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Ablehnung ohne Folgen

In allen skandinavischen Ländern lehnt die Bevölkerungsmehrheit den Kriegseinsatz in Afghanistan ab

Von Gregor Putensen *

Alle skandinavischen Staaten haben Truppen nach Afghanistan entsandt. Einen schnellen Rückzug zögern die Regierungen aber trotz der mehrheitlichen Ablehnung des Kriegseinsatzes in der Bevölkerung weiter hinaus.

Die Bilanz des unter USA-Führung nunmehr zehn Jahre währenden Krieges in Afghanistan ist bekannt: Militärisch ist das Land nicht zu befrieden - der vorgebliche Demokratieexport des Westens ist gescheitert. Der ursprünglich auf den Schutz der vom Westen etablierten Regierung unter Präsident Hamid Karsai beschränkte Einsatz mutierte binnen kurzer Zeit zu einem landesweiten Krieg einer Koalition von 48 »willigen« Staaten. An diesem in der offiziellen Propaganda lediglich als »Mission« oder »Einsatz« herabgestuften Krieg beteiligen sich außer Island, das über keine eigenen Streitkräfte verfügt, alle übrigen vier Staaten Nordeuropas.

Öffentliche Proteste gegen die Kriegsbeteiligung der nordischen Staaten gibt es zwar seit Langem. Deren Teilnehmer entsprachen bis auf Dänemark den jeweils unterschiedlich starken Mehrheiten, die das Abenteuer am Hindukusch ablehnten. Zu politischen Konsequenzen führte das allerdings nicht; der Kriegsalltag in Afghanistan scheint in Skandinavien kaum spürbar.

In Schweden hat der frühere sozialdemokratische Verteidigungsminister und spätere Reichstagspräsident Thage Peterson erneut - dieses Mal allerdings nicht allein, sondern mit einer ganzen Gruppe prominenter Politiker anderer Parteien - die bürgerliche Koalitionsregierung unter dem konservativen Premier Fredrik Reinfeldt dazu aufgerufen, sich verbindlich auf einen vollständigen Abzug aller schwedischen Truppen aus Afghanistan festzulegen. Besonders heftige Kritik wird gegenüber ußenminister Carl Bildt geäußert, der das »Kunststück« fertigbrachte, von einem »Rückzug aller Kampftruppen« Schwedens bis 2014 zu sprechen, wobei allerdings auch nach diesem Zeitpunkt weiterhin »Unterstützungshandlungen« für die afghanischen Streitkräfte zu leisten wären.

Ungefährlich sei dies, so Bildt, solange die schwedischen »Unterstützer« in den Kasernen verblieben, ansonsten könnten sie durchaus »auch in Gefechte geraten«. Besonders erbost sind die Protestierenden, zu denen auch ein ehemaliger Erzbischhof und ein früherer UNO-Botschafter Schwedens gehören, dass sich das Land nach nahezu 200 Jahren in Afghanistan erstmals wieder an einem Krieg beteilige. Die Regierung müsse endlich eine Politik betreiben, die der eines militärbündnisfreien Landes zukomme und nicht der eines übereifrigen NATO-Mitglieds.

Während in Meinungsumfragen nicht nur in Schweden, Norwegen und Finnland die mehrheitliche Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes ihrer Truppen mit der Länge des Krieges ständig weiter gewachsen ist, vollzog sich in Dänemark erst seit Kürzerem der Wandel von einer nahezu 50-prozentigen Kriegsbefürwortung zu einer jetzt deutlicheren Ablehnung des militärischen Engagements in Afghanistan. Gemessen an der Einwohnerzahl hat das Land mit seinem Kontingent an 750 Soldaten mit 42 Toten den bisher höchsten Blutzoll aller am Afghanistan-Krieg beteiligten Staaten der »Koalition der Willigen« entrichtet. Schweden verlor bisher fünf von etwa 550 dort eingesetzten Soldaten, Norwegen hatte zehn Tote von etwa 500 Soldaten zu beklagen, und Finnland meldete bisher zwei getötete Soldaten von etwa 200.

Der Wandel der strategischen Kriegsziele der USA und des Westens in Afghanistan offenbarte bei aller propagandistischen Verbrämung der geostrategischen Ziele die Fallen der asymmetrischen Kriegsführung. Militärtechnische Überlegenheit garantiert keineswegs den Sieg, wie Afghanistan lehrt, mit Ach und Krach vielleicht eine politische Gesichtswahrung.

* Aus: neues deutschland, 18. November 2011


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