NATO-Milliarden für Kabul
Erneut Leichenschändungen durch US-Soldaten in Afghanistan
Von Olaf Standke *
Während die NATO-Staaten am Mittwoch in Brüssel Klarheit über den Abzug aus Afghanistan suchten, sorgten die US-Truppen für einen neuen Skandal: Laut »Los Angeles Times« haben Soldaten mit Körperteilen toter Selbstmordattentäter für Fotos posiert.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hat dem kriegsgebeutelten Afghanistan die Unterstützung des Nordatlantikpaktes über das geplante Ende seines Militäreinsatzes im Jahr 2014 hinaus zugesichert. »Wir werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiter ausbilden, unterstützen und beraten«, sagte er auf einem zweitägigen Treffen der NATO-Außen- und Verteidigungsminister und betonte, dass er dann aber keinen Kampfeinsatz mehr sehe. Nur ist jetzt schon klar, dass Kampftruppen im Lande bleiben werden, um die Ausbilder zu schützen - oder »notfalls« eben auch mit Spezialkräften den afghanischen Verbänden zu helfen. NATO-Militärs halten bis zu 15 000 Mann für möglich.
Zuletzt gab es am Abzugsplan verstärkt Zweifel. Und die Ankündigungen Australiens und Neuseelands, ihre Kontingente aus der NATO-dominierten Internationalen Schutztruppe ISAF schon vor dem vereinbarten Zieldatum zurückzuziehen, sorgte in Brüssel für neue Irritationen. Der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maizière zeigte sich »überrascht« über die Pläne. »Mein australischer Kollege hat im Februar anders vorgetragen. Aber das kann uns nicht in unserer Strategie beirren.« Der Verteidigungsexperte der LINKEN, Paul Schäfer, sieht in der neuen Welle der Gewalt in Afghanistan dagegen einen »Beleg für das diplomatische Versagen der NATO« und forderte einen zügigen kompletten Truppenabzug als Weg zum Frieden.
Streit ist auch programmiert, wenn es unter den 50 Staaten, die den ISAF-Einsatz unterstützen, darum geht, die künftigen Kosten für die Sicherheitskräfte Afghanistans zu übernehmen. Laut Rasmussen sind ab 2014 jährlich rund vier Milliarden US-Dollar (drei Mrd. Euro) nötig, um rund 230 000 Soldaten und Polizisten zu finanzieren. Er forderte die Verbündeten auf, einen »fairen Anteil« zu übernehmen. Verbindliche Entscheidungen fallen aber auf dem Gipfel Mitte Mai in Chicago noch nicht, er sei ja keine Geberkonferenz.
Derweil sorgte das US-Militär für einen neuen Skandal am Hindukusch. Grausige Bilder, die die »Los Angeles Times« am Mittwoch veröffentlichte, zeigen Soldaten, die mit Körperteilen toter Selbstmordattentäter posieren. Der Informant sprach der Zeitung gegenüber von einem »Verfall der Führung und Disziplin« der Truppe. Wie der ISAF-Oberkommandierende General John Allen verurteilte auch US-Verteidigungsminister Leon Panetta dieses Verhalten. Das Pentagon hat nach eigenen Angaben eine Untersuchung eingeleitet.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. April 2012
Versagen am Hindukusch
Von Olaf Standke **
Die Meldung platzte gestern in die Bemühungen der Außen- und Verteidigungsminister der NATO, in der von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen vorgegebenen Harmonie Klarheit über den Abzug aus Afghanistan und die weitere Präsenz des Paktes am Hindukusch zu finden. Denn der auf das Jahr 2014 ausgerichtete Zeitplan gerät zunehmend in Zweifel. Und der jüngste Skandal um grausige Leichenschändungen durch US-Militärs belegt ein weiteres Mal, dass dieser einst mit großer Befreiungsgeste begonnene Feldzug auch moralisch längst am bitteren Ende ist. Immer wieder haben Übergriffe US-amerikanischer und anderer, auch deutscher Soldaten der Internationalen Schutztruppe Empörung und gewalttätige Proteste unter der Bevölkerung ausgelöst.
Auch Aktionen wie die Koranverbrennung auf einem Stützpunkt Washingtons schürten den Hass auf die als Besatzer wahrgenommenen ausländischen Einheiten - ein Nährboden für die Taliban, die mit einer Serie tödlicher Anschläge gerade ihre »Frühjahrsoffensive« begonnen haben. Die NATO hat auf der ganzen Linie versagt, zuletzt auch diplomatisch, als es darum ging, die einst aus Kabul vertriebenen Taliban an den Verhandlungstisch zu bringen. Doch nur eine politische Lösung samt raschem vollständigen Truppenabzug könnte den Weg zum Frieden am Hindukusch ebnen. In Brüssel dachte man gestern aber vor allem darüber nach, wie viele Kampfverbände denn nach dem offiziellen Rückzug in Afghanistan wohl verbleiben müssten.
** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 19. April 2012 (Kommentar)
Zurück zur Afghanistan-Seite
Zurück zur Homepage