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"Wir sind nach wie vor im Untergrund"

Die Besatzer in Afghanistan arbeiten mit Drogenbaronen und Kriegsverbrechern zusammen. Ein Gespräch mit RAWA-Aktivistin Zoya

Zoya ist Aktivistin der afghanischen Frauenrechtsorganisation RAWA (Revolutionary Association of Women in Afghanistan -- rawa.org). Sie spricht auf dem Afghanistan-Kongreß »Dem Frieden eine Chance« am 7. und 8. Juni in Hannover (www.afghanistan-kongress.de) *



Sie haben sich 1994, in Ihrem 14. Lebensjahr, der Frauenrechtsorganisation RAWA angeschlossen, von der Sie im Umfeld eines Flüchtlingslagers in Pakistan Schulbildung erhielten. Wie war damals Ihrem Erleben nach die Situation in Afghanistan?

Seit 1992, als die fundamentalistischen Gruppen der Nordallianz die Macht übernommen hatten, verwandelten sie Afghanistan in eine Hölle, begingen schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit und vergewaltigten sogar vierjährige Kinder und 75jährige Großmütter. Von 1992 bis 1996 wurden allein in der Hauptstadt Kabul 80000 Zivilisten ermordet. Die Fundamentalisten genossen sowohl die Unterstützung der US-Administration als auch der Regierungen Pakistans und Saudi-Arabiens. Außerdem gab es blutige Stammesfehden.

1996 kamen die Taliban und begannen, die Schulen zu schließen. Schultüren wurden als Tore zur Hölle bezeichnet. Zu dieser Zeit hat die internationale Gemeinschaft geschwiegen. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center am 11. September 2001 begannen die Amerikaner plötzlich davon zu reden, man müsse Afghanistan besetzen -- im Namen der Demokratie und der Menschenrechte.

Haben damals nicht auch einige Afghanen geglaubt, es könne jetzt nur noch besser werden?

Sie können sich ja vorstellen, was es für eine kriegsmüde Bevölkerung nach Jahren der Gewalt und der Zerstörung bedeutet, dann auch noch mit den modernsten Waffen angegriffen werden. Trotzdem gab es anfangs große Hoffnungen. In ihrer Verzweiflung dachten die Leute tatsächlich, die US-Truppen würden konsequent gegen den Fundamentalismus vorgehen und den Menschen die Demokratie bringen.

Obwohl die USA sich gegen die Taliban ausgerechnet mit der Nordallianz verbündet hatten?

Ja, exakt. Aber die Hoffnungen auf Freiheit und Frieden haben sich schnell erledigt, als die USA alles taten, um die Kriegsverbrecher von der Nordallianz fest in das Besatzungsregime einzubinden. Damit haben sie sich selbst dauerhaft kompromittiert. In dieser Regierung sitzen Drogenbarone und Menschen, die ein Großteil meiner Landsleute lieber vor dem internationalen Kriegsverbrechertribunal gesehen hätte.

Wie groß ist der Einfluß der Regierung Hamid Karsai?

Nur 30 Prozent Afghanistans werden faktisch von der Karsai-Regierung kontrolliert, 70 Prozent von den Taliban, von Kommandanten der Nordallianz, von Stammesfürsten oder der Drogenmafia.

Was hat sich seit der Besetzung für die Mehrheit der afghanischen Frauen formal und tatsächlich verändert?

Verbessert hat sich seither nichts. Jeder Warlord macht seine eigenen Gesetze. Nach wie vor werden im Namen der Ehre Frauen gesteinigt. Nicht einmal in Kabul sind Frieden und Stabilität zu finden. Der Alltag ist nicht leichter geworden, und wir haben es mit denselben Feinden zu tun wie vor der Besetzung. Ausländische Truppen sind da vollkommen überflüssig. Sie haben weder Demokratie noch mehr Elektrizität in unser Land gebracht. Sie verhindern auch nicht, daß Menschen verhungern oder an heilbaren Krankheiten sterben. Andere verkaufen ihre Töchter, weil sie sie nicht ernähren können.

Wie sind die Arbeitsbedingungen für RAWA in dieser Situation?

Demokratische Organisationen wie RAWA sind sehr klein und schwach. Wir werden auch im besetzten Afghanistan verfolgt, können dort keine legale Öffentlichkeitsarbeit machen und haben keine Anlaufstelle. Wir sind nach wie vor im Untergrund und erhalten per Telefon oder E-Mail fundamentalistische Drohungen.

Welche Unterstützung bekommt RAWA aus dem Ausland, und mit welchen Erwartungen nehmen Sie am Afghanistan-Kongreß in Hannover teil?

Bisher unterstützt uns niemand. Deshalb fordern wir von ausländischen Staaten, jede Hilfe für die fundamentalistischen Gruppierungen einzustellen und anstelle von Militäreinsätzen mit demokratischen Organisationen zusammenzuarbeiten. Die gibt es nämlich -- und ich meine damit nicht nur RAWA. Alle Demokraten sollten deshalb Druck auf ihre Regierungen machen.

Interview: Claudia Wangerin

* Aus: junge Welt, 5. Juni 2008


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