan-Mandat gedeckt. Der Bundestag soll in der kommenden Woche eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes und eine Aufstockung des deutschen ISAF-Kontingents von 3500 auf bis zu 4500 Soldaten beschließen. Vom Antidrogenkampf war bis dato nicht die Rede.

Zeitgleich mit dem neuen Kampfauftrag für die Bundeswehr in Afghanistan wurde in Berlin die Einführung eines neuen Ordens verkündet. »Die Einführung eines Tapferkeitsordens illustriert, daß sich die Bundeswehr dauerhaft in ihrer Rolle als weltweit agierende Einsatztruppe einrichten will«, kritisierte der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion, Paul Schäfer.

Der frühere Bundeswehrgeneral Klaus Reinhardt forderte unterdessen eine Strategie für einen Truppenabzug vom Hindukusch. »Wir sind das sechste Jahr in Afghanistan, aber wie das enden soll, weiß kein Mensch«, sagte er der Heidelberger Rhein-Neckar-Zeitung (Freitagausgabe, 10. Okt.). »Immer nur mehr Soldaten zu fordern, bringt nichts.« Die Politik drücke sich um das Wort »Kampfeinsatz«, kritisierte Reinhardt. »Die Jungs vor Ort werden beschossen und laufen auf Minen – für die ist das Krieg.« (AFP/AP/ddp/jW)

** Aus: junge Welt, 11. Oktober 2008


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