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Machtverhältnisse unklar

Endergebnis der Parlamentswahl in Afghanistan verkündet

Gut zwei Monate nach der Parlamentswahl in Afghanistan hat die Bekanntgabe des Endergebnisses keine klare Machtverteilung ergeben.

Da es in dem Land am Hindukusch keine etablierten Parteien gibt, war am Mittwoch unklar, ob die Mehrheit der neuen Abgeordneten Präsident Hamid Karsai unterstützt. Oppositionsführer Abdullah Abdullah erklärte aber, seine Unterstützer hätten mehr als ein Drittel der 249 Sitze erobert. Die Unabhängige Wahlkommission (IEC) gab lediglich die Namen von 238 siegreichen Kandidaten bekannt. Da die meisten als Unabhängige angetreten waren, blieb zunächst offen, welchem Lager sie angehörten. Die Besetzung der elf Sitze der südafghanischen Provinz Ghasni konnte wegen »technischer Probleme« noch nicht veröffentlicht werden.

IEC-Chef Fasil Ahmed Manawi bezeichnete die Wahl vom 18. September als »großen Erfolg«. Das Votum war von Gewalt der Taliban und von Manipulationsvorwürfen überschattet worden. Die Wahlkommission wollte die Ergebnisse ursprünglich Ende Oktober verkünden, ging aber noch weiteren der mehr als 5000 Beschwerden nach. Rund ein Viertel der 5,6 Millionen abgegebenen Stimmen wurde für ungültig erklärt.

Die Kommission erkannte 24 siegreichen Kandidaten wegen Betrugsvorwürfen die Mandate ab. Unter ihnen sollen auch Verbündete Karsais sein, darunter ein Cousin des Präsidenten. Die Gruppe der Paschtunen, der Karsai angehört, kam einem anderen IEC-Mitarbeiter zufolge nur auf 88 Sitze. Sie hatte bisher 112 Mandate inne.

Abdullah kündigte der Regierung scharfen Gegenwind aus der Opposition an. Mehr als 90 Kandidaten, die ihn unterstützen, hätten ein Mandat errungen. »Wir werden im Parlament und auch außerhalb Druck auf die Regierung ausüben, um Reformen und positive Veränderungen zu erwirken und Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen«, erklärte er. Abdullah hatte 2009 aus Protest gegen angeblichen Wahlbetrug durch Karsais Lager seine Kandidatur für die Stichwahl um das Präsidentenamt zurückgezogen.

Der Leiter der Nichtregierungsorganisation Freie und Faire Wahlen in Afghanistan, Nader Naderi, erklärte, es sei noch zu früh, das neue Parlament zu bewerten. »Aber eines ist sehr klar. Darin vertreten sind weiterhin viele schlimme Gesichter«, sagte er in Anspielung auf die Warlords, die das bisherige Parlament dominieren. Vielen von ihnen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Unterdessen zieht das US-Verteidigungsministerium trotz der massiven Truppenaufstockung nur eine verhaltene Erfolgsbilanz des Afghanistan-Einsatzes während der vergangenen Monate. Die Fortschritte im Land seien »unausgewogen«, wobei es mit Blick auf Sicherheit und Regierungsstrukturen lediglich »moderate« Zugewinne gebe, heißt es in einem Pentagon-Bericht für den US-Kongress. Der Report, der zweimal im Jahr erstellt wird, betrachtet den Zeitraum von April bis September.

Nach wie vor gebe es »bedeutende Herausforderungen«, allerdings zeigten sich auch »Anzeichen von Fortschritt«. So komme die Entwicklung der Region um die Hauptstadt Kabul voran. Die Wirtschaftslage bessere sich langsam. Die Zunahme der Gewalt sei vor allem auf die zusätzlichen Truppen zurückzuführen, die Präsident Barack Obama entsandte. Jedoch hätten die Bemühungen, die Nachschubrouten der Taliban über Pakistan und Iran zu unterbrechen und die dortigen Rückzugsgebiete zu verringern, »keine messbaren Ergebnisse« erbracht.

* Aus: Neues Deutschland, 25. November 2010


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