Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Rückrufaktion für deutsche Polizisten

SPD-Innenminister wollen Ausbildung afghanischer Ordnungshüter nach Deutschland verlegen

Von René Heilig *

Die Verstärkung der Polizeiausbildung in Afghanistan ist ein Kernstück der neuen Hindukusch-Strategie, mit der die Bundesregierung vor den NATO-Verbündeten glänzt. Nun wählen die Innenminister der SPD-regierten Länder einen Notruf wider das Programm.

Nachdem nun auch die Bundesregierung zugibt, dass in Afghanistan ein Krieg tobt, stellt sich »zwangsläufig« die Frage, ob Deutschland »einen Beitrag zur Ausbildung der afghanischen Polizei auch außerhalb Afghanistans leisten kann«. So steht es in einem Brief, den Berlins Innensenator Ehrhard Körting namens seiner SPD-Ressortkollegen aus Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt an Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gesandt hat.

Die SPD-Ressortchefs fühlen sich - so wie die Gewerkschaft der Polizei - abermals überfahren von der Zusage der Bundesregierung, das bilaterale Afghanistan-Programm um rund 70 Beamte auf rund 200 anzuheben. Laut dem »Königsteiner Schlüssel« kommen zwei Drittel der Polizisten aus den Ländern. Seit 2002 hat allein Berlin 65 Beamte entsandt. Doch offenbar versäumte es die Bundesregierung, mit den Ländern Klartext über die Erweiterungsabsichten zu reden.

Schaut man sich die Dokumente der Innenministerkonferenz an, so stammt der letzte Bericht über den Afghanistan-Einsatz vom Oktober 2009. Darin wurde »insbesondere dem Aspekt der Sicherheitsmaßnahmen« Aufmerksamkeit gewidmet. Doch obwohl vor allem eine »Verbesserung der Schutzmaßnahmen und Schutzausstattung« angemahnt wird, hat die Regierung nur den Einsatz ausgeweitet.

Körtings Brief ist Ausdruck wachsender Furcht der Länder um die Sicherheit ihrer Polizisten. Zum einen hat sich die Sicherheitslage extrem verschärft, zum anderen ist zu befürchten, dass die Polizeitrainer - wenn sie verstärkt außerhalb von Camps ausbilden sollen - leichter zur Zielscheibe werden.

Körting unterstreicht, dass man sich an gegebene Zusagen halten wolle und schlägt deshalb vor, dass vor allem Führungskräfte der afghanischen Polizei auch in Deutschland geschult werden könnten. Solche Ideen werden von der Bundesregierung seit Jahren ignoriert. Dabei könnten die Kurse an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster stattfinden. Wie viele das sein könnten, lässt Körting auf Nachfrage offen, denn das sei vor allem eine Entscheidung des Bundesinnenministers.

In Münster hat man afghanische Kollegen zuletzt »Ende der 50er Jahre« gesehen. Doch wäre man zur Ausbildung afghanischer Polizisten in der Lage und bereit, wenn es »dazu einen politischen Willen gibt«, erklärt ein Hochschul-Sprecher gegenüber ND. Dass es sinnvolle wäre, afghanische Kollegen auszubilden, die in ihrer Heimat als Multiplikatoren wirken, erfährt man an der Bundespolizeiakademie, die bisher deutsche Polizisten für den Afghanistaneinsatz fit macht. Die Bundespolizei war unlängst noch als Grenzschutz unterwegs und ist daher geeignet, Grenzpolizisten auszubilden. Denn das ist - im Gegensatz zu Regierungsbeteuerungen - neben der Gendarmerieabteilung ein von der Londoner Konferenz beschlossener Schwerpunkt.

Der Vorstoß der SPD-Minister wird vom Links-Bundestagsabgeordneten Frank Tempel unterstützt, der selbst Polizist ist. Allerdings müsste man vor Ort auch die notwendigen Polizei- und Rechtsstrukturen schaffen, damit eine Polizei für die Bürger entsteht und keine Truppe, die in Polizeiuniform Soldatenhandwerk betreibt.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2010

Demo gegen Afghanistan-Krieg! 20. Februar, Berlin

Attac ruft für kommenden Samstag auf zu der großen Demonstration gegen den Afghanistan-Krieg! Unsere Forderungen: Schluss mit dem Krieg in Afghanistan! Keine Truppenverstärkung! Mittel für humanitäre Arbeit vor Ort drastisch erhöhen!

Die Lage in Afghanistan verschlechtert sich von Jahr zu Jahr. Gewalt, Terror und Drogenhandel prägen den Alltag im Großteil des Landes. Während im Süden Afghanistans die Taliban de facto an die Macht zurückgekehrt sind, herrschen in vielen anderen Teilen des Landes noch immer Kriegsverbrecher und Warlords. Jeder Tag mit Krieg verschlimmert die Lage der Menschen. Der Krieg, den Bundesaußenminister Guido Westerwelle nun "Bürgerkrieg" nennt, fordert immer mehr zivile Opfer. Jeder Tote treibt junge Frauen und Männer in die Arme radikalislamistischer Terroristen.

Der zivile Wiederaufbau in Afghanistan wird vernachlässigt. Nur ein Bruchteil des Geldes, das für den Krieg in Afghanistan ausgegeben wird, fließt in den Aufbau von Schulen, in die Verbesserung der Lebensbedingungen der afghanischen Bevölkerung und die Stärkung der demokratischen Strukturen in Afghanistan. Mit der Androhung, die öffentlichen Mittel denjenigen zivilen Organisationen zu streichen, die nicht mit der Bundeswehr zusammenarbeiten wollen, will Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel die zivilen Hilfsorganisation zu Helfershelfern des Militärs machen. Das darf nicht sein. Der Versuch, den Afghanen den "freien Welthandel" durch Liberalisierung und Privatisierung aufzuzwingen, zeigt die wahren Absichten des andauernden militärischen Einsatzes in Afghanistan. Nicht fremde Mächte, die Afghanen müssen selbst entscheiden, wie sie ihr Land weiter entwickeln. Die internationale Gemeinschaft hat eine Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan. Dies gilt besonders für jene Länder, die den Krieg gegen die Taliban mittragen, also auch für Deutschland. Afghanistan muss endlich Entwicklungschancen in Selbstbestimmung haben. Dazu müssen die Mittel für humanitäre Arbeit zur Verbesserung der Lebensbedingungen drastisch erhöht werden.

Das globalisierungskritische Netzwerk Attac hat den von den USA ausgerufenen "Krieg gegen den Terror" stets abgelehnt. Er dient als Vorwand für kriegerische Operationen überall auf der Welt, um eine Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens und Zentralasiens zu erzwingen. US-amerikanische machtpolitische und wirtschaftliche Interessen sollen so durchgesetzt werden. Der Krieg führt zur Einschränkung bis hin zur brutalen Missachtung von Menschenrechten weltweit. Zugleich schafft seine "Gut-Böse"-Rhetorik neue Feindbilder und befeuert Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie. Der "Krieg gegen den Terror" – und insbesondere die Beteiligung der Bundeswehr daran – muss ein Ende haben.

Attac ruft deshalb zur bundesweiten Demonstration gegen den Afghanistan-Krieg am kommenden Samstag, 20. Februar, nach Berlin auf. Gemeinsam fordern wir die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, endlich mit der Politik der militärischen Eskalation des Konflikts zu brechen. Wir verlangen: Stimmen Sie der Truppenverstärkung nicht zu! Holen Sie die Soldaten nach Hause!

Zur offiziellen Demo-Webseite!

Quelle: Website von Attac-Deutschland; www.attac.de




NATO kämpft weiter um Südafghanistan

Großoffensive dauert an. Pakistan warnt vor Fluchtbewegung. Bevölkerung begegnet Besatzern »gleichgültig«

Von Rüdiger Göbel **


Der Widerstand der Aufständischen im Süden Afghanistans ist auch knapp eine Woche nach Beginn einer Großoffensive der NATO-geführten Besatzungstruppen nicht gebrochen. Vor allem in zwei südlichen Stadtteilen von Marja stießen die Soldaten am Donnerstag laut Militärangaben weiter auf starke Gegenwehr. Als Folge der NATO-Großoffensive kommen nach Angaben der pakistanischen Regierung zunehmend afghanische Flüchtlinge und Taliban-Kämpfer ins Land.

AP-Korrespondenten berichten derweil unter dem Titel »Ein skeptischer Empfang für die Befreier«: »Nach Einnahme des Dorfs Kari Sahib am Sonntag versuchten afghanische und NATO-Militärs, mit den Dorfältesten auf einem Treffen über die öffentlichen Dienstleistungen zu sprechen, die sie zu erwarten hätten. Doch die meisten Teilnehmer hörten kaum zu, sondern lachten und schwatzten untereinander. Den Dorfbewohnern schien der als Befreiung gelobte Wachwechsel gleichgültig zu sein.«

Im Norden Afghanistans wurden bei einem NATO-Luftangriff gestern versehentlich sieben einheimische Polizeioffiziere getötet. Das berichteten Sicherheitskräfte des Landes und Augenzeugen. Am Mittwoch waren bei einem Angriff auf die Besatzer bei Kundus drei deutsche Soldaten verletzt worden. Bei einem anderen Gefecht sind laut Armee »vermutlich mehrere Angreifer getötet« worden.

Die Besatzer registrierten in der vergangenen Woche »283 Sicherheitsvorfälle«. Das geht aus einem nichtöffentlichen Bericht des Bundesverteidigungsministeriums hervor. Der jW vorliegende Report des Einsatzführungsstabes nennt »195 Schußwechsel und Gefechte, 59 Sprengstoffanschläge sowie 29 Vorfälle von indirektem Beschuß (Mörser und Raketen)«. Insgesamt sind zwischen dem 8. und 14. Februar zehn Besatzungsoldaten »gefallen«; weitere 72 wurden verwundet.

** Aus: junge Welt, 19. Februar 2010


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zur Sonderseite "Truppen raus aus Afghanistan"

Zurück zur Homepage