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Schwedischer Hinterhalt

Von Regina Müller *

Im April veröffentlichte die Internetplattform WikiLeaks ein Memorandum des US-Geheimdienstes CIA, in dem Taktiken zur Beeinflussung der europäischen Öffentlichkeit festgelegt wurden, um der starken Ablehnung des Afghanistan-Krieges entgegenzuwirken. Nachdem das Portal im Juli dann Zehntausende Geheimdokumente des Pentagon über die Lage in Afghanistan ins Netz gestellt hatte und jüngst auch noch ankündigte, weitere 15000 Materialien auf der Plattform zugänglich zu machen, ist WikiLeaks nun offenbar selbst ins Visier der Geheimdienste geraten.

Am Wochenende informierte WikiLeaks über den Kurznachrichtendienst Twitter, man sei vor »schmutzigen Tricks« gewarnt worden. »Jetzt haben wir den ersten.« Gemeint war damit ein Haftbefehl, den die schwedische Staatsanwaltschaft am Sonnabend vormittag (21. Aug.) wegen des Verdachts auf Vergewaltigung und Belästigung gegen WikiLeaks-Gründer Julian Assange erlassen hatte. Nur vier Stunden, nachdem die Meldung darüber von den Agenturen verbreitet worden war, stellte Stockholm die Fahndung wieder ein. »Die leitende Staatsanwältin Eva Finné hat entschieden, daß Julian Assange nicht der Vergewaltigung verdächtigt wird«, hieß es knapp in der kurzen Mitteilung. Assange selbst teilte über Twitter mit: »Diese Vorwürfe entbehren jeder Grundlage, und daß sie zu diesem Zeitpunkt erhoben werden, ist zutiefst beunruhigend.« Außerdem erinnerte das Portal an ein von ihm selbst im März 2010 veröffentlichtes Dokument aus dem Jahr 2008, in dem der Geheimdienst der US-Armee detailliert Planungen zur Zerschlagung von WikiLeaks festgehalten hat.

In einem am Sonntag (22. Aug.) veröffentlichten Interview mit der schwedischen Zeitung Aftonbladet sprach Assange von einem Komplott des US-Verteidigungsministeriums. »Wir sind gewarnt worden, daß uns beispielsweise das Pentagon böse mitspielen könnte, um uns zu zerstören.« Dabei sei er ausdrücklich auch vor »sexu­ellen Fallen« gewarnt worden, sagte Assange. Sein isländischer Kollege Kristinn Hrafnsson sagte der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, es gebe »mächtige Organisationen, die WikiLeaks schaden wollen«.

Vor gut einer Woche hatte bereits der Afghanistan-Kommandeur der NATO, David Petraeus, dem Internetdienst gedroht, die Veröffentlichung weiterer Geheimdokumente zum Afghanistan-Einsatz wäre »ein Fall von Geheimnisverrat«. Auch der deutsche ISAF-Sprecher Josef Blotz erklärte, das Verhalten von Wiki­Leaks sei nicht nur strafrechtlich relevant, sondern auch »moralisch unverantwortlich«.

Demgegenüber hat US-Filmregisseur Michael Moore angekündigt, sich an den Anwaltskosten für den mutmaßlichen WikiLeaks-Informanten Bradley Manning zu beteiligen. Den wegen Geheimnisverrats angeklagten US-Soldaten lobte Moore gegenüber der Nachrichtenagentur AP als »mutigen Patrioten«, weil er »Kriegsverbrechen« öffentlich gemacht habe. Manning wird vorgeworfen, WikiLeaks das Video zugespielt zu haben, das den Beschuß von Zivilpersonen aus einem US-Militärhubschrauber zeigt und das WikiLeaks im April veröffentlicht hatte. Bei der Militäraktion im Irak waren elf Menschen ums Leben gekommen, darunter ein Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters und dessen Fahrer.

* Aus: junge Welt, 23. August 2010


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