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Kraftprobe in Afghanistan

Karsai fordert US-Truppen auf, die Provinz Wardak binnen zwei Wochen zu verlassen

Von Knut Mellenthin *

Eine ganze afghanische Provinz soll für die berüchtigten Spezialeinheiten der US-Streitkräfte zur No-Go-Zone werden. Innerhalb von nur zwei Wochen sollen die amerikanischen Kommandotruppen das strategisch wichtige Wardak verlassen, das westlich der Hauptstadt Kabul liegt. Damit läßt sich Präsident Hamid Karsai möglicherweise auf eine bisher beispiellose Konfrontation mit der Protektoratsmacht seines Landes ein.

Eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats Afghanistans beschloß am Sonntag darüber hinaus, daß alle ­NATO-Truppen mit sofortiger Wirkung die Operationen ihrer Spezialeinheiten in Wardak einzustellen haben. Die afghanischen Sicherheitskräfte wurden aufgerufen, »Leben und Eigentum der Bevölkerung« der Provinz zu schützen und mit allen Mitteln gegen Gruppen vorzugehen, die »im Namen der Spezialeinheiten unschuldige Menschen belästigen, schikanieren, foltern und ermorden«.

Gemeint sind von den US-Streitkräften angeheuerte, bezahlte und gelenkte einheimische Hilfstruppen, die nicht der Kontrolle Kabuls unterstehen und von den Amerikanern vor Strafverfolgung geschützt werden. Wie aus Berichten hervorgeht, treten sie offenbar häufig direkt als Teil der US-Kommandotruppen auf oder maßen sich unrechtmäßig eine solche Zugehörigkeit an. Die Taten dieser Banden hätten bei der örtlichen Bevölkerung »Ablehnung und Haß hervorgerufen«, heißt es in der Bekanntmachung des Nationalen Sicherheitsrats. Konkret genannt wird als Beispiel aus jüngster Zeit das »Verschwinden« von neun Menschen während einer Operation solcher Kräfte. Bei einem anderen Vorfall sei ein Schüler in der Nacht aus dem Haus seiner Familie entführt worden; seine Leiche sei zwei Tage später mit Foltermerkmalen und durchschnittener Kehle unter einer Brücke gefunden worden.

Abgesehen vom Inhalt der Entscheidung ist auch ihre brüskierende öffentliche Bekanntgabe bemerkenswert. Die Vorgehensweise läßt darauf schließen, daß sich in den führenden Kreisen Afghanistans viel Ärger über das Verhalten der Schutzmacht angesammelt hat. Davon steht zwar nichts in der Erklärung des Sicherheitsrats, aber Karsais Sprecher Aimal Faizi nahm auf einer Pressekonferenz kein Blatt vor den Mund. Amerikanischen Stellen seien schon vor einigen Wochen Fotos und Videos von den Verbrechen ihrer Hilfstruppen vorgelegt worden, berichtete Faizi. Diese hätten daraufhin zunächst Abhilfe versprochen, aber bald ihre Haltung wieder geändert. US-Militärs hätten plötzlich behauptet, die Täter seien verschwunden oder hätten nie für die Amerikaner gearbeitet. Andere hätten bestritten, daß überhaupt Folterungen und Morde vorgekommen seien. Die Sicherheitslage in der Provinz habe sich seit Jahren nicht verbessert, auch nachdem die US-Spezialeinheiten ihre Operationen verstärkt hätten. Die Gewalt habe im Gegenteil sogar noch zugenommen, und die örtliche Bevölkerung mache jetzt die Spezialeinheiten für jeden Zwischenfall verantwortlich. Faizi ließ allerdings auch erkennen, daß der Beschluß des Sicherheitsrats vielleicht nur als Warnung gedacht ist, mit der die USA genötigt werden sollen, über die Mißstände in der Provinz – und wahrscheinlich auch in anderen Landesteilen – ernsthaft zu verhandeln und praktische Schlußfolgerungen zu ziehen.

In einer ersten Stellungnahme der US-Streitkräfte hieß es am Sonntag, man habe die Ankündigung zur Kenntnis genommen. Es handele sich um »ein wichtiges Thema, über das wir mit unseren afghanischen Partnern umfassend zu diskutieren wünschen«. Aber bevor man nicht Gelegenheit zu einem Gespräch mit hochrangigen Vertretern der Regierung in Kabul gehabt habe, werde man keinen Kommentar abgeben

* Aus: junge Welt, Dienstag, 26. Februar 2013


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