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Mit GSG-9-Erfahrung nach Afghanistan

EU-Polizeimission unter deutscher Führung / Hilfsdienste für Besatzungstruppen?

Von Uwe Sattler *

Am Sonntag beginnt die EU-Polizeimission in Afghanistan. Das Anliegen von EUPOL, am Aufbau souveräner nationaler Sicherheitskräfte mitzuwirken, wird aber hinter den Kulissen umgeschrieben.

Friedrich Eichele wurde mit Vorschusslorbeeren bedacht. Er sei der deutschen EU-Ratspräsidentschaft äußerst dankbar, solch einen kompetenten und qualifiziertem Polizeioffizier als Leiter der EUPOL-Mission in Afghanistan abgestellt zu haben, betonte der EU-Außenbeauftragte Javier Solana Mitte Mai in Brüssel. Seine Sporen hatte sich Eichele als Vizedirektor des Bundespolizeipräsidiums Mitte und zuvor der Antiterroreinheit GSG-9 im vergleichsweise beschaulichen Deutschland verdient.

Anlass für die Lobrede Solanas war der endgültige Beschluss der EU-Außenminister über die europäische Polizeimission am Hindukusch. Laut offizieller Planung soll die Truppe im gesamten Land operieren können. Als Ziele der Mission hatten die Minister bereits im Februar die Weiterführung der Reformen bei Polizei und Innenministerium, die Ausbildung und Beratung von nationalen Polizeikräften sowie die enge Zusammenarbeit mit den EU-Projekten im Justizbereich bestimmt. »Betreuen, beobachten, beraten, ausbilden«, fasste Eichele die Aufgaben vor der Presse zusammen.

Voraussichtlich im Herbst wird EUPOL Afghanistan voll einsatzfähig sein und etwa 160 Mann umfassen – nach jetzigem Stand aus 17 EU-Mitgliedstaaten und aus sechs so genannten Drittstaaten. Die 50 bereits in Afghanistan tätigen deutschen Polizeiexperten sollen in der EU-Mission aufgehen. Auf Anforderung der UNO und der afghanischen Übergangsregierung koordiniert Deutschland seit Anfang 2002 als »Schlüsselpartnernation« die Reform der afghanischen Polizei. Auch in der EU-Polizeimission wird Deutschland das größte Kontingent stellen. Erst am Mittwoch vergangener Woche hatte das Bundeskabinett der Entsendung weiterer deutscher Polizisten zugestimmt.

Tatsächlich sind Aufbau und Ausbildung nationaler Polizeikräfte in Afghanistan durchaus sinnvoll. Nicht wenige Experten, die der Besatzung des Landes kritisch gegenüber stehen, sehen darin einen wichtigen Schritt zur Wiedererlangung der Souveränität des Staates. Selbst Francesc Vendrell, als EU-Sonderbeauftragter für Afghanistan lange Zeit eher als Anhänger einer militärischen Befriedung bekannt, geht inzwischen deutlich auf Distanz zum Ausbau der ausländischen Truppenpräsenz und spricht sich für eine deutlich vergrößerte EUPOL-Mission aus. Er habe sich das Zehnfache an Personalstärke vorgestellt, erklärte er in Brüssel und verwies dabei auf Kosovo. In die serbische Provinz will die EU rund 1500 Polizisten und Beamte schicken, um nach der erwarteten Entlassung der Region in die Unabhängigkeit zur Stabilisierung beizutragen.

Vermutlich fiel Brüssel die Entscheidung für die Kosovo-Operation aber auch deutlich leichter: Nach der Massenvertreibung von Serben aus Kosovo ist dort kaum noch mit großen Unruhen zu rechnen. Das Missverhältnis beruht nicht zuletzt darauf, dass Afghanistan auch für Europa kaum strategischen oder wirtschaftlichen Wert besitzt. Es geht weniger um Wiederaufbau oder Demokratisierung als um um das Niederhalten der Taliban und das Ausmerzen vermuteter oder tatsächlicher »Brutstätten« des Terrorismus. Und nach vorherrschender Meinung in Washington wie in Brüssel eignen sich Militäraktionen dazu besser. Während das Budget von EUPOL Afghanistan im ersten Jahr vergleichsweise bescheidene 43 Millionen Euro beträgt, haben die EU und ihre Mitgliedstaaten seit 2002 etwa 3,7 Milliarden Euro für die »Stabilisierung der Sicherheitslage« und für den Wiederaufbau ausgegeben.

Da verwundert es nicht, dass hinter den Kulissen für EUPOL noch andere Aufgaben als der Aufbau nichtmilitärischer Sicherheitskräfte diskutiert werden. Der EU-Außenbeauftragte Javier Solana machte am Rande der Ratstagung im Mai deutlich, dass nicht nur eine enge Verbindung mit der UNO-sanktionierten ISAF-Mission in Afghanistan vorgesehen sei. Ausdrücklich lobte er auch den Ausbau der Beziehungen zu den eingesetzten NATO-Truppen und der USA-geführten Enduring-Freedom-Operation. Der gerade immer wieder von Hilfsorganisationen geforderten deutlichen Trennung von nichtmilitärischen und militärischen Einsätzen wird damit sicher ein schlechter Dienst erwiesen.

* Aus: Neues Deutschland, 15. Juni 2007


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