Afghanistan: Nette Cops sterben schneller
Anhörung im Bundestag-Innenausschuss: Ein Versuch zwischen Parteiräson und Verantwortung
Von René Heilig *
Wenn die Bundesregierung Polizisten zu Auslandsmissionen – beispielsweise nach Afghanistan –
schickt, sollte sie zuvor das Parlament befragen. Meinen die Oppositionsparteien. Am Montagabend
traf sich der Innenausschuss zur Expertenanhörung.
»Noch einen Kaffee? Welches Brötchen hätten Sie gern?« Frisches Wasser stand auf den Tischen,
Videoübertragung und Stenogramm klappten. Peter Horst und Detlef Kariot müssen sich wie in einer
fremden Welt gefühlt haben. Die beiden Polizeibeamten sind zur Befragung aus Afghanistan nach
Berlin gekommen und hofften – mit anderen –, Abgeordneten ein Licht aufzusetzen.
Man darf zweifeln, ob es ausstrahlt, denn die Parteifronten stehen fest: Das Parlament soll derartige
Einsätze beschließen – verlangen FDP, LINKE und Grüne. Das Grundgesetz verlangt es nicht, wir
sind dagegen – sagen die Regierungsparteien und vertrauen auf EU- oder bilaterale Abkommen, die
Abgeordneten allenfalls zur Kenntnis gegeben werden.
Bernd Brämer, Präsident der Bundespolizeiakademie aus Lübeck, und Kurt Graulich, Richter am
Bundesverwaltungsgericht, waren sich so einig: Ein Parlamentsvorbehalt sei nicht erforderlich.
Schließlich gebe es »deutliche Unterschiede« zwischen polizeilichen und militärischen Einsätzen, so
argumentierte Brämer. Und Graulich bemühte den Grundsatz der Gewaltenteilung und die Stellung
der Polizei in Deutschland, die gegen eine verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden
gesetzlichen Regelung sprechen.
Ganz anders sehen das Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei und Dieter Schenk, Polizeiund
Menschenrechtsexperte sowie Publizist und Honorarprofessor der Universität in Lodz.
Schließlich gehe es bei den Einsätzen deutscher Bundes- und Landespolizisten um grundlegende
außenpolitische Entscheidungen. Und die, die mit Aus- und Weiterbildung afghanischer Kollegen
betraut werden, hätten ein Recht darauf, zu wissen, wie das Parlament ihren Auftrag politisch
bewertet.
Die Debatte blieb weitgehend akademisch – bis Tom Koenigs, der frühere UN-Sondergesandte für
Afghanistan, direkt wurde: Bisher sei die europäische Polizeimission »schief gelaufen«. Die
internationale Gemeinschaft stolperte – man mag es kaum glauben – völlig unvorbereitet in vielfache
Probleme. Notwendig seien ein »integriertes und abgestimmtes Konzept« und ein »hohes
finanzielles Engagement«, um vielleicht in einigen Generationen eine funktionierende nationale
Polizei zu haben. So gut es auch gemeint sein kann, es ist einfach weltfremd, mit hiesigen
Wertmaßstäben an den Aufbau in Afghanistan zu gehen.
Und noch eines brachte Koenigs in die Diskussion: Afghanistan brauche nicht nur nette Cops, es
braucht vor allem eine gut ausgebildete Gendarmerie, eine robuste Truppe, die nicht nur
Polizeiaufgaben erfüllen kann, sondern sich selbst zu schützen weiß in all dem kriegerischen
Umfeld. Doch genau diesen militärischen Polizeidrill darf Deutschland aus eigenen leidvollen
Erfahrungen nicht leisten.
Spätestens an dem Punkt müssten sich Bundestagsabgeordnete über Parteigrenzen hinaus
gefordert fühlen. Denn eigentlich dürften deutsche Polizisten laut Gesetz überhaupt nicht in einen
Krieg geschickt werden. Doch an dem Punkt, der einen Abbruch des gesamten Unternehmens
denkbar machte, versandete die Debatte wieder in Paragrafen-Interpretationen und dem Austausch
von Ansichten, die ihre Herkunft in wohlgeordneten Deutschland, doch keinerlei Beziehungen zu der
Wirklichkeit in Afghanistan haben.
Zu der gehört: Afghanische Polizisten, ausgebildet vor allen durch die USA, durch die EU oder auf
Grundlage bilateraler Verträge, haben nur ein kurzes Leben. So sie nicht – wie viele – desertieren.
Auf dem Papier stünden derzeit 75 000 mehr oder weniger fähige afghanische Polizisten. 1000 von
ihnen seien bereits getötet, 1700 verwundet worden. Solche verheerenden Verluste sind Experten
aus vergleichbaren Bürgerkriegsgebieten bislang unbekannt.
Anhörungen bieten bestenfalls Anregungen. Die wichtigste lautet: Eine offene politischparlamentarische
Debatte ist unumgänglich.
* Aus: Neues Deutschland, 17. Dezember 2008
Polizeitraining bei Blackwater
Anhörung im Innenausschuß des Bundestages bestätigt: Polizeieinsatz in Afghanistan ist Teil der Kriegführung. Linksfraktion allein mit Forderung nach Parlamentsvorbehalt
Von Frank Brendle **
Bei Auslandseinsätzen der deutschen Polizei hat der Bundestag wohl auch künftig nicht mitzureden. Ein Antrag der Linksfraktion, die einen Parlamentsvorbehalt für die Entsendung von Polizeibeamten will, stieß bei einer Anhörung im Innenausschuß des Bundestages am Montag nur auf wenig Zustimmung. Weitgehende Einigkeit herrschte bei den Sachverständigen, daß beim Aufbau der afghanischen Polizei im Rahmen der sogenannten EU-Mission EUPOL eine klare Abgrenzung zwischen polizeilichen und militärischen Fähigkeiten nicht möglich sei.
In der Entsendung von Polizisten sehen deutsche und EU-Außenpolitiker ein wichtiges Mittel, um ihre Militäreinsätze zu flankieren. Dennoch muß der Bundestag bei Missionen wie in Afghanistan oder im Kosovo lediglich informiert werden, er hat dann ein Rückholrecht. Bei zwischenstaatlichen Vereinbarungen, etwa wenn es um Verbindungsbeamte oder Ausbildungsmaßnahmen geht, gibt es noch nicht einmal eine Informationspflicht. Der frühere BKA-Mitarbeiter und Publizist Dieter Schenk wies darauf hin, daß deutsche Polizisten bei Ausbildungs- und Ausrüstungshilfen seit Jahrzehnten »eng mit Folterregimen« zusammen arbeiten. »Dieser sensible Bereich bedarf einer begleitenden parlamentarischen Kontrolle.« Jörg Radek von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) verspricht sich von einem Parlamentsvorbehalt »mehr Rückhalt für die Kollegen«.
Kurt Graulich, Richter am Bundesverwaltungsgericht, betonte dagegen, das Grundgesetz ordne die Polizei dem Bereich der Exekutive zu, dem Parlament stehe hier keine Mitsprache zu. Der Leiter der Bundespolizeiakademie, Bernd Brämer, erklärte zudem: »Polizeiliche Missionen unterscheiden sich grundsätzlich von militärischen.« Allerdings fällt dieser Unterschied immer geringer aus. Die meisten Sachverständigen waren sich einig, daß in Afghanistan ein »robuster« Polizeieinsatz notwendig sei. Daß deutschen Beamten eine wichtige Rolle dabei zukommt, die Kriegführung der Besatzer zu unterstützen, machte der leitende Polizeiberater an der deutschen Botschaft Kabul deutlich. Detlef Karioth verwies darauf, eine »Schlüsselrolle im Polizeiaufbau« habe das unter US-Kontrolle stehende Combined Security Transition Command (CSTC, übersetzt: Gemeinsames Sicherheitsübergangskommando). Das sei »militärisch ausgerichtet« und treibe »einen erheblichen Teil des Polizeiaufbaus mit amerikanischen Finanzmitteln voran«. Vertreter von EU-Staaten, auch ein deutscher Polizeibeamter, seien in die »strategisch-konzeptionelle Planung« eingebunden. Das CSTC koordiniert aber auch den Einsatz von US-Soldaten. Es zeige sich, so Karioth, »dankbar für jeden Beitrag, der die USA entlastet«. Der Botschaftsmitarbeiter bestätigte, daß deutsche Polizisten ihre Ausbildung auch in Trainingszentren der US-Söldnerfirmen DynCorps und Blackwater durchführen.
Gewerkschafter Radek wandte sich dagegen, daß Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) die Polizei zu angeblich »friedenssichernden« Einsätzen abstellen wolle: »Das steht nicht im Polizeigesetz.« Die deutlichste Kritik formulierte Schenk: »Deutsche Polizei sollte nicht paramilitärische Verbände ausbilden.« Schenk bemängelte das Fehlen einer externen Evaluation: »Wie viele der ausgebildeten Polizisten sind überhaupt verwendungsfähig, wie viele sind korrupt, wie viele laufen zu Taliban oder Warlords über?« -- Diese Fragen seien offen.
Bekannt ist dagegen, daß in diesem Jahr bereits 1000 einheimische Polizisten erschossen wurden. Das schreckt deutsche Beamte offenbar ab: Von den angepeilten 120 Polizisten sind derzeit nur 36 vor Ort. Inwiefern der Einsatz überhaupt dazu beitrage, die Menschenrechte durchzusetzen, blieb völlig offen. Daß sich in Afghanistan demokratische Standards durchsetzten, ist für den früheren UN-Missionsleiter in Afghanistan, Tom Koenigs jedenfalls eine Aufgabe für »die nächsten Generationen«.
** Aus: junge Welt, 17. Dezember 2008
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