Blut für Öl?
Jürgen Wagner (IMI)* zu Hintergründen des Afghanistankrieges
Je länger der sogenannte "Kampf gegen den Terror" andauert desto
offensichtlicher wird es, dass der Sturz des afghanischen
Taliban-Regimes ein zentrales Ziel der US-Regierung darstellt.
Ausschlaggebend hierfür sind allerdings nicht die schrecklichen
Anschläge des 11. September, sondern vielmehr die geostrategische Lage
Afghanistans, nahe den riesigen Öl- und Gasreserven der kaspischen
Region. Das eigentliche Kriegsziel der USA stellt deshalb "die Kontrolle
der Ölvorräte der Region" dar, wie Ahmed Rashid, einer der führenden
US-Afghanistanexperten, feststellt.
Seit Anfang des Jahres mehrten sich die Berichte, dass insbesondere von
der islamischen Bewegung Usbekistans, die in enger Verbindung zu den
Taliban steht, eine zunehmende Gefahr für die Stabilität Zentralasiens
ausgehe. Ein Bürgerkrieg jedoch würde die Ausbeutung der dortigen
Ressourcen gefährden. Gleichzeitig dürfte man sich erhoffen nach
Beendigung des Krieges, dauerhafte Militärbasen entweder in Afghanistan
selbst oder den angrenzenden Ländern errichten zu können, was ein
langjähriges Ziel der USA darstellt. Nachdem erste Abkommen über eine
Stationierung von US-Militär in Usbekistan getroffen wurden, spricht man
im Pentagon inzwischen ganz offen davon, dass diese Truppen dort
mindestens drei bis fünf Jahre zur "Terrorismusbekämpfung" bleiben
sollen. Hierdurch wird Washington seinen Einfluss in der Region
erheblich vergrößern können.
Der Hauptgrund für die Angriffe dürfte aber in der Rolle Afghanistans
als möglichem Transportkorridor der kaspischen Ressourcen zu suchen
sein. Eine Kontrolle der Transportwege stellt einen kaum zu
überschätzenden strategischen Gewinn dar. Hierfür betreibt Washington
schon seit Jahren eine aggressive Politik, deren Ziel, laut dem Sprecher
des US-Repräsentantenhauses, dass "Brechen des russischen Monopols über
Transportwege für Öl- und Gas, sowie die Förderung des Baus von [...]
Pipelines, die nicht durch den Iran führen" ist.
Als sich die kalifornische Firma UNOCAL Anfang der 90er für den Bau
einer Öl- und Gaspipeline von Turkmenistan über Afghanistan und Pakistan
nach Indien interessierte, eröffnete dies die Chance, endlich den Iran
und Russland im "Pipelinepoker" ausstechen zu können.
Der anhaltende Bürgerkrieg in Afghanistan machte das Projekt aber
unmöglich, weshalb die Taliban, in der Ansicht, eine totalitäre
Regierung in Kabul werde die erhoffte Stabilität für den Bau der
Pipelines gewährleisten, ab 1994 von den USA massiv unterstützt wurden.
Nachdem die US-Regierung den Taliban ab 1998 aufgrund deren
Unterstützung Bin Ladens zunehmend kritischer gegenüberstanden, vor
allem aber weil die Regierung in Kabul die benötigte Stabilität nicht
gewährleisten wurde, legte UNOCAL das Projekt im selben Jahr so lange
auf Eis, bis in Afghanistan der "notwendige Friede und die Sicherheit
[...] sowie eine Regierung die von den Vereinigten Staaten [...]
anerkannt wird" einkehrt, wie die Firma damals erklärte.
Tatsächlich haben sowohl UNOCAL als auch die USA den Plan zum Bau einer
Pipeline durch Afghanistan nie aufgegeben. Der heute innerhalb der
Bush-Regierung für die Region zuständige Zalmay Khalilzad, ein
ehemaliger Berater UNOCALs, schrieb im Winter 2000: "Die Bedeutung
Afghanistans [wird] in den kommenden Jahren noch steigen, wenn die Öl-
und Gasreserven Zentralasiens [...] anfangen eine Führungsrolle auf dem
Energiemarkt der Welt zu spielen. Afghanistan könnte sich als ein
wertvoller Korridor erweisen." Da auch ihm bewusst ist, dass die
afghanischen Regierung dem im Weg steht, forderte er: "Washington muss
die Taliban schwächen. [...] Mit der Zeit sollten sich die USA für eine
Regierung in Afghanistan einsetzen, die mehr im Einklang mit unseren
regionalen Interessen steht."
Spätestens seitdem eine vor kurzem fertiggestellte russische Route zur
Versorgung des europäischen Marktes, die bisher von den USA bevorzugte
Trassenführung durch die Türkei unwahrscheinlich macht, ist ein
Regierungswechsel in Kabul aus US-Sicht dringend erforderlich, um den
damit einhergegangenen Einflussverlust ausgleichen zu können.
Der riesige Markt Indiens, bietet hierfür die einzige Möglichkeit. Da
Indien ein enormes Interesse zeigt, zur Deckung seines rapide steigenden
Energiebedarfs auf kaspische Ressourcen zurückzugreifen, könnte eine von
den USA kontrollierte Pipeline Washington erneut ins "Große Spiel"
zurückbringen. Nur zwei Routen kommen hierfür in Frage, entweder durch
Afghanistan oder den Iran. Bereits 1998 äußerte sich ein Vertreter
UNOCALs bei einer Anhörung vor dem Kongress, dass für eine Versorgung
Indiens aufgrund der US-Sanktionen gegen Teheran, die es US-Firmen
verbieten in iranische Projekte zu investieren, eine afghanische
Pipeline "die einzige mögliche Route" darstellt. Gleichzeitig
veranlasste der anhaltende Bürgerkrieg in Afghanistan die Regierung in
Neu Dehli dazu, sich immer entschiedener für den Bau einer iranischen
Pipeline auszusprechen.
Die Versorgung des strategisch wichtigen Indiens darf aus US-Sicht nicht
in die Hände des erklärten Feindes Iran fallen. Auch würde eine
iranische Route die US-Firmen von den zu erwartenden riesigen Profiten
ausschließen und den, außerhalb des russisch versorgten europäischen,
einzigen wichtigen alternativen Markt für die kaspischen Ressourcen, der
Kontrolle Washingtons entziehen.
Da hiermit das "Große Spiel" zugunsten des Irans und Russlands
entschieden wäre instrumentalisiert die US-Regierung die Terroranschläge
auf perfide Art und Weise, um ihre Interessen in der Region
durchzusetzen zu können.
* Jürgen Wagner ist Vorstand der Informationsstelle Militariserung (IMI)
e.V. in Tübingen.
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