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Gabriel: Wir stellen die richtigen Fragen

SPD suchte auf einer Konferenz unverdrossen nach Antworten zum Einsatz in Afghanistan

Von Uwe Kalbe *

Als die Teilnehmer der SPD-Konferenz zu Afghanistan am Dienstag das Willy-Brandt-Haus in Berlin verließen, hatten sie eine Debatte voller sachkundiger Argumente erlebt. Eine neue Sicht der SPD auf den Afghanistaneinsatz war allerdings nicht zu erkennen.

An Selbstgewissheit mangelt es weder Frank-Walter Steinmeier noch Sigmar Gabriel. Beide, der SPD-Parteichef wie der Fraktionsvorsitzende im Bundestag, sehen sich und ihre Partei als Vorreiter. Bereits vor knapp einem Jahr, bei einer Afghanistan-Konferenz Ende Januar am gleichen Ort, habe die SPD die richtigen Fragen gestellt. »Schon damals« und jedenfalls vor der Bundesregierung habe man festgestellt, dass die Mittel für den zivilen Aufbau erhöht werden müssten, dass die Ausbildung der Sicherheitskräfte in Afghanistan verbessert und die Überleitung in selbstverwaltete Strukturen vorangebracht werden müssten – ja, dass die Bundeswehr 2011 ihren Abzug beginnen müsse. Damals, so Gabriel in überlegener Geste, habe Verteidigungsminister Guttenberg noch davon gesprochen, dass es falsch wäre, ein Enddatum des Einsatzes festzulegen. Wir dagegen verfügten über eine »richtige strategische Einschätzung«. In vielen Staaten sei diese heute zudem »reale Beschlusslage«.

»Eine dem Anlass sehr würdige Debatte«, so bewertete Steinmeier folgerichtig die Veranstaltung an ihrem Ende. »Ganz ohne Show und Inszenierung«, meinte der Fraktionschef wohl mit Blick ebenfalls auf Minister Guttenberg, der soeben wegen einer Reise mit Ehefrau nach Afghanistan für laute Kritik der Opposition sorgt. Man habe sich nicht verloren im schlichten Pro und Kontra, sondern zu klären versucht, »wo wir stehen mit unserem Engagement in Afghanistan«. Sogar die Frage, »wo wir uns geirrt haben«, sprach Steinmeier aus.

Eine Antwort gab es nicht – über die allgemeinverbindliche Feststellung hinaus, die am deutlichsten noch der Afghanistanbeauftragte der Bundesregierung vorgetragen hatte. Michael Steiner stellte in seiner Eingangsrede fest, dass es falsch sei, in Afghanistan eine Demokratie nach westlichem Vorbild errichten zu wollen. Steinmeier eher allgemein: »Es sind Fehler gemacht worden.« Voller Hoffnung sei man gewesen, dass über die Vereinten Nationen eine friedliche Welt herzustellen sei. Ja, Illusionen habe sich der hingegeben, »der geglaubt habe, dass eine Westminsterdemokratie dort zu errichten sei, wo wir uns hinbegeben haben.«

Allgemeiner geht es wohl nicht. Und blauäugiger. Von Anbeginn des Einsatzes waren von den Gegnern des Einsatzes genau jene Argumente zu hören gewesen, die die SPD jetzt für sich entdeckt. Und deutlicher als die SPD in ihrer Bereitschaft zur kritischen Selbsterkenntnis ist sogar die Bundesregierung mit ihrem aktuellen Fortschrittsbericht zu Afghanistan, der den Abgeordneten des Bundestages am Vortag übermittelt worden war – ein Dokument des Scheiterns und der verpassten zivilen Chancen, wie Wolfgang Gehrcke, außenpolitischer Sprecher der LINKEN, seinen Inhalt zusammenfasste. Steiner empfahl gründliche Lektüre. Die Bundesregierung versuche darin nicht, ein geschöntes Bild zu zeichnen, beteuerte er. Der Fortschrittsbericht spricht von der Absicht, erste Einheiten der Bundeswehr ab Ende 2011/2012 abzuziehen. Auf ein konkretes Datum legt sich die Bundesregierung nicht fest. Sie und auch die SPD werden von Gabriel und Steinmeier nun plötzlich zur Eile getrieben. Während tags zuvor noch über einen Abzug Ende 2011 diskutiert wurde, sprechen beide in einem Positionspapier zur Konferenz nun von Mitte 2012 – parallel zu dem für Juli angekündigten Beginn der Reduzierung der US-Truppen. In einem »Korridor 2013 bis 2015« soll der Einsatz beendet werden.

Immer noch wirken Einwürfe wie von Cordula Drautz, Juso-Vorständlerin und Vizepräsidentin des internationalen Jugenddachverbandes IUSY, in SPD-Veranstaltungen wie dieser deplatziert. Drautz hatte keinen Hehl aus ihrem Misstrauen gegenüber wohltönenden Begründungen des Einsatzes gemacht und von kolonialistischen Absichten gesprochen. Und Moderator Gernot Erler informierte, dass acht SPD-Gliederungen sich für den Abzug der Bundeswehr und die Verwendung der dabei eingesparten Mittel für zivilen Aufbau eingesetzt hätten. Mit Erwin Sellering sprach sich ein SPD-Ministerpräsident (Mecklenburg-Vorpommern) für den schnellstmöglichen Abzug aus. Trotzdem: Steinmeier konstatierte unbeeindruckt, zum Glück seien heute solche falschen Einwände die Ausnahme gewesen, dass die Probleme erst mit der NATO Einzug in Afghanistan gehalten hätten. Bis Ende Januar dauert nun die Debatte. Dann entscheidet der Bundestag über die Verlängerung des Mandats. Die SPD macht ihre Haltung vom Entgegenkommen der Koalition abhängig.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Dezember 2010


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