Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

ISAF will weniger Zivilisten töten

Befehl des Truppenkommandeurs soll neue Afghanistan-Strategie der USA umsetzen *

Die ausländischen Truppen in Afghanistan wollen ihre Luftangriffe laut einem Befehl ihres neuen Kommandeurs künftig einschränken, um Opfer in der Zivilbevölkerung zu verhindern.

Kabul (Agenturen/ND). In einer in der Nacht zu Dienstag von der Internationalen Schutztruppe ISAF in Auszügen veröffentlichten Anordnung von ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal heißt es: »Wir müssen die Falle vermeiden, taktische Siege zu erzielen - während wir gleichzeitig strategische Niederlagen erleiden, indem wir zivile Opfer oder exzessive Schäden verursachen und damit das Volk verprellen.« Die Direktive gilt für die NATO-geführte ISAF ebenso wie für alle US-Truppen in Afghanistan. »Ich erwarte von allen Führern auf allen Ebenen, den Einsatz von Luftunterstützung gegen Wohnsiedlungen und andere Orte, die voraussichtlich zu zivilen Opfer führen, in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie zu hinterfragen und zu begrenzen«, heißt es in dem Papier des neuen Kommandeurs der ISAF und der US-Truppen in Afghanistan. »Kommandeure müssen den durch direkte Luftunterstützung erzielten Gewinn gegen die Kosten ziviler Opfer abwägen, die den langfristigen Erfolg unserer Mission erschweren und das afghanische Volk gegen uns aufbringen.« Vorrangiges Ziel müsse sein, die Unterstützung der Afghanen zu erlangen.

Die Anordnung ist ein Ergebnis der neuen Afghanistan-Strategie von US-Präsident Barack Obama, die einen Schwerpunkt darauf setzt, die Afghanen durch zivilen Wiederaufbau für die Kabuler Regierung zu gewinnen. Sie bedeutet zugleich eine Abkehr von der militärisch dominierten Vorgehensweise von Obamas Vorgänger George W. Bush. Die neue Regierung hatte McChrystal erst vor Kurzem eingesetzt.

Vor zwei Wochen hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dem Sicherheitsrat berichtet, dass zwischen Januar und Mai 800 Zivilisten in Afghanistan getötet worden seien, 24 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zwar machte die UNO die Aufständischen für 55 Prozent der Opfer verantwortlich, ein Drittel aber ging auf das Konto von Soldaten. Die verbleibenden zwölf Prozent ließen sich laut Bericht nicht zuordnen. Die meisten Opfer bei Militäroperationen führte die UNO auf Luftangriffe zurück.

In McChrystals Anordnung heißt es, die Direktive hindere Kommandeure nicht an Selbstverteidigung, sollten ihnen keine anderen Möglichkeiten offen stehen. Zugleich betonte er: »Wir werden die Bevölkerung durch unsere tägliche Durchführung (...) von Militäroperationen nicht von uns isolieren.« Ausschließlich afghanische Sicherheitskräfte sollten Wohnhäuser durchsuchen. »Keine ISAF-Truppen werden in eine Moschee oder einen anderen religiösen oder historischen Ort eindringen oder darauf schießen, außer in Selbstverteidigung.« Durchsuchungen solcher Orte dürften nur durch afghanische Kräften erfolgen.

Unterdessen sind bei einem US-Raketenangriff im Westen Pakistans 16 Menschen getötet worden. Nach Angaben der pakistanischen Sicherheitskräfte wurde die Rakete von einem unbemannten Flugzeug aus abgefeuert. Getötet wurden demnach zwölf pakistanische Muslim-Kämpfer und vier Ausländer. Zudem gab es acht Verletzte. Die Rakete sei in einer Hochburg des Fundamentalistenführers Baitullah Mehsud in Süd-Waziristan nahe der Grenze zu Afghanistan eingeschlagen, hieß es. Auf Mehsud haben sowohl die USA als auch Pakistan hohe Kopfgelder ausgesetzt.

* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur NATO-Seite

Zurück zur Homepage