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Afghanistan: Wahlkampf im Schnelldurchgang

Ein Hintergrundbericht über die Wahlvorbereitungen im Iran: 600.000 afghanische Flüchtlinge können wählen

Von Von Cyrus Schayegh, Teheran*

Lisa Ghobar sprüht vor Enthusiasmus, wenn sie von der bevorstehenden afghanischen Präsidentenwahl spricht. Sie ist die einzige Frau im vierköpfigen afghanischen Beratungsteam der Internationalen Organisation für Migration (IOM), die für die rund 600 000 wahlberechtigten AfghanInnen im Iran die Wahl organisiert. In der iranischen Hauptstadt Teheran und sechs Provinzstädten, in denen rund neunzig Prozent der im Iran ansässigen AfghanInnen leben, arbeiten gegen sechzig internationale und einige iranische MitarbeiterInnen praktisch rund um die Uhr. Die afghanische Gemeinschaft wiederum stellt «community mobilizers», WahlhelferInnen, die in den Gemeinden über die Wahl informieren und 8000 AfghanInnen ausbilden, die zusammen mit IOM-MitarbeiterInnen den Wahltag organisieren werden. Die IOM hat erst im Juli grünes Licht dafür erhalten, in Iran eine Wahlinfrastruktur aufzubauen, obwohl schon im April klar war, dass die Wahl stattfinden wird.

Natürlich gebe es logistische Probleme, sagt Frau Ghobar. Man habe erst sehr spät mit den Arbeiten beginnen können. Die in Iran ansässigen Afghanen seien sehr stolz, dass sie endlich wählen könnten - für die meisten sei es das erste Mal. Sie hätten die Iraner um ihre nationalen und regionalen Wahlen beneidet; nun könnten sie selber zur Urne gehen. Besonders stolz ist Frau Ghobar darauf, dass sehr viele afghanische Frauen in den lokalen Wahlkomitees mitarbeiten. Wir blättern durch lange Listen: In den meisten lokalen Sektionen ist die Hälfte der Aktiven Frauen. Die in Iran lebenden Afghaninnen hätten sich von politisch und sozial engagierten iranischen Frauen inspirieren lassen, sagt Ghobar. Doch es ist nur eine kleine Minderheit, die sich engagiert: Es sind meist gebildete Frauen, die zwölf Jahre Schule absolviert haben. Da die Wahl auf einen Samstag (einen Arbeitstag) angesetzt ist, werden viele Männer nicht von der Arbeit weg können - und viele Frauen werden ohne ihre Männer nicht wählen gehen können. Doch es gibt auch Frauen in kleineren Provinzstädten, die das politische Ereignis nutzen und sich organisieren, um in Gruppen zu den Urnen zu fahren. Eine Begeisterung ist spürbar, die nur durch den langjährigen Krieg, das Exil und die relative Sicherheit, die im Iran herrscht, verständlich ist.

Spät hat im Iran nicht nur die Organisation der Wahl, sondern auch der eigentliche Wahlkampf begonnen. In der letzten Septemberwoche haben erst vier von den achtzehn KandidatInnen offizielle Wahlkampfbüros eröffnet. Als Erster hat der Stab des Kandidaten Mohammed Mohakkik, der zu der schiitischen Minderheit der Hasara in Zentralafghanistan gehört, seine Arbeit aufgenommen - noch vor dem Stab von Präsident Hamid Karsai und denjenigen von Junus Kanuni und Sajjed Ischak Gilani. Die fest angestellten Mitarbeiter des Wahlkampfbüros von Mohakkik leben alle seit Jahren im schiitischen Iran. Einige haben Universitätsabschlüsse oder lernen noch in einem religiösen Seminar. Aber auch Arbeiter (viele Afghanen sind im Baugewerbe und in der Strassenreinigung beschäftigt) kommen vorbei, um für einige Stunden mitzuhelfen. Das Büro liegt in Schahr-e Rey, einem südlichen Vorort Teherans. Der Besucher durchquert einen kurzen Korridor, in dem er die Schuhe abstreift, und schon steht er auf dem grünen Spannteppich einer kleinen Wohnung. Die Einrichtung ist aufs Minimum beschränkt: ein neuer Computer, ein Tisch, ein Sofa, ein paar Stühle, ein Telefon mit Faxgerät und Mobiltelefone, die ihre Besitzer auf Trab halten. An den Wänden hängen einige Wahlplakate und mannshohe Porträts des Kandidaten Mohakkik. Im Hinterhof beschreibt ein Mitarbeiter mit geübter Hand in persischer Schönschrift ein langes Banner. Knapp zwei Wochen bleiben noch, um den Wahlkampf in Schwung zu bringen. Das sei nicht viel Zeit, bedauert der Leiter des Stabes, der junge Veterinärmediziner Taher Resai. Aber auch bei ihm überwiegt der Enthusiasmus.

Nach Startschwierigkeiten zeigen sich auch die iranischen Behörden kooperativ. Sie scheinen zwar Bedenken zu haben, dass sich die iranische Bevölkerung an den Wahlen stossen könnte. Nur wenige Moscheen können als Wahllokale genutzt werden; die Urnen werden vor allem in Gymnasien und Amtsgebäuden aufgestellt. Wahlspots werden nur von lokalen Radiostationen ausgestrahlt. Die allermeisten IranerInnen wissen nicht, dass die AfghanInnen auch hier wählen werden. Doch die Regierung bietet der IOM logistische Unterstützung und hat den AfghanInnen für den Wahltag eine ausserordentliche Reiseerlaubnis erteilt, die für längere Reisen benötigt wird. Die IOM benützt die letzte, 2003 erstellte Flüchtlingsstatistik als Planungsgrundlage für die Wahl. Wählen können alle offiziell im Iran registrierten AfghanInnen über achtzehn. Die Statistik wird dringend benötigt, denn die IOM hat weder Zeit noch die logistischen Mittel, die Wahlberechtigten zu identifizieren und ihnen Wahlzettel zuzustellen. Dies wird sicher zu Komplikationen führen. Im Vergleich zu Afghanistan jedoch, wo nicht nur schwere logistische Probleme anstehen, sondern sich auch die Sicherheitslage zusehends verschlechtert, sind die Komplikationen im Iran vor allem technischer Natur und sollten die Wahl nicht deutlich beeinträchtigen.

Der Iran hat ein Interesse an den afghanischen Wahlen. Zusammen mit Pakistan hat das Land im letzten Vierteljahrhundert den Grossteil der afghanischen Flüchtlinge aufgenommen und zum Teil mit Hilfe des Uno-Flüchtlingshilfswerks UNHCR unterhalten. Während im Winter 2001 noch rund 2,3 Millionen - offiziell registrierte - AfghanInnen im Iran lebten und arbeiteten, ist deren Zahl seither auf eine Million gesunken. Der Grund ist einfach: Der Iran hat, ähnlich wie Pakistan, im April 2002 in Zusammenarbeit mit Afghanistan und dem UNHCR ein umfangreiches Repatriierungsprogramm lanciert. Die Rückkehr ist zwar nicht obligatorisch. Aber seit der Vertreibung der Taliban fliessen fast alle Gelder des UNHCR nach Afghanistan. Für den Iran werden immer weniger Mittel bereitgestellt. Da der Iran zudem seine eigenen wirtschaftlichen Probleme hat, steht die Rückführung der Flüchtlinge zuoberst auf der iranischen Prioritätenliste für Afghanistan. Teheran hofft, dass eine erfolgreich abgehaltene Wahl zu mehr Stabilität in seinem östlichen Nachbarland führen wird - die Voraussetzung dafür, dass die afghanischen Flüchtlinge endgültig in ihre Heimat zurückkehren.



Der lange Weg zur Wahl

Am 5. Dezember 2001, wenige Wochen nach der Vertreibung der Taliban aus Kabul, haben vier afghanische Gruppierungen in Bonn ein Abkommen unterzeichnet, das Afghanistan politische Stabilität bringen soll. Die in Kabul herrschende Nordallianz - ein Bündnis aus ehemaligen antisowjetischen Kämpfern, das dank der Hilfe der USA die Taliban abgelöst hatte - machte daraufhin einer Übergangsverwaltung Platz. Zum Übergangspräsidenten ernannt wurde Hamid Karsai, die Nordallianz erhielt die Schlüsselministerien. Im Juni 2002 traten gewählte Delegierte zur «Loja Dschirga», der «Grossen Ratsversammlung», zusammen und wählten Karsai zum provisorischen Staatsoberhaupt. Gemäss Bonner Abkommen hätten bis Ende 2003 Wahlen abgehalten werden sollen. Dieser Zeitplan konnte wegen der anhaltenden Unsicherheit und Schwierigkeiten bei der Registrierung der WählerInnen nicht eingehalten werden.

Die afghanische Wahlkommission entschied, die Urnengänge aufzuteilen und den Staatspräsidenten am 9. Oktober 2004 wählen zu lassen. Die Wahlen für das Parlament sollen im Frühling 2005 stattfinden.

Judith Huber



* Der Beitrag erschien in der Schweizer Wochenzeitung WOZ, 30. September 2004


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