Afghanistan-Strategie in Den Haag auf dem Prüfstand
Von Tobias Müller, Amsterdam *
Präsidentschaftswahlen im Sommer, Parlamentswahlen 2010, dazu die neue USA-Strategie, die
Präsident Obama in dieser Woche verkündete: Afghanistan steht womöglich vor entscheidenden
Zeiten. Die UN-Konferenz am Dienstag in Den Haag will dem Rechnung tragen.
Im niederländischen Außenministerium ist es schon seit Jahren bekannt: »3D« ist der Schlüssel zur
Lösung der Probleme Afghanistans. Diplomacy, Development, Defence -- Diplomatie, Entwicklung,
Verteidigung, so lautet der Ansatz, den der Stab unter Leitung von Minister Maxime Verhagen
verfolgt. »Es geht nicht allein darum, Terroristen auszuschalten, sondern wir müssen auch die
gesellschaftlichen Probleme Afghanistans und der Region angehen«, erläutert Verhagen. Dass
Präsident Obama jetzt eine neue Strategie der USA am Hindukusch ankündigte, die diesem
breiteren Ansatz Rechnung trägt, findet Verhagen daher »ermutigend«. Heute nun bekommt der
Minister Gelegenheit, auf höchster Ebene für diesen Weg zu werben: Verhagen fungiert als
Gastgeber der UN-Konferenz zur Zukunft Afghanistans.
Unter schweren Sicherheitsbedingungen treffen sich die Vertreter von über 70 Staaten und
zahlreichen internationalen Organisationen, darunter EU, NATO, Weltbank und IWF, in der
niederländischen Hauptstadt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki- Moon, wird
ebenso erwartet wie der afghanische Präsident Hamid Karsai und der UN-Sondergesandte für
Afghanistan, Kai Eide. Auch Iran, Pakistan sowie die zentralasiatischen Nachbarstaaten
Afghanistans sind vertreten. Diesen Fokus führt die Veranstaltung bereits im offiziellen Untertitel:
»Eine umfassende Strategie in einem regionalen Kontext«. Neben einer Bewertung der bisherigen
Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft soll vor allem das zukünftige Engagement umrissen
werden. Anlass dazu sind die afghanischen Präsidentschaftswahlen, die im August dieses Jahres
stattfinden. 2010 sollen dann Parlamentswahlen folgen.
Derweil hat das größte afghanische Oppositionsbündnis die Verlängerung der Amtszeit von
Präsident Hamid Karsai im Interesse der »nationalen Stabilität« durch das Oberste Gericht bis zu
den Wahlen im August kritisiert. Karsai könne nicht nach Ende seiner Amtszeit im Mai im Amt
bleiben und gleichzeitig als Kandidat für die Wahl drei Monate später antreten. Die Nationale Front
befürworte daher die Einsetzung einer Übergangsregierung.
Angelehnt an die mögliche neue Strategie der USA-Regierung schlug Karsai im Vorfeld der
Konferenz vor, die Vereinten Nationen mögen jene führenden Taliban von ihrer Schwarzen Liste von
Terrorverdächtigen streichen, die keine Verbindungen zu Al Qaida hätten. Er nahm damit Bezug auf
die Ankündigung Obamas, zur Befriedung Afghanistans auch mit »gemäßigten Taliban« zu
kooperieren. Allerdings gehen unabhängige Beobachter davon aus, dass sich die Konflikte weiter
verschärfen werden. »Wir erwarten eine Ausweitung und eine Intensivierung der bewaffneten
Auseinandersetzungen«, sagte etwa der Operationschef des Internationalen Komitees vom Roten
Kreuz (IKRK) für Südasien, Jacques de Maio, am Montag. In Afghanistan wie in Pakistan würden die
Zivilisten die Hauptlast der Konflikte tragen, warnte er.
* Aus: Neues Deutschland, 31. März 2009
Kein Königsweg
Von Olaf Standke **
Ist der Königsweg in Afghanistan gefunden? Hört man die Reaktionen zwischen Berlin und Kabul auf die neue Strategie der USA für den Hindukusch, könnte man die Frage mit Ja beantworten. Ab heute wollen Regierungsvertreter aus über 70 Ländern unter UN-Schirmherrschaft in Den Haag die Gelegenheit zur »ehrlichen Bestandaufnahme« (Bundesaußenminister Steinmeier) nutzen und Details des Obama-Konzepts beraten. Doch können noch so viele wohlklingende wiederaufbauende Worte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die strategische Neuausrichtung am Hindukusch an alten Übeln krankt. Die nun zum Allheilmittel erklärte Symbiose zwischen Militär und zivilen Helfern hat bisher nicht funktioniert, vielmehr letztere nur in Gefahr gebracht, und die Instrumentalisierung von Wiederaufbauhilfe wird absehbar auch künftig nicht den versprochenen Erfolg bringen. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) befürchtet vor dem Hintergrund der geplanten massiven Truppenaufstockungen sogar eine Ausweitung und Intensivierung der bewaffneten Auseinandersetzungen. Schon in den vergangenen Wochen sind 50 Prozent mehr verletzte Zivilisten in die Lazarette gekommen als Ende 2008. Zudem kehren wegen der angespannten Sicherheitslage immer weniger Flüchtlinge in ihre Heimatdörfer zurück. Nur eines scheint aus IKRK-Sicht bei diesem »Strategiewechsel« sicher zu sein: Die Zivilisten werden weiter die Hauptlast der Konflikte tragen.
** Aus: Neues Deutschland, 31. März 2009 (Kommentar)
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