Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Vor 30 Jahren: Einmarsch der Sowjettruppen in Afghanistan

Von Ilja Kramnik *

Am 25. Dezember 1979 marschierte die sowjetische Armee in Afghanistan ein. Um die Umstände der Invasion werden noch heute erbitterte Diskussionen geführt, wobei viele Kontroversen aufeinander prallen.

Zum Zeitpunkt des Einmarsches der Sowjettruppen in Afghanistan hatten beide Länder seit Jahrzehnten gute Nachbarbeziehungen gepflegt. König Mohammed Zahir Schah verfolgte einen ausgewogenen politischen Kurs und gefiel der Sowjetunion, die in Afghanistan zahlreiche Wirtschaftsprojekte umsetzte, Waffen lieferte und afghanische Fachkräfte an ihren Hochschulen ausbildete.

Doch der König ließ keine großen Veränderungen zu und "konservierte" die Situation am Hindukusch, was die Unzufriedenheit von verschiedenen politischen Kräften - von den Islamisten bis zu den Progressiven - hervorrief. Während einer seiner Auslandsreisen wurde Zahir Schah von seinem Cousin Mohammed Daud vom Thron gestoßen.

Der Staatsstreich, der eine Kette von weiteren politischen Ereignissen auslöste, hatte keine besonderen Folgen für die Beziehungen zwischen Afghanistan und der Sowjetunion. Dennoch verschärfte sich allmählich die innenpolitische Situation. Mehrere Islamistenführer, darunter Rabbani, Hekmatyar etc., setzten sich nach Pakistan ab, wo sie sich an die Spitze der bewaffneten Opposition stellten und die so genannte "Allianz der Sieben" gründeten. Zu dieser Zeit knüpften die USA Kontakte mit den künftigen Mudschaheddin-Führern an.

Im Jahr 1977 wendete sich das Blatt in den sowjetisch-afghanischen Beziehungen: Mohammed Daud wollte Kontakte mit den Monarchien in der persischen Golf-Region sowie mit Iran knüpfen. 1978 begannen in Afghanistan Repressalien gegen die Mitglieder der Demokratischen Volkspartei (DVPA), die marxistische Ideale verfolgte. Es kam zu Massenunruhen nach der Ermordung von Mir Akbar Khyber, einem der DVPA-Führer, durch islamistische Fundamentalisten. Letztere wollten auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: DVPA-Aktionen und zugleich ihre Unterdrückung durch Mohammed Daud provozieren.

Die Unterdrückung endete aber erfolglos - nur zehn Tage nach Khybers Tod kam es zu einem neuen Putsch. Die Offiziere, die alle in der Sowjetunion ausgebildet worden waren, unterstützten die DVPA-Führer. Der 28. April ging als Tag der April-Revolution in die Geschichte ein. Mohammed Daud wurde getötet.

Die April-Revolution kam für die Sowjetunion jedoch unerwartet, die an Stabilität an ihren südlichen Grenzen interessiert war. Die neue Führung in Kabul startete radikale Reformen. Moskau bemühte sich seinerseits um die Eindämmung des revolutionären Geistes dieser Reformen, die angesichts des sehr niedrigen Entwicklungsstandes der afghanischen Gesellschaft so gut wie keine Chancen auf Erfolg und positive Reaktion der Bevölkerung hatten.

Inzwischen kam es zur Spaltung zwischen zwei wichtigsten DVPA-Fraktionen - der radikalen Khalq und der gemäßigten Parcham, die hauptsächlich von aristokratischen Intellektuellen mit europäischer Bildung unterstützt wurde. An der Spitze der Khalq standen Hafizullah Amin und Nur Muhammad Taraki. Parcham-Chef war Babrak Karmal, der nach der Revolution als Botschafter in die Tschechoslowakei entsendet wurde.

Dieser Schritt hatte das Ziel, Karmal aus dem politischen Leben Afghanistans auszuschließen. Seine zahlreichen Anhänger verloren ihre Posten. Mehrere von ihnen wurden hingerichtet. Die Sympathien Moskaus gehörten eher der gemäßigten Parcham, aber es pflegte auch Kontakte mit der Khalq - in der Hoffnung, die afghanischen Führer zu beeinflussen.

Die DVPA-Reformen hatten eine Destabilisierung am Hindukusch zur Folge. In dieser Zeit entstanden die ersten Mudschaheddin-Gruppierungen, die Unterstützung aus dem Ausland (USA, Pakistan, Saudi-Arabien, China) erhielten. Diese Hilfe nahm rasch zu.

Moskau konnte sich den Verlust der Kontrolle über Afghanistan nicht leisten, wobei diese Gefahr angesichts des beginnenden Bürgerkriegs in diesem Land immer größer wurde. Ab dem Frühjahr 1979 baten die afghanischen Führer die Sowjetunion verstärkt um direkte Militärhilfe. Moskau stimmte zusätzlichen Waffen- und Lebensmittellieferungen, größerer Finanzhilfe und der Ausbildung von neuen Fachkräften zu, wollte jedoch keine Truppen nach Afghanistan schicken.

Das Problem vertiefte sich zudem, weil sich die afghanische Führung, vor allem Amin, von ihrer eigenen Wahrheit überzeugt, kaum kontrollieren ließ. Es offenbarten sich Widersprüche zwischen Amin und Taraki, die zu einem offenen Konflikt mutierten. Taraki wurde der Schaukelpolitik beschuldigt und am 14. September 1979 getötet.

De facto erpresste Amin die sowjetische Führung und forderte einen direkten militärischen Eingriff in die Situation. Anderenfalls könnten ihm zufolge pro-amerikanische Kräfte die Macht ergreifen, so dass an den Grenzen zur Sowjetunion ein Spannungsherd entstehen würde, der die zentralasiatischen Sowjetrepubliken destabilisieren könnte.

Außerdem rief Amin (durch pakistanische Vermittler) die USA zur Entspannung der Beziehungen mit der Sowjetunion auf und - was damals wohl noch schlimmer war - sondierte die Situation für die Anknüpfung von Kontakten mit China, das gerade auf der Suche nach Verbündeten im Widerstand gegen die Sowjetunion war.

Es herrscht allgemein die Meinung vor, dass Amin mit dem Mord an Taraki sich selbst zum Tode verurteilte. Es gibt aber keine einheitliche Meinung zur wirklichen Rolle Amins und zu den Absichten Moskaus in Bezug auf ihn. Manche Experten vermuten, dass Moskau Amin lediglich die Macht entreißen wollte und dass seine Ermordung nur ein Zufall gewesen sei.

Egal wie, Ende Herbst 1979 änderte die Sowjetführung ihre Einstellung. KGB-Chef Juri Andropow, der bis dahin gegen die Truppenentsendung nach Afghanistan gewesen war, neigte langsam dazu, dass dieser Schritt für die Stabilisierung der Situation nötig war. Verteidigungsminister Dmitri Ustinow war von Anfang an dieser Meinung, obwohl einige in der sowjetischen Militärelite dagegen waren.

Der größte Fehler Moskaus war damals wohl die fehlende Alternative für den Truppeneinmarsch nach Afghanistan, die damit zum einzigen "durchdachten" Schritt wurde. Doch die Rechnung ging nicht auf. Die ursprünglich geplante Operation zur Unterstützung der befreundeten Führung in Kabul wurde zu einem langjährigen Krieg gegen Partisanen.

Die Gegner der Sowjetion nutzten diesen Krieg aus, indem sie die Mudschaheddin-Gruppierungen unterstützten und die Situation im Land destabilisierten. Dennoch konnte die Sowjetunion in Afghanistan eine arbeitsfähige Regierung unterhalten, die gewisse Chancen für eine Entspannung der Situation hatte. Durch eine ganze Reihe von weiteren Ereignissen wurden diese Chancen allerdings zunichte gemacht.

* Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der der RIA Novosti übereinstimmen.

Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 28. Dezember 2009; http://de.rian.ru



Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Russland-Seite

Zur Seite "Kriegsgeschichte"

Zurück zur Homepage