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Lawrow: Längere NATO-Präsenz in Afghanistan wirft Fragen auf

Nach dem Treffen des Russland-NATO-Rats in Brüssel

Die Absicht der USA, über das Jahr 2014 hinaus in Afghanistan militärisch präsent zu sein, trifft bei Russland laut Außenminister Sergej Lawrow nicht auf Verständnis.

Die Planung einer weiteren Präsenz nach dem Abzug der Kontingente „lässt bei uns Fragen aufkommen, die wir klären möchten“, sagte Lawrow am Donnerstag in Brüssel nach einer Sitzung des Außenministerrates Russland-NATO. Die internationale militärische Präsenz in Afghanistan diene der Erfüllung des Mandats des UN-Sicherheitsrates, das auf eine Beseitigung der Bedrohungen in diesem Staat abgezielt sei, betonte der russische Minister.

Solange die afghanische Seite nicht in der Lage sei, die Sicherheit im eigenen Land selbständig zu gewährleisten, wäre es wahrscheinlich falsch, unbegründete Fristen für den Truppenabzug zu setzen. „Wenn das Mandat des Sicherheitsrates erfüllt ist, gibt es keinen Grund mehr für eine ausländische Präsenz in Afghanistan und der ganzen Region.

Die Terror- und Drogengefahr, die vom afghanischen Territorium ausgeht, lässt nicht nach, fuhr Lawrow fort. „Leider nimmt die Gefahr des Terrorismus, des Drogenschmuggels vom Territorium Afghanistans trotz allen Bemühungen der Weltgemeinschaft nicht ab“, sagte er. Russland sei „stark darüber besorgt, wie sich die Ereignisse nach dem für 2014 geplanten Abzug der ISAF-Truppen aus Afghanistan entwickeln werden."

Nach Angaben der russischen Drogenaufsichtsbehörde hat sich die Produktion von Heroin in Afghanistan auf das 40-fache vergrößert, die Opiummohn-Anbauflächen nehmen heute in diesem Land bereits 130 000 Hektar ein.

Nach Schätzung der Außenkommission im US-Kongress nehmen die Taliban aus der Drogenproduktion jährlich bis zu 150 Millionen US-Dollar ein. Der russischen Drogenaufsichtsbehörde zufolge betragen die Gesamteinnahmen aus der afghanischen Drogenproduktion vier Milliarden US-Dollar.

Zum geplanten Raketenschild in Europa sagte der Minister, Russland fordere von der NATO, dass in einem verbindlichen Dokument über die Nichtausrichtung des Raketenschildes der Allianz gegen Russland militär-technische Kriterien festgeschrieben werden, die von beiden Seiten erarbeitet werden. „Einfach zu sagen, dass wir 1997 erklärt haben, wir seien keine Gegner und dass wir die Sicherheit von einander berücksichtigen werden, ist total ungenügend“, sagte Lawrow in Brüssel.

Moskau brauche feste Garantien aufgrund von militär-technischen und anderen Kriterien, die es ermöglichen würden, sich in jeder Etappe dieses Projektes der USA und der NATO zu überzeugen, dass es nicht gegen ein europäisches Land, darunter Russland, gerichtet sei. „Worte sind natürlich wichtig, und wir hören diese Worte, doch wie ein US-Präsident gesagt hat, ‚vertraue, aber prüfe nach’“, sagte Lawrow. In der Politik sei nicht die Absicht, nicht das Versprechen, sondern das Potenzial wichtig.

Der russische Außenamtschef brachte Ferner Empörung und Besorgnis Russlands darüber zum Ausdruck, dass Georgien nach dem Südossetien-Krieg von 2008 noch immer als NATO-Aspirant gilt. Georgien werde nach dem Krieg sehr schnell wiederaufgerüstet. „Präsident Saakaschwili hatte nach seinem jüngsten Washington-Besuch gesagt, dass er eine vollständige Wiederherstellung der Militärlieferungen erreicht sowie das Versprechen bekommen habe, unbedingt in die NATO aufgenommen zu werden“, fuhr Lawrow fort.

„Bei uns löst das alles Beunruhigung aus. Denn wir wollen keine erneute Destabilisierung im Südkaukasus wegen eines neuen Abenteuers dieses Menschen.“

Lawrow zufolge ist Russland besorgt auch über die Ausbreitung der Instabilität von Libyen auf andere Länder der Region. Dabei handle es sich um das Eindringen von Kämpfern in benachbarte Länder sowie um Waffenschmuggel. „Ergebnisse dieser sich ausbreitenden Instabilität sind unter anderem in Mali zu spüren“, sagte er.

Im März 2012 hat sich die Situation in Mali verschärft. Die Militärs, die mit der Reaktion der Behörden auf den Aufstand der Tuareg im Norden des Landes unzufrieden waren, enthoben Präsident Amadou Toumani Touré seines Amtes. Hauptmann Amadou Sanogo übernahm die Staatsführung. In der Vorwoche übergab der Chef der Militärregierung die Staatsmacht an den Chef der Nationalversammlung von Mali, Dionkunda Traoré, der die provisorische Regierung bis zur Wahl der neuen Staatsführung leiten soll.

Zur Einladung Russlands zu Afghanistan-Beratungen durch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sagte Lawrow: „Wir werden darüber nachdenken und in der nächsten Zeit die Antwort geben.“ Dabei kritisierte er die Allianz dafür, dass sie Moskau nicht zu den regulären Treffen der Länder einlädt, die die internationale Afghanistan-Schutztruppe ISAF stellen, obwohl Russland diesen Ländern Transitmöglichkeiten zur Verfügung stelle. Es war das erste und wohl das letzte Mal, da Russland zu Afghanistan-Beratungen eingeladen wurde.

„Wir liefern keine Kontingente für die ISAF-Truppen, aber wir bieten Transitmöglichkeiten an, die sehr, sehr hoch von den Nato-Partnern geschätzt werden und die Routen ermöglichen, die eine entscheidende Rolle bei der Versorgung der Truppen spielen“, sagte Lawrow. Moskau halte seinen Beitrag zur ISAF-Tätigkeit am Hindukusch für nicht geringer als den der Länder, die die Truppen stellen und das Recht haben, an den regulären Treffen in Brüssel teilzunehmen. „Dass Russland außen vorn bleiben musste, ist ungerecht und unfair", kritisierte Lawrow.

* Aus: Russische Nachrichtenagentur, Freitag, 19. April 2012; http://de.rian.ru


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