Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Unterwegs als "Kugelfang" für einen US-General

Afghanistan: Besatzungstruppen suchen neue Nachschubwege, die Bundeswehr wird so noch mehr in die Kämpfe einbezogen

Von René Heilig *

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr wird immer mehr zu einem robusten. Diese Einschätzung »von oben« vermeidet das Wort Krieg und ist deshalb nur bedingt einsatztauglich

Es macht Sorgen, wenn dem größten Verfechter des Afghanistan-Einsatzes die Argumente ausgehen. SPD-Fraktionschef Peter Struck hat vorgeschlagen, den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai im Bundestag für den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan werben zu lassen. »Ich weiß, dass man mit solchen Einladungen sparsam sein muss. Aber der Bundestag sollte überlegen, ob er den afghanischen Präsidenten bei seinem nächsten Berlin-Besuch nicht einladen sollte, für den deutschen Einsatz zu werben.«

Das alles ist sehr vage. Wann wohl wird Karsai nach Deutschland kommen – und als was? Als Präsident von US-Gnaden oder als politischer Flüchtling? Doch so weit denkt der SPD-Fraktionsvorsitzende und ehemalige Verteidigungsminister Peter Struck, der Deutschlands Vorneverteidigung an den Hindukusch verlegte, (noch) nicht. Ihm geht es um die Stimmung im eigenen Land. Und die ist – je nach Umfrageinstitut – bis zu 70 Prozent gegen den deutschen Militäreinsatz in Afghanistan.

Struck räumte ein, dass dies für einen demokratischen Staat wie den unseren keine einfache Situation ist. Nötig sei Überzeugungsarbeit: »Ein Politiker darf den Bürgern nicht nach dem Mund reden. Wir müssen den Menschen noch besser erklären, warum der Einsatz am Hindukusch so wichtig ist«, sagte Struck, der sich demnächst als aktiver Politiker verabschiedet. Manche sagen auch: Er schlägt sich in die Büsche.

Was die Bundeswehr im umkämpften Land nicht nur mangels natürlicher Deckungsmöglichkeiten nur selten tun kann. Denn sie ist eingebunden in ein NATO-Konzept, das Afghanistan und seinen Bürgern angeblich Demokratie und Freiheit bringen soll.

Nur wie geschieht das? An der »Heimatfront« weiß man es nicht, denn die Nachrichten aus dem Kampfgebiet sind spärlich. Nur gerüchteweise erfährt man etwas von der Änderung der Schusswaffengebrauchsbestimmung für Soldaten der Bundeswehr im Einsatzgebiet. Nun soll rascher geschossen werden als bisher und das, weil die Taliban einfach nicht einsehen wollen, dass deutsche Soldaten nichts weiter sind als »Entwicklungshelfer«. Zunehmend erfüllen die Deutschen auch Aufgaben, die weit über ihre ISAF-Rolle hinaus gehen. Nicht nur in den fliegenden AWACS-Radar-Leit-Flugzeugen. Auch irdisch ist man strategischen Überlegungen der US-Streitkräfte dienstbar. Man betrachte ein Video (siehe Ausschnitte unten), das von einem sogenannten Einsatzkameratrupp der Bundeswehr gedreht wurde.

Seit rund einem Jahr stellen die Deutschen die sogenannte QRF. Dieses schnelle Eingreiftruppe soll Patrouillen fahren, Konvois schützen, Evakuierungsoperationen sichern und auch gewaltbereite Menschenmengen in Schach halten. Zudem ist die QRF taktische Reserve des Regionalkommandeurs Nord.

Und als solche mussten die deutschen Soldaten – so zeigt es das Video – »Kugelfang« für einen US-Vier-Sterne-General spielen. Der ist für die weltweite Logistik der US-Streitkräfte verantwortlich und auf der Suche nach sicheren Nachschubwegen. Nachdem die Taliban und andere oppositionelle Gruppen immer öfter den Nachschub über Pakistan angreifen, prüfen die US-Militärs, ob die Anlieferung der benötigten Güter über Tadschikistan nicht sicherer laufen könnte. So ließ sich der US-General von der im Norden Afghanistans zuständigen Bundeswehrtruppe bis an die Grenze nach Herathon bringen. Dort besichtigte er einen Eisenbahn-Knotenpunkt und war zutiefst dankbar, dass die deutschen Feldjäger sowie all die anderen beteiligten Spezialkräfte eine ungestörte Arbeit vor Ort ermöglicht haben.

Noch ist die Arbeit ungestört. Doch wenn die Nachschubwege für die US-Truppen und die in der ISAF zusammengeschlossenen Militärverbände demnächst im Norden Afghanistans ihren Anfang nehmen, werden die Bundeswehrsoldaten nicht nur zusätzliche Sicherungsaufgaben übertragen bekommen. Sie werden so mehr denn je zur Zielscheibe der Aufständischen.

Der Norden, so sagt August Hanning, als einstiger BND-Chef der wichtigste Geheimdienstexperte von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), »wird strategisch immer wichtiger«. Das bedeutet, die deutschen Soldaten rutschen nur noch tiefer in das Gemetzel, sas man hierzulande nicht »Krieg« nennen soll. Und natürlich werden auch Ziele hierzulande lukrativer für alle, die sich der »islamischen Sache« verschrieben haben.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009


Vietnam um die Ecke

Trotz erklärter anderer Absicht verfolgt Barack Obama Bushs Spuren – und ruft dafür sogar die Kultur an

Von Reiner Oschmann **


Der Verfasser dieser Zeilen gehört nicht zu den Linken, die in Präsident Obama nur einen Bush mit dunkler Haut sehen. Innen- wie außenpolitisch ist der Unterschied, den der Neue im ersten Diensthalbjahr im Vergleich zum Vorgänger gemacht hat, alles andere als vollkommen, aber vollkommen unübersehbar: Viele Themen veranschaulichen, dass es auch in Zeiten der Globalisierung nicht egal ist, welche Person die Interessen der Herrschenden exekutiert, auch dann nicht, wenn man die Rolle der Persönlichkeit keineswegs vor die Schwerkraft der Machtstrukturen stellt. Ohne Anerkennung der realen Machtverhältnisse wäre auch das Weiße Haus nur ein toter Briefkasten – oder wie Tucholsky wusste: »Die Realität ist niemals falsch, sie ist.« Doch selbst dem militärisch-industriellen Komplex der USA wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Gleich gar nicht, wenn den Weg nach oben ein Mann wie Bush jr. überwacht. Persönlichkeit, Intelligenz und Einfühlvermögen sind nicht alles, aber ohne eine Portion davon werden Politiker zu Flaschen oder Gemeingefährlichen oder gemeingefährlichen Flaschen. Deshalb ist es ein Gewinn, dass Obama da und Bush weg ist.

In einer Schlüsselfrage US-amerikanischer Politik hingegen, die auf das Binnenklima wie das weltweite Wetter strahlt, ist Obama trotz erklärter anderer Absicht nah bei Bush: Acht Jahre nach Kriegseintritt der USA in Afghanistan setzt er entgegen aller Analyse einen Kurs fort, mit dem jener 44. Präsident einen der verhängnisvollsten Fehler der US-Außenpolitik, das Versagen und Verbrechen des Vietnamkrieges, praktisch wiederholt. Daran ändert der jetzt verkündete Strategiewandel gegenüber Afghanistan nichts. Auch er erinnert in seiner behaupteten Änderung an den Zickzack während Vietnam. Auch dort hatten die USA ungeachtet aller Wendungen eine Konstante nie aus den Augen verloren: sicherzustellen, dass das schwarze Loch, in das sich Amerika manövriert hatte, auch wirklich immer tiefer wurde.

Die neue Strategie der USA und der NATO in Afghanistan besteht nach den Worten von US-General und Kommandeur der Isaf-Schutztruppe, Stanley McChrystal, in »Kulturwandel«. Wenn man das zum ersten Mal hört und vom Einvernehmen seiner Linie mit dem neuen Mann im Weißen Haus ausgeht, kann sich Hoffnung auf Wandel regen. McChrystal, der Experte für schmutzige Kriegsführung, setzt in Afghanistan künftig auf Bomben und – dies das Neue – auf: Abwarten und Tee trinken. »Wenn Sie irgendetwas tun, was den Afghanen schadet, dann verscherzen Sie sich wahrscheinlich die Sympathien der Bevölkerung«, mahnt er. Denkt er vielleicht daran, dass rund 60 Raketenangriffe mit unbemannten Flugkörpern (Drohnen) in den letzten drei Jahren nur 14 Al-Kaida-Terroristen ausschalteten, nebenbei aber 700 Frauen, Alte und Kinder töteten?

Dieses Ergebnis hat militärisch nichts verbessert, aber – wie einst in Vietnam – die Einheimischen gegen die USA auf- und Al Qaida wie den Taliban willigen Nachschub gebracht. Die neue Strategie: Raketen, Bomben werden nicht gestoppt, sie sollen um halbe Teestunden zur Gewinnung von Herzen und Hirnen ergänzt werden. Der Weg zur Hölle ist augenscheinlich wirklich gepflastert mit guten Absichten.

Ähnlichen Spagat versuchten die USA in Vietnam. Am Ende blieben über drei Millionen tote Vietnamesen, Agent Orange und Son My zurück – und Tee und Verständnis für Amerikas Kriegsführung auf der Strecke. Barack Obama, der den jetzigen Krieg nicht begonnen, aber geerbt hat, vergrößert Truppen und Geheimdienstarmee auf fast 70 000, mehr als das Doppelte aller anderen NATO-Truppen, darunter aus Deutschland. Doch nicht nur, weil auch NATO-Generäle die Möglichkeit eines Siegs in Afghanistan ausschließen, sondern aus historischer Erfahrung darf als sicher gelten, dass Mächten, die Bomben und Raketen auf fremde Völker werfen, nicht die Herzen dieser Völker zufliegen. Eine Strategie, die Afghanistan in eine wuchernde Kaserne für zigtausende NATO-Soldaten, Berater und Beamte verwandelt, ist zudem ein zwar unfreiwilliges, aber blendendes An- und Nachwuchsprogramm für tatsächliche und potenzielle Terroristen.

Der Vietnamkrieg hat neben unermesslichen Opfern in der Region zwei Präsidenten (Johnson, Nixon) und die Glaubwürdigkeit der USA weltweit zerstört. Die Strahlkraft Amerikas vor allem auf junge Leute, diese »soft power« genannte weiche Macht, die sich aus einem wichtigen, wenn auch nicht immer berechtigten guten Gefühl erklärt, das amerikanische Musik, Künstler und Lebensart »machen«, war erloschen oder lebhafter antiamerikanischer Erregung gewichen. Afghanistan (und Irak), wo sich die USA und der Westen seit dem 11. September bis heute mit dem Trugbild eines »guten, gerechten Krieges« trösten, kann für Amerika und die Bundesrepublik, Britannien, Frankreich und andere NATO-Länder Ähnliches bereithalten. Jenseits aller Ironie solchen Schicksals wäre es tragisch, wenn die Wiederholung von Unglück und Unrecht aus erster US-amerikanischer Hand gerade von dem Präsidenten geleitet würde, den so viel Sympathie und Hoffnung wie seit einer Generation nicht mehr begrüßt haben. Der Missbrauch der Kultur ist dabei noch am ehesten zu verschmerzen.

** Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2009


Unterstützung für US-Besatzer aus London ***

Die US-Militäroperation »Handschar« ging in der südafghanischen Provinz Helmand auch am 4. Juli, dem US-Nationalfeiertag, und am Sonntag weiter. Neben über 4000 US-Besatzern und 650 Helfern aus der Armee Afghanistans sind daran laut des TV-Senders BBC auch insgesamt mehr als 700 britische Soldaten beteiligt. 350 wurden am Freitag in der Region abgesetzt und von zwölf Chinook-Hubschraubern »unterstützt«. Dabei habe es sich um eine »der größten Luftoperationen der jüngeren Geschichte« gehandelt, so das Londoner Verteidigungsministerium.

Wie die FAZ (4.7.) »aus Militärkreisen« berichtete, seien das Vorgehen der britischen und amerikanischen Armeen »koordiniert«. Zur Lage habe ein Kommandeur erklärt, man befinde sich in einem »höllischen Krieg«. Doch zum genauen Verlauf der Intervention, während der die Taliban-Hochburgen in der Region besetzt werden sollen, lagen am Sonntag kaum Informationen vor. Jason Straziusom, ein »imbedded journalist« von der Agentur AP, berichtete, daß »die Bravo Company des 1. Bataillons im 5. Marineregiment viel marschiert« sei, ansonsten »aber bislang nur gegen die Hitze gekämpft« habe. »Auch ohne Feindberührung« werde den US-Marineinfanteristen »einiges abverlangt«, so der Kriegsreporter. »Die Elitesoldaten marschieren in voller Kampfausrüstung mit bis zu 45 Kilogramm schwerem Gepäck auf dem Rücken.«

Straziusom zitierte einen Militärsanitäter namens Simon Trujillo mit den Worten: »Wenn die Körpertemperatur 40 Grad Celsius übersteigt, fängt einem das Gehirn an zu kochen.« Mehrere Marines hätten sich übergeben müssen, »drei fielen in Ohnmacht«. Der AP-Korrespondent versuchte, Mitleid für die Besatzer zu erzeugen. Doch die redeten Klartext. »Es wäre toll, wenn wir endlich Kontakt bekämen«, freute sich der Gefreite Michael Estrada auf den ersten Kampf.

Am Sonntag (5. Juli) meldete AP, daß zwei »Soldaten der NATO« bei der Explosion einer am Straßenrand versteckten Bombe in Südafghanistan getötet worden seien. (AP/AFP/jW)

*** Aus: junge Welt, 6. Juli 2009


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage