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Tote bei Attentaten

Terror in Afghanistan und Pakistan *

Ein neuer Anschlag erschüttert Afghanistan. Im Einsatzgebiet der Bundeswehr starben viele Menschen. Auch im Nachbarland Pakistan gab es Weihnachten viele Tote.

Ein Selbstmordattentäter hat bei einem Anschlag im nordafghanischen Einsatzgebiet der Bundeswehr mindestens 20 Menschen mit in den Tod gerissen. Etwa 50 weitere wurden verletzt, als sich der Täter während einer Trauerfeier in der Stadt Talokan sprengte, wie die Polizei am Sonntag (25. Dez.) mitteilte. Unter den Todesopfern seien auch der Parlamentsabgeordnete Abdul Mutalib Beg sowie mehrere Angehörige des Provinzrates.

Talokan ist Hauptstadt der Provinz Tachar, die an die Unruheprovinzen Kundus und Baghlan grenzt. Zunächst bekannte sich niemand zu der Tat. Zu der Trauerfeier am Stadtrand von Talokan hätten sich mehr als hundert Menschen versammelt, berichtete ein Augenzeuge. Der Täter habe seinen Sprengsatz in der Menge gezündet, als sich die Trauergäste gerade auf den Heimweg machen wollten. »Nun begraben die Menschen ihre getöteten Angehörigen auf dem selben Friedhof.«

Der Abgeordnete Beg gehörte dem Unterhaus in der Hauptstadt Kabul an und amtierte auch als stellvertretender Minister in der Karsai-Regierung. In den 80er Jahren kommandierte er Aufständische im Kampf gegen die sowjetische Armee.

Bereits am Heiligabend wurden bei einem Selbstmordanschlag im Nachbarland Pakistan mindestens acht Angehörige der paramilitärischen Grenztruppen getötet. Zudem gab es zahlreiche Verletzte.

* Aus: neues deutschland, 27. Dezember 2011


Keine Entschuldigung

Washington rechtfertigt Luftangriffe in Pakistan. Putschgerüchte in Islamabad

Von Knut Mellenthin **


Seit nunmehr einem Monat läßt Pakistan den Nachschub für den NATO-Krieg in Afghanistan nicht passieren. Diese Blockade ist die längste seit Kriegsbeginn im Oktober 2001. Sie wurde von der Regierung in Islamabad verhängt, nachdem US-amerikanische Kampfflugzeuge und Hubschrauber in der Nacht vom 25. auf den 26. November zwei pakistanische Grenzposten angegriffen und 24 Soldaten getötet hatten. Pakistan wartet seither auf eine Entschuldigung der US-Regierung.

Davon ist Washington jedoch offenbar immer noch weit entfernt. Das Pentagon verbreitete am vergangenen Donnerstag eine kurze Erklärung, in der die mörderische Attacke als »Selbstverteidigung« gerechtfertigt wurde, die mit »angemessenem Mitteleinsatz« durchgeführt worden sei, nachdem die pakistanische Seite das Feuer eröffnet habe. »Unzureichende Koordination« zwischen US-amerikanischen und pakistanischen Militärs habe zu »Mißverständnissen« geführt. Dazu hätten außerdem »falsche Karteninformationen« beigetragen, die von den Pakistanis geliefert worden seien.

Islamabads Militärsprecher, Generalmajor Athar Abbas, wies die Darstellung des Pentagon zurück. Pakistanische Truppen hätten erst zurückgeschossen, nachdem sie von Hubschraubern angegriffen worden seien. Er bestritt auch, daß die NATO nicht über die exakten Positionen der pakistanischen Grenzposten informiert gewesen sei. Die NATO und ihre afghanischen Verbündeten hätten die vereinbarten Standardregeln verletzt, indem sie die Pakistanis nicht über ihre geplanten Operationen in unmittelbarer Nähe zur Grenze informiert hätten.

Gleichzeitig bekräftigte Abbas die Forderung, daß die NATO künftig für die Nachschubtransporte Gebühren entrichten müsse, falls diese wieder aufgenommen würden. »Sie können nicht unsere Häfen benutzen, unsere Straßen zerstören und davonkommen, ohne dafür zu bezahlen.«

Neben dem Streit zwischen Islamabad und Washington haben sich in Pakistan auch die Widersprüche zwischen der Regierung und der Militärführung zugespitzt. Ministerpräsident Yusuf Raza Gilani warf am Donnerstag nicht näher bezeichneten Kräften vor, »Verschwörungen auszuhecken«, »um die politische Führung zu stürzen«. Niemandem dürfe erlaubt werden, sich über das Gesetz zu stellen und »einen Staat im Staate zu bilden«.

Vor diesem Hintergrund fand eine Massenkundgebung der Pakistanischen Bewegung für Gerechtigkeit Tehreek-e-Insaf (PTI) große Beachtung, die am Sonntag in der Hafenstadt Karatschi stattfand. Zwischen 100000 und 150000 Menschen waren gekommen, um die Ansprache von Parteichef Imran Khan, einem populären ehemaligen Kricketspieler, zu hören. Politische Veranstaltungen mit wesentlich mehr als einigen tausend Teilnehmern sind in Pakistan äußerst selten. Khan hatte seine Partei schon vor rund 15 Jahren gegründet, ohne damit Erfolg zu haben. Erst seit einigen Monaten erhält er wachsenden Zulauf. Einige bekannte Politiker der beiden großen Parteien des Landes, darunter der frühere Außenminister Shah Mahmood Qureshi, sind in letzter Zeit zur PTI übergetreten. Kernpunkte ihrer Propaganda sind der Kampf gegen die Korruption, die wirtschaftliche Nöte der Bevölkerung, der Ausstieg aus dem US-geführten »Krieg gegen den Terror« und die Beendigung des Bürgerkriegs in Pakistan mit nichtmilitärischen Mitteln.

** Aus: junge Welt, 27. Dezember 2011


Keine Befriedung

Von Olaf Standke ***

Das Jahr 2011 endet am Hindukusch wie es begann - mit tödlichen Anschlägen. Bei einem Selbstmordattentat im Nordosten Afghanistans starben am Wochenende mindestens 19 Menschen. Die Provinz gehört zu jenen Regionen, in denen die Sicherheitsverantwortung an einheimische Kräfte übertragen werden soll. Der Abzug internationaler Truppen ist zwar beschlossen, doch eine Befriedung des Landes zeichnet sich auch nach zehn Jahren Krieg und Besetzung nicht ab. Auch wenn ISAF wie Bundesregierung in diesen Tagen gern eine Verbesserung der Sicherheitslage herbeirechnen. Die UNO dagegen registrierte eine Zunahme aller »sicherheitsrelevanten« Vorfälle in den ersten elf Monaten des Jahres um 21 Prozent. Die Zahl der getöteten Zivilisten erreichte im ersten Halbjahr sogar einen neuen Höchststand: 1462 Männer, Frauen und Kinder kamen ums Leben, 15 Prozent mehr als im Vorjahr. Der Großteil von ihnen starb durch Sprengsätze der Taliban. Doch sorgten zivile Opfer bei Angriffen von US- und NATO-Soldaten für besondere Empörung unter der Bevölkerung, die nicht nur um ihre Sicherheit bangen muss, sondern nach wie vor ohne ausreichende wirtschaftlich-soziale Perspektive ist. Zehn Jahre nach dem Sturz des Taliban-Regimes sind einst verkündete hehre Ziele wie Demokratie und Menschenrechte Schimären geblieben. Gewalt prägt den Alltag am Hindukusch.

*** Aus: neues deutschland, 27. Dezember 2011 (Kommentar)


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