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Afghanen trauern um ermordeten Rabbani

USA verstärken nach Anschlag Druck auf Pakistan *

Der Hohe Friedensrat in Afghanistan will eine Aussöhnung mit den Taliban auch nach der Ermordung seines Vorsitzenden Rabbani vorantreiben. Der frühere afghanische Präsident sei »ein unermüdlicher Botschafter für den Frieden« gewesen, teilte das Gremium am Mittwoch (21. Sept.) mit.

Hunderte Menschen haben in der afghanischen Hauptstadt Kabul friedlich gegen die Ermordung von Ex-Präsident Burhanuddin Rabbani demonstriert. Am Mittwochmorgen versammelten sie sich vor dem Haus des getöteten 71-Jährigen und hielten Porträts und Plakate in die Höhe. Viele der Demonstranten trugen schwarze Stirnbänder als Zeichen der Trauer. Während einige Regierungsvertreter in der Residenz Abschied von Rabbani nahmen, rezitierten viele Demonstranten vor dem Tor Verse aus dem Koran.

Rabbani, der zwischen 1992 und 1996 afghanischer Staatschef war, war am Dienstag in seinem Haus in Kabul Opfer eines Anschlags geworden. Die Polizei bestätigte Angaben aus Rabbanis Umfeld, wonach der 71-Jährige durch eine Bombe getötet wurde, die im Turban eines Talibankämpfers versteckt war. Rabbanis Aufgabe war es zuletzt, Friedensverhandlungen mit den Taliban zu führen. Der Angreifer war zusammen mit einem Komplizen in Rabbanis Haus geladen worden, weil er angeblich eine Botschaft der Taliban überbringen wollte. Angesichts der Tat verkürzte der afghanische Präsident Hamid Karsai nach einem Treffen mit US-Präsident Barack Obama seinen Besuch bei der UN-Vollversammlung in New York.

Die Taliban ließen offen, ob sie hinter der Bluttat vom Dienstagabend steckten. Taliban-Sprecher Kari Jussif Ahmadi sagte am Mittwoch, er habe keine Informationen über den Anschlag. »Ich kann ihn nicht kommentieren.«

Das US-Verteidigungsministerium verurteilte den Anschlag auf als Teil einer Strategie. Die Taliban verübten zunehmend Attentate auf ranghohe Persönlichkeiten, sagte Verteidigungsminister Leon Panetta am Dienstag in Washington. US-Generalstabschef Mike Mullen sagte, die Taliban seien aufgrund ihrer Schwächung durch die Erfolge der internationalen Militärkoalition zu »spektakulären Angriffen« übergegangen. Trotz der Schwächung der Taliban müssten diese Anschläge ernst genommen werden, betonte Mullen. »Aus strategischer Sicht sind sie bedeutend.«

Auch Panetta sagte, die Tötung Rabbanis sei »Anlass zur Beunruhigung«. Die US-Armee arbeite mit der afghanischen Armee zusammen, um den Taliban Einhalt zu gebieten. Der Pentagon-Chef zeigte sich überzeugt davon, dass die internationale Koalition weiter in die »richtige Richtung« gehe.

Bundeskanzlerin Angela Merkel schrieb in einem Kondolenztelegramm an Karsai, Rabbani habe sich als Vorsitzender des Friedensrates an entscheidender Stelle um Versöhnung bemüht. »Der Angriff auf sein Leben ist ein direkter Angriff auf die Friedensbemühungen in Ihrem Land.«

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte das Attentat »auf das Schärfste«, wie sein Sprecher Martin Nesirsky in New York mitteilte. Ban sei »zutiefst schockiert über den Tod« Rabbanis. Die Tat sei ein »Angriff auf Menschen, die für die Rückkehr des Friedens nach Afghanistan arbeiteten«. Die UNO werde weiterhin Afghanistan und das afghanische Volk bei ihren Bemühungen um Frieden unterstützen.

Nach dem Angriff auf die US-Botschaft in Kabul erhöht Washington den Druck auf Pakistan, gegen das radikal-islamische Hakkani-Netzwerk im Grenzgebiet zu Afghanistan vorzugehen. Die »Washington Post« berichtete am Mittwoch, die Warnung an die Adresse Islamabads komme einem »Ultimatum« gleich. Amerikanische Regierungsvertreter hätten erkennen lassen, dass die USA sonst eigenmächtig handeln würden. Das Blatt machte keine Angaben dazu, wie diese Handlung aussehen könnte.

Bislang gehen die USA mit Drohnen gegen Angehörige des Netzwerks im Stammesgebiet Nord-Waziristan vor. Pakistanische Sicherheitskräfte lassen die Extremisten in ihrem Rückzugsgebiet weitgehend unbehelligt. Die pakistanische Armee verweist darauf, dass sie mit Operationen gegen die Taliban in anderen Gebieten ausgelastet ist. Das Hakkani-Netzwerk greift von Nord-Waziristan aus Ziele besonders im Osten Afghanistans an.

Die USA machen das Hakkani-Netzwerk unter anderem für den Beschuss der US-Botschaft und des Hauptquartiers der Internationalen Schutztruppe ISAF am Dienstag vergangener Woche in Kabul verantwortlich. Bei den mehr als 20 Stunden dauernden Gefechten waren zahlreiche Menschen getötet worden, Ausländer waren nicht darunter.

Das von Djalaluddin Hakkani gegründete Netzwerk kämpft wie die Taliban gegen die ausländischen Truppen in Afghanistan. Es gilt aus Sicht der US-Amerikaner inzwischen als die größte Bedrohung. Die Beziehungen zwischen den Pakistan und den USA sind auch deswegen zur Zeit angespannt.

* Aus: Neues Deutschland, 22. September 2011


Attentat in Sicherheitszone

Ermordung von Afghanistans Expräsident Rabbani ist Rückschlag für ISAF

Von Thomas Berger **


Am Mittwoch haben in der afghanischen Hauptstadt Kabul Hunderte Menschen gegen die Ermordung von Expräsident Burhanuddin Rabbani demonstriert. Dieser wurde am Dienstag bei einem Attentat inmitten der Hochsicherzeitszone Kabuls getötet. Während noch viele Fragen rund um die Bluttat offen sind, tauchte in den Kommentaren ein Satz immer wieder auf: Die Ermordung Rabbanis sei ein schwerer Rückschlag für den Friedensprozeß. Staatschef Hamid Karsai, der seinen US-Besuch wegen des Attentats verkürzt, betonte hingegen, man wolle auf dem eingeschlagenen Weg voranschreiten.

Der 71jährige Rabbani war Karsais Sonderbeauftragter in dem Bemühen gewesen, die radikalislamischen Taliban an den Verhandlungstisch zu holen. Der frühere Präsident stand an der Spitze des »Hohen Friedensrates«, einem vor einem Jahr geschaffenen Gremium, das die nationale Aussöhnung voranbringen sollte. Und er war einer der Politiker mit der höchsten Sicherheitsstufe: Desto größer ist der Schock, daß dieses Attentat gelungen ist. In seiner Residenz, am Rande der Hauptstadt Kabul in der sogenannten »grünen Zone« gelegen, die auch die US-Botschaft und andere besonders gesicherte Objekte einschließt, hatte Rabbani Abgesandte der Taliban empfangen. Einer der Männer, die am Eingang auf Weisung eines ranghohen Begleiters nicht durchsucht worden waren, zündete Berichten zufolge einen in seinem Turban verborgenen Sprengsatz, als er den Gastgeber umarmen wollte. Rabbani war offenbar sofort tot.

Es ist das tragische Ende einer der schillerndsten Figuren in der politischen Arena des Landes während der letzten Jahrzehnte. Rabbani, 1940 im nordafghanischen Faisabad geboren, war Tadschike und gehörte damit der nach den dominierenden Paschtunen zweitgrößten Volksgruppe an. In Kabul studierte er Theologie und später an der renommierten Al-Azhar-Universität von Kairo auch islamische Philosophie. Schon als Dozent in den sechziger und siebziger Jahren gehörte er zu den Führern des konservativ-religiösen Lagers, das gegen die Reformbestrebungen der volksdemokratischen Regierungskräfte Widerstand organisierte. Kurzzeitig sogar Chef der Jamaat-e-Islami, ging Rabbani 1974 ins pakistanische Exil.

Bereits zu seinen Universitätszeiten hatte der islamische Rechtsgelehrte gemeinsam mit anderen den organisatorischen Grundstock für jene Gruppen gelegt, die später unter dem Sammelbegriff Mudschaheddin gegen die sowjetischen Truppen kämpften und 1989 deren Abzug erzwangen. Nach dem siegreichen Einzug der vormaligen Aufständischen in Kabul wurde Rabbani 1992 zum Präsidenten gekürt – doch die Allianz der verschiedenen konservativ-islamistischen Parteien hielt bekanntlich nicht lang. Rabbani führte eine der vielen Fraktionen, blieb aber zumindest bis zum Machtantritt der Taliban 1996 formell Staatsoberhaupt und gehörte anschließend zu den Spitzen der sogenannten Nordallianz.

Gemessen an Männern vom Schlage des früheren Premiers Gulbuddin Hekmatyar oder eben an den Taliban, galt der Expräsident immer als »gemäßigt«. Bestimmte Exzesse wie den kompletten Ausschluß von Frauen und Mädchen aus Arbeitsleben und Bildung lehnte er ab. Dennoch war er stets ein überzeugter Konservativer und verfolgte ähnliche Ziele wie andere ehemalige Mudschaheddinführer. Gleichwohl schaffte er es als Sonderbeauftragter Karsais, einige Talibankämpfer zum Aufgeben zu bewegen – nicht aber Vertreter aus der Führungsetage der Bewegung.

Neben vielen anderen verurteilten die USA und Pakistan das Attentat in Kabul. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen warnte ausdrücklich jene, die hinter der Tat steckten. »Die Feinde des Friedensprozesses werden sich nicht durchsetzen«, sagte er in einer Erklärung. Allerdings offenbart die Ermordung des hochrangigen Politikers erneut, wie schwer es ISAF und einheimischen Kräften bereits fällt, die sensibelsten Gebiete der Hauptstadt zu schützen. Erst vor einer Woche hatten Aufständische das Diplomatenviertel belagert, und die Anschläge im gesamten Stadtgebiet haben sich 2011 deutlich gehäuft.

** Aus: junge Welt, 22. September 2011


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