Mehrheit der US-Amerikaner lehnt Krieg am Hindukusch ab
Truppenverstärkung bis Mitte nächsten Jahres
Von Max Böhnel, New York *
Die USA wiederholten am Hindukusch die Fehler der Sowjetunion, sagt
Russlands Botschafter in Kabul, Andrej Awetisjan, mit Blick auf den 30.
Jahrestag des Einmarschs der Sowjetarmee. Das zivile Engagement sei seit
Beginn des internationalen Einsatzes vor acht Jahren sehr vernachlässigt
worden. Der Krieg in Afghanistan könne aber militärisch nicht gewonnen
werden.
Neun Tage nach Barack Obamas Rede in der Militärakademie West Point, in
der der USA-Präsident die Truppenverstärkung um 30 000 Mann in
Afghanistan ankündigte, erhielt der »war president« in Oslo den
Friedensnobelpreis. Am selben Tag versammelte sich vor dem New Yorker
UN-Hauptquartier eine kleine Gruppe von Kriegsgegnern der »War Resisters
League«. In einem Schweigemarsch zogen zwei Dutzend Friedensaktivisten
durch Manhattan. Auf den Schultern trugen sie selbst gebaute Särge, die
an die bereits Getöteten und die zukünftigen Opfer des
Afghanistankrieges erinnern sollten - auf US-amerikanischer wie auf
afghanischer Seite. »Kein Friedensnobelpreis für den Kriegspräsidenten«,
war das Motto dieses stillen Protests. Doch kaum ein Passant nahm davon
Kenntnis. Die Demonstration der 1923 gegründeten »War Resisters League«
war den Medien keine Zeile, keinen Satz wert.
»Obamas Krieg« nannte das wöchentlich erscheinende »Time Magazine« die
jüngsten außenpolitischen Anstrengungen Washingtons. Obama hatte in
seiner West-Point-Rede die Truppenverstärkung »zum schnellstmöglichen
Zeitpunkt« angekündigt und gleichzeitig den »Beginn des Abzugs unserer
Streitkräfte aus Afghanistan« für den Juli 2011 angegeben, also in 18
Monaten. Das Ziel der Truppenverstärkung bestehe darin, die Verankerung
Al Qaidas in Afghanistan zu verhindern. Darüber hinaus würden die USA
die Taliban zurückdrängen, um sie von einer Machtübernahme abzuhalten.
Der Erfolg in Afghanistan sei »unmittelbar mit der Partnerschaft mit
Pakistan verknüpft«. Und die USA würden die afghanische Führung dabei
unterstützen, diejenigen Taliban in die Regierung aufzunehmen, die der
Gewalt abschwörten und die Menschenrechte respektieren.
Die Liste der Auslassungen in Obamas Rede ist lang. Er erwähnte weder,
wann der Truppenabzug abgeschlossen sein wird, noch wie die immensen
Kosten beglichen werden sollen. Die ethnischen Konflikte Afghanistans
und die Zusammensetzung seiner Armee, die über 100 000 privaten Söldner
im Lande sowie die in Afghanistan wie in Pakistan wachsende Opposition
gegen die USA-Präsenz ließ Obama ebenso unerwähnt wie die Rolle der
wichtigsten regionalen Kraft Indien.
Dass der seit acht Jahren geführte Afghanistan-Krieg in der Tat längst
»Obamas Krieg« ist, unterstreichen die Zahlen der auf Seiten der USA
getöteten Soldaten. Ein Drittel, etwa 300, starben in den ersten elf
Monaten seiner Präsidentschaft. Solche Zahlen helfen, das Unbehagen der
US-amerikanischen Öffentlichkeit an dem nach wie vor unpopulären Krieg
zu erklären. In einer von der Nachrichtenagentur AP in Auftrag gegebenen
Umfrage von Mitte Dezember sagten 57 Prozent der Befragten, sie lehnten
den Afghanistan-Krieg ab, während 39 Prozent ihn befürworten. »NBC News«
und das »Wall Street Journal« ermittelten fast zur selben Zeit, dass 56
Prozent einen Abzugsbeginn im Juli 2011 für unwahrscheinlich halten.
Dieser Skepsis steht die veröffentlichte Meinung gegenüber. Die
unabhängige Medienbeobachterorganisation »Fairness and Accuracy in
Media« fand heraus, dass kriegsbefürwortende Kolumnisten, Kommentatoren
und Politiker in viel größerem Maße zu Wort kommen und interviewt werden
als Kriegsgegner oder Skeptiker. In der »Washington Post« ist das
Verhältnis etwa zehn zu eins, in der »New York Times« fünf zu eins.
Derweil arbeitet die Armee mit Hochdruck an der Logistik für die
Truppenverstärkung. Generalstabschef Michael Mullen zeigt sich
zuversichtlich, dass der Großteil der 30 000 Soldaten bis Mitte nächsten
Jahres in Afghanistan ist.
* Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009
Die Kriegssondersteuer
Von Reiner Oschmann **
Die parlamentarische Auseinandersetzung um die Gesundheitsreform in den
USA ist von tiefen Gräben und offenem Hass zwischen Republikanern und
Obamas regierenden Demokraten geprägt, doch in der Finanzierung des
Krieges in Afghanistan gibt es in den Kernpunkten weit gehende
Einigkeit. Das zeigte sich in beiden Kammern des Kongresses, als jetzt
mit großer Mehrheit der Rüstungsetat für das am 1. Oktober begonnene
Haushaltsjahr gebilligt wurde. Die Gegenstimmen bei den Republikanern
wollten vielfach nur noch eine größere Kriegskasse.
Zu Beginn der Weihnachtswoche ist der größte USA-Rüstungshaushalt aller
Zeiten von Präsident und Friedensnobelpreisträger Barack Obama in Kraft
gesetzt worden. Er sieht 636 Milliarden Dollar (436 Milliarden Euro)
vor. 128,3 Milliarden davon sind für die Kriege in Irak und Afghanistan
ausgewiesen. Doch die Regierung hat mit Obamas Afghanistan-Rede in der
Militärakademie in West Point signalisiert, dass allein die angekündigte
Aufstockung um 30 000 weitere US-Soldaten am Hindukusch mindestens
zusätzliche 30 Milliarden Dollar kosten wird.
Die klaren Parlamentsmehrheiten für die neuen Kriegsgelder können nicht
über die wachsende Unruhe unter Obamas Demokraten hinwegtäuschen. Manche
Senatoren wie Russ Feingold (Wisconsin) erklärten ihre Zustimmung für
die Afghanistan-Gelder nur, weil sie so die Taktik der Republikaner
vereiteln wollten, mit einer Verschleppung der Abstimmung über den
Verteidigungsetat indirekt der Gesundheitsreform den Todesstoß zu
versetzen. David Obey, Vorsitzender des einflussreichen
Bewilligungsausschusses im Repräsentantenhaus und wie Feingold aus
Wisconsin, warnte den Präsidenten jetzt bei einem Treffen im Weißen Haus
vor Parallelen in der Eskalation des Krieges in Afghanistan und Pakistan
mit dem Einsatz in Vietnam. Obey (71) gehört zu den Demokraten, die das
Bündnis der USA mit der korrupten Regierung von Präsident Hamid Karsai
für verhängnisvoll halten. Zugleich fordert er, dass jene, die
Veränderungen im Gesundheitssystem nur dann zustimmen wollen, wenn sie
das Haushaltsdefizit nicht vergrößern, diese Messlatte auch bei den
Kriegskosten anlegen müssten.
Obey regt deshalb eine »Kriegssondersteuer« an, um die Lasten auf
breitere Steuerzahler-Schultern zu verteilen. Dafür wird es im Kongress
vorläufig keine Mehrheit geben. Der hitziger werdende Streit erinnert
jedoch daran, dass die USA in Afghanistan in einem immer teureren und
unpopuläreren Krieg stecken. Wie damals in Vietnam.
** Aus: Neues Deutschland, 24. Dezember 2009
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