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Kulturkampf am Hindukusch

Anhänger der Pressefreiheit geraten unter islamistischen Druck

Von Thomas Ruttig *

In Afghanistan entwickelt sich ein verstärkter Kulturkampf zwischen Islamisten, die eine kontrollierte Medienlandschaft bevorzugen, und Anhängern der Pressefreiheit.


Eigentlich hatte Hanif Hangam für einen afghanischen Schauspieler ein ziemlich großes Los gezogen: eine wichtige Rolle im Bollywood-Film »Kabul Express«. Indische Filme sind in Afghanistan populär, und wer darin mitspielt, kann sehr bekannt werden in dem Land am Hindukusch, das nur sehr wenige eigene Filme produziert. So kam es auch – nur ganz anders, als Hangam dachte. In seiner Filmrolle musste er die ethnisch-religiöse Minderheit der Hasara als »wildesten Stamm des Landes« und als »Banditen« bezeichnen, und das sorgte für Proteste. Das afghanische Ministerium für Information und Kultur, von einem Islamisten geführt, verbot den Film kurzerhand, obwohl der nicht einmal offiziell gezeigt wurde, sondern nur in Raubkopien auf DVD kursiert. Der durch seinen Aktivismus auffallende neue Generalstaatsanwalt Abduljabbar Sabet, ein Islamist, der in den USA studiert hat, lud Hangam dieser Tage zum Verhör vor, um festzustellen, ob »ein Verbrechen« vorliege. Hangam, der auch eine viel gesehene Enthüllungsjournalismus-Sendung beim populären Privat-Fernsehsender Tolu TV moderiert, zog die Flucht nach Indien vor, berichtete eine Kabuler Tageszeitung.

Der Fall Hangam ist nur einer in einer ganzen Reihe, in denen sich ein verstärkter Kulturkampf zwischen Islamisten, die eine kontrollierte Medienlandschaft bevorzugen, und Anhängern der Pressefreiheit ausdrückt. Die Islamisten führen diesen Konflikt von einer Position der Stärke aus. Sie sind weiterhin bewaffnet und kontrollieren wichtige Schlüsselfunktionen. Sabet stammt wie der neue Informations- und Kulturminister Abdulkarim Khorram oder Präsident Hamid Karsais neuer Stabschef Omar Daudzai aus der Islamischen Partei (Hezb-e Islami) des berüchtigten Mudschahedin-Führers Gulbuddin Hekmatyar, die sich offiziell in zwei Flügel gespalten hat. Während Hekmatyar weiterhin bewaffnet Karsai und dessen ausländische Unterstützer bekämpft und dies als »Dschihad« bezeichnet, kooperiert ein anderer Flügel, der im vergangenen Jahr unter demselben Namen als Partei registriert wurde und etwa 40 Anhänger im Parlament hat, offiziell mit der Karsai-Regierung. Viele Afghanen trauen dem aber nicht und befürchten, dass Hekmatyar eine Doppelstrategie fährt: militärischer Druck auf Kabul und »Unterwanderung« der nach der Bonner Afghanistan-Konferenz 2001 gebildeten neuen demokratischen Institutionen.

Abdurrabb Sayyaf, ein weiterer Islamistenführer, der dem mächtigen Außenausschuss des Parlaments vorsitzt, vor allem aber einflussreicher Karsai-Berater ist, hat in dem Gesetzgebungsorgan gerade vorgeschlagen, eine »Nationale Versöhnungskommission« zu bilden. Sein Hintergedanke: Gespräche mit Hekmatyar und den Taliban und Schulterschluss mit anderen islamistischen Kräften.

Jüngstes Opfer dieses Kulturkampfes ist der Direktor des afghanischen Fernsehens und Radios, Najib Roshan, der jetzt von seinem Amt zurücktrat. Dem vorausgegangen war eine monatelange Kampagne gegen den linksgerichteten Deutsch-Afghanen, der in den 60er und 70er Jahren in Afghanistan einer maoistischen Gruppe angehörte und danach lange im deutschen Exil gelebt hatte. Mit seinen – von Karsai befürworteten – Reformideen war er nicht nur den Islamisten seit seiner Ernennung vor 16 Monaten ein Dorn im Auge. Korruptionsvorwürfe gegen ihn wurden lanciert – und widerlegt. Aber mit der Ernennung Khorrams zu seinem Vorgesetzten – das afghanische Fernsehen untersteht dem Informationsministerium – gerieten auch seine Reformansätze, die unter anderem das langweilige Staatsfernsehen in eine öffentlich-rechtliche Anstalt umwandeln sollten, immer mehr ins Stocken.

Anfang Januar kam es zum Showdown. Zunächst setzte ihm Khorram unangekündigt einen »Berater« als Aufpasser vor. Diese Ernennung konnte Roshan zunächst noch abbiegen. Dann entließ der Minister ebenso eigenmächtig 80 Fernsehmitarbeiter, die als Anhänger Roshans galten, und tauchte am 7. Januar sogar mit bewaffneten Leibwächtern im Sender auf, um einige der Entlassenen persönlich gewaltsam von ihren Arbeitsplätzen zu entfernen. In seinem Rücktrittsschreiben an Präsident Hamid Karsai sagt Roshan, dass er angesichts der »Wende in der politischen Atmosphäre des Landes und in der Medienpolitik« seine Aufgabe nicht mehr ausführen könne. Er geht wohl auch davon aus, dass Karsai ihn nicht länger schützen konnte.

* Aus: Neues Deutschland, 1. Februar 2007


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