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Kriegsherren gewechselt

Der neue Oberbefehlshaber der Aggressionstruppen in Afghanistan heißt John Allen. Sein Vorgänger David Petraeus wird CIA-Chef

Von Rainer Rupp *

US-General David Petraeus übergab nach einem guten Jahr Amtszeit am Montag (18. Juli) in Kabul das Kommando über die US- und die internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan. Begleitet wurde der Wechsel von neuen Anschlägen: Die Taliban bekannten sich zur Erschießung eines Beraters von Marionettenpräsident Hamid Karsai und eines Abgeordneten. Im Osten des Landes wurden drei NATO-Soldaten getötet, wozu die westliche Kriegsallianz nähere Angaben vermied. Der Polizeichef des Bezirks Argistan in der Provinz Kandahar starb gemeinsam mit seinem Fahrer auf dem Weg zur Arbeit, als eine am Straßenrand plazierte Bombe detonierte.

Nachfolger des bisherigen Besatzungschefs ist General John Allen, bislang stellvertretender Chef des US-Zentralkommandos. Petraeus, der mehr als drei Jahre Kommandeur der Okkupanten im Irak gewesen war, wird in Washington von oppositionellen Republikanern als Kriegerphilosoph und potentieller Präsidentschaftskandidat gefeiert. Der Grund: Er hatte es geschafft, US-Präsident Barack Obama auszutricksen, kurz nachdem der Anfang 2009 ins Amt gekommen war.

Mit Unterstützung des Pentagon und der republikanischen Falken hatte Petraeus damals gegen Obamas Willen die militärische Eskalation am Hindukusch durchgesetzt und 30000 US-Kampfsoldaten mehr erzwungen. Nur wenig später fiel er dem Präsidenten und nominell Oberkommandierenden erneut in den Rücken. Obwohl Petraeus zunächst Obama versichert hatte, ab Mitte 2011 mit dem Rückzug der Verstärkung zu beginnen, sprach er sich schon bald gegen eine Verminderung der Truppenstärke aus, sogar gegen eine nur teilweise Reduzierung. Die Antwort des Präsidenten: Er erfüllte Petraeus nicht den Wunsch, höchster Offizier der USA, d.h. Chef der Vereinigten Stabschefs, zu werden, sondern ernannte ihn zum Direktor der US-Mord- und Folteragentur CIA. Damit hat Obama praktisch einen Widersacher aus dem Weg geräumt, denn in seiner neuen Position kann Petraeus kaum noch Einfluß auf die Militärstrategie nehmen. Und da der »Kriegerphilosoph« über keine geheimdienstlichen Erfahrungen verfügt, besteht sogar die Chance, daß er sich in seinem neuen Job selbst demontiert.

Allerdings hat Petraeus ausreichend Skrupellosigkeit und Zynismus beim Bagatellisieren von Massakern an der Zivilbevölkerung im Irak und in Afghanistan bewiesen, was ihn hinlänglich für den CIA-Chefsessel qualifiziert. Als z.B. Mitte Februar bei Kunar 64 Afghanen, darunter viele Kinder, durch US-Luftangriffe getötet wurden, schreckte er nicht vor der Behauptung zurück, daß »die Afghanen ihre eigenen Kinder verbrennen, um es den Amerikanern anzuhängen«. Zugleich lobte Petraeus ständig die »Fortschritte« in Afghanistan – auch am Montag. Als Beleg zitierte er vor den Medien nimmermüde lange Zahlenreihen, wonach Tausende teils hochrangige Taliban getötet oder gefangengenommen worden seien. Unter den Tisch fallen ließ er dabei, daß über 80 Prozent der sogenannten Terroristen laut US-Dokumenten nach weniger als 14 Tagen aus der Gefangenschaft entlassen wurden. Unter den getöteten angeblichen Taliban dürften ähnlich viele harmlose Bauern sein.

Fest steht: Auf seiten der Okkupationstruppen steigen von Jahr zu Jahr die Verlustzahlen. Die Antwort Washingtons lautet wie stets: Neuer Kommandeur. Allein Obama verschliß seit 2009 bereits drei. Nun gilt Allen als die »genau richtige Persönlichkeit« für den Sieg. Das hatte man auch von seinen Vorgängern stets behauptet.

* Aus: junge Welt, 19. Juli 2011


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