Afghanistan wird Obamas Vietnam
Pressemitteilung des Bundesausschusses Friedensratschlag
-
Obama schickt 17.000 zusätzliche GIs nach Afghanistan
- Statt Strategiewechsel droht Ausweitung des Krieges
- Verteidigungsminister Jung wird wortbrüchig
- Friedensbewegung in USA und Deutschland fordert Truppenabzug
- Die NATO wird nicht "siegen" und sollte sich besser auflösen
Kassel, 19. Februar 2009 - Zur Ankündigung des US-Präsidenten, die in
Afghanistan stationierten US-Truppen um weitere 17.000 zu verstärken,
und zum Treffen der Verteidigungsminister der NATO in Krakau erklärt der
Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag, Dr. Peter Strutynski
in Kassel:
Vor knapp zwei Wochen versprachen US-Vizepräsident Joe Biden und der
mächtige US-Sicherheitsberater James Jones auf der Münchner
Sicherheitskonferenz eine neue Strategie für Afghanistan. Die Rede war
von einer Verstärkung der zivilen Hilfe, da es - so die Erkenntnis der
US-Administration - einen rein militärischen Sieg nicht geben könne.
Demokratische Kongressabgeordnete beklagen lautstark, dass die
Fortsetzung des Krieges in Afghanistan ohne Strategiewechsel in einem
Schlamassel (quagmire) enden müsse. Das Magazin "Newsweek" warnt gar in
einer Titelgeschichte vor "Obama's Vietnam".
Trotz dieser Bedenken kündigte Obama an, die Truppen um 17.000 Soldaten
aufzustocken. US-Verteidigungsminister Robert Gates, den Obama aus der
Bush-Administration übernommen hat, verlangt bei der NATO-Tagung in
Krakau von den Alliierten, auch sie müssten ihre Truppen aufstocken, um
damit z.B. die Präsidentschaftswahlen im August abzusichern. Und
Deutschland erklärt sich nach Diplomatenangaben prompt bereit, diesem
Drängen nachzugeben und 600 Bundeswehr-Soldaten zusätzlich zu schicken.
In München redete der deutsche Verteidigungsminister noch ganz anders:
"Der militärische Ansatz ist ausreichend. Wir brauchen den zivilen
Wiederaufbau und die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte." Von
einer Erhöhung des Bundeswehrkontingents war keine Rede.
Es gehört wenig Phantasie zu der Vorhersage, dass der Afghanistankrieg
noch härter und brutaler geführt wird als bisher. Anstatt den zivilen
Aufbau voranzutreiben, flüchtet die NATO in immer mehr Krieg.
Leidtragende sind die Bewohner des seit vielen Jahren von Besatzung,
Krieg und Bürgerkrieg geplagten Landes. Einer UN-Studie zufolge fielen
dem Krieg im vergangenen Jahr mehr Zivilpersonen zum Opfer als in allen
Kriegsjahren zuvor. Neueste Umfragen in Afghanistan bestätigen die
wachsende Unzufriedenheit mit den Besatzungstruppen, die man lieber
heute als morgen aus dem Land abziehen sehen möchte.
In den USA wächst der Widerstand gegen die Afghanistanpolitik der
Obama-Administration. Die dortige Friedensbewegung ("Troops Out Now
Coalition") ruft für den 21. März zu einem landesweiten Marsch auf das
Pentagon auf und fordert den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan.
Die Friedensbewegung in Deutschland verurteilt die vorgesehene
Ausweitung des Krieges. Verteidigungsminister Jung hat kein Mandat für
eine Erhöhung der Bundeswehrkräfte in Afghanistan. Eine entsprechende
Zusage beim NATO-Treffen in Krakau wäre nicht nur ein Wortbruch, sondern
widerspricht dem bis Dezember laufenden Bundestags-Mandat.
Afghanistan bleibt ein Top-Thema auf der Agenda des "Friedensratschlags"
in diesem Jahr und wird im Zentrum der Aktivitäten gegen den NATO-Gipfel
Anfang April in Straßburg und Baden-Baden stehen. Wenn sich nach
NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer die Zukunft der NATO
tatsächlich in Afghanistan entscheidet, dann könnte man sich getrost
zurücklehnen und der Niederlage am Hindukusch und dem kläglichen Ende
der NATO entgegen sehen. Der Preis, den die Menschen in Afghanistan und
die NATO-Soldaten dabei zahlen müssten, ist uns aber zu hoch. Besser
wäre es daher für alle Beteiligten, wenn die Besatzungstruppen abgezogen
würden und wenn sich die welthistorisch längst erledigte NATO selbst
auflösen würde.
Für den Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)
No New Troops To Afghanistan
End War and Occupation
Bring all the Troops Home NOW!
The Troops Out Now Coalition condemns the recent announcement that President Obama has ordered 17 thousand more troops to Afghanistan.
The people voted overwhelmingly for an end to war and occupation. The world demands that it end. Most importantly, the people of Afghanistan, Iraq, and Palestine demand that it end.
To send more U.S. soldiers to Afghanistan amidst new revelations of U.S. military war crimes, and at a time when working people here a facing an unprecedented economic crisis is an outrage. Every day, thousands are being laid off or thrown out of their homes - we need money for housing and jobs, not for war and endless occupation.
Escalating the war in Afghanistan is a betrayal of the faith that the people put in the new president to stop Bush's war on the world.
We must continue to mobilize to demand:
-
No new troops!
- Immediate withdrawal of all U.S. troops from Iraq and Afghanistan
- Money for Human Needs Not War!
Join the Troops Out Now Coalition and many other groups at the March on the Pentagon, Saturday March 21 and the March on Wall St. April 3 &4
For more information or to get involved, go to www.TroopsOutNow.org
Afghanistan: Verwirrspiele um Truppenaufstockung
„Das Verwirrspiel, das die Bundesregierung um die Aufstockung deutscher Truppen in Afghanistan veranstaltet, ist nicht akzeptabel“, kommentiert Paul Schäfer, verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE, die Ankündigung des Bundesverteidigungsministers, auf unbestimmte Zeit 600 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan zu entsenden. Schäfer erklärt weiter:
„Was dem Parlament und der Öffentlichkeit ursprünglich als zeitlich begrenzte Aufstockung der Einheiten zur Absicherung der Wahl verkauft werden sollte, dürfte sich als nachhaltige Verstärkung der Kampfverbände erweisen. Das ist nicht nur falsch, weil es ein Festhalten an der längst gescheiterten Strategie militärischer Eskalation bedeutet; es zeigt auch einmal mehr, wie die Bundesregierung sich an der öffentlichen Debatte vorbeimogeln will.
Bei der jüngsten Truppenaufstockung ist viel über ein „atmendes Mandat“ geredet worden, über die Möglichkeit also, die Obergrenze so anzusetzen, dass ein Puffer bleibt, innerhalb dessen die Bundesregierung Truppen nach Bedarf verstärken oder abziehen kann. Seitdem hat das Mandat aber immer nur ein- und nicht ausgeatmet. Mit dem von Jung verkündeten neuen Atemzug hat die noch immer nicht geklärte Frage der deutschen Beteiligung an AWACS-Einsätzen das Potential, die Truppenstärke wieder in gefährliche Nähe der Mandatsobergrenze zu bringen. Die nächste Anhebungsdiskussion wird bereits am Horizont erkennbar.
Die Fraktion DIE LINKE fordert die Bundesregierung auf, diese Salamitaktik zu beenden. Die nun getroffene Truppenzusage ist umgehend zu widerrufen, die Verhandlungen über die Beteiligung an einem eventuellen AWACS-Einsatz sind abzubrechen und die bereits in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten sind abzuziehen.“
19.02.2009
Afghanistan: 2118 getötete Zivilisten
UN-Mission zieht für 2008 düstere Bilanz
Kabul/Berlin (dpa/ND). Der Krieg in Afghanistan hat im vergangenen Jahr über 2000 Zivilisten das
Leben gekostet - mehr als je zuvor seit dem Sturz der Taliban vor gut sieben Jahren. Die Mission
der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) teilte am Dienstag (17. Feb.) in Kabul mit, die Zahl der zivilen
Opfer sei 2008 verglichen mit dem Vorjahr um fast 40 Prozent auf 2118 gestiegen. Für 55 Prozent
der getöteten Zivilisten seien Aufständische wie die Taliban verantwortlich gewesen. 39 Prozent der
Opfer seien von afghanischen oder internationalen Truppen besonders bei Luftangriffen getötet
worden. Die restlichen sechs Prozent seien keiner Seite eindeutig zuzuordnen gewesen, da sie etwa
im Kreuzfeuer umgekommen seien.
Die Linksfraktion im Deutschen Bundestag kritisierte, dass die Bundesregierung bisher stets
behauptet habe, solche Daten würden von der NATO nicht erhoben. Paul Schäfer,
verteidigungspolitischer Sprecher der Fraktion, erklärte dazu: »Dass die nun vorliegenden
Dokumente von NATO und UNAMA sehr konkrete und durchaus hohe Zahlen und
Steigerungsquoten nennen, lässt nur zwei Möglichkeiten offen: Entweder die Bundesregierung
wusste nichts davon - das wäre verantwortungslos. Oder die Bundesregierung wusste davon, hat
aber gegenüber dem Parlament das Gegenteil erzählt - das wäre verlogen.«
* Aus: Neues Deutschland, 18. Februar 2009
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