ISAF will weniger Zivilisten töten
Befehl des Truppenkommandeurs soll neue Afghanistan-Strategie der USA umsetzen *
Die ausländischen Truppen in Afghanistan wollen ihre Luftangriffe laut
einem Befehl ihres neuen Kommandeurs künftig einschränken, um Opfer in
der Zivilbevölkerung zu verhindern.
Kabul (Agenturen/ND). In einer in der Nacht zu Dienstag von der
Internationalen Schutztruppe ISAF in Auszügen veröffentlichten Anordnung
von ISAF-Kommandeur Stanley McChrystal heißt es: »Wir müssen die Falle
vermeiden, taktische Siege zu erzielen - während wir gleichzeitig
strategische Niederlagen erleiden, indem wir zivile Opfer oder exzessive
Schäden verursachen und damit das Volk verprellen.« Die Direktive gilt
für die NATO-geführte ISAF ebenso wie für alle US-Truppen in
Afghanistan. »Ich erwarte von allen Führern auf allen Ebenen, den
Einsatz von Luftunterstützung gegen Wohnsiedlungen und andere Orte, die
voraussichtlich zu zivilen Opfer führen, in Übereinstimmung mit dieser
Richtlinie zu hinterfragen und zu begrenzen«, heißt es in dem Papier des
neuen Kommandeurs der ISAF und der US-Truppen in Afghanistan.
»Kommandeure müssen den durch direkte Luftunterstützung erzielten Gewinn
gegen die Kosten ziviler Opfer abwägen, die den langfristigen Erfolg
unserer Mission erschweren und das afghanische Volk gegen uns
aufbringen.« Vorrangiges Ziel müsse sein, die Unterstützung der Afghanen
zu erlangen.
Die Anordnung ist ein Ergebnis der neuen Afghanistan-Strategie von
US-Präsident Barack Obama, die einen Schwerpunkt darauf setzt, die
Afghanen durch zivilen Wiederaufbau für die Kabuler Regierung zu
gewinnen. Sie bedeutet zugleich eine Abkehr von der militärisch
dominierten Vorgehensweise von Obamas Vorgänger George W. Bush. Die neue
Regierung hatte McChrystal erst vor Kurzem eingesetzt.
Vor zwei Wochen hatte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon dem Sicherheitsrat
berichtet, dass zwischen Januar und Mai 800 Zivilisten in Afghanistan
getötet worden seien, 24 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Zwar
machte die UNO die Aufständischen für 55 Prozent der Opfer
verantwortlich, ein Drittel aber ging auf das Konto von Soldaten. Die
verbleibenden zwölf Prozent ließen sich laut Bericht nicht zuordnen. Die
meisten Opfer bei Militäroperationen führte die UNO auf Luftangriffe zurück.
In McChrystals Anordnung heißt es, die Direktive hindere Kommandeure
nicht an Selbstverteidigung, sollten ihnen keine anderen Möglichkeiten
offen stehen. Zugleich betonte er: »Wir werden die Bevölkerung durch
unsere tägliche Durchführung (...) von Militäroperationen nicht von uns
isolieren.« Ausschließlich afghanische Sicherheitskräfte sollten
Wohnhäuser durchsuchen. »Keine ISAF-Truppen werden in eine Moschee oder
einen anderen religiösen oder historischen Ort eindringen oder darauf
schießen, außer in Selbstverteidigung.« Durchsuchungen solcher Orte
dürften nur durch afghanische Kräften erfolgen.
Unterdessen sind bei einem US-Raketenangriff im Westen Pakistans 16
Menschen getötet worden. Nach Angaben der pakistanischen
Sicherheitskräfte wurde die Rakete von einem unbemannten Flugzeug aus
abgefeuert. Getötet wurden demnach zwölf pakistanische Muslim-Kämpfer
und vier Ausländer. Zudem gab es acht Verletzte. Die Rakete sei in einer
Hochburg des Fundamentalistenführers Baitullah Mehsud in Süd-Waziristan
nahe der Grenze zu Afghanistan eingeschlagen, hieß es. Auf Mehsud haben
sowohl die USA als auch Pakistan hohe Kopfgelder ausgesetzt.
* Aus: Neues Deutschland, 8. Juli 2009
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