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Die Paten der Rächer

Pakistan/Afghanistan: Die Taleban sind Geschöpfe der Benazir Bhutto und des Geheimdienstes ISI - von anderen Schirmherrn einmal abgesehen

Von Lutz Herden *

Als ab 1993 bewaffnete Formationen im Süden Afghanistans auftauchten und verblüffende militärische Erfolge errangen, hatte es zunächst den Anschein, sie seien aus dem Nichts entstanden oder aus lokalen Milizen hervorgegangen. Bald jedoch zeigte sich, die Einheiten rekrutierten ihre Kader aus Camps in der pakistanischen North West Frontier Province (NWFP), es handelte sich um junge Paschtunen, deren Volk auf beiden Seiten der Grenze lebte. Nur diese hier hatten eine besondere Geschichte, sie kamen größtenteils aus afghanischen Familien, die ihre Heimat in den Jahren des Krieges zwischen dem sowjetischen Besatzungskorps und einer islamischen Guerilla verloren und immer wieder vergeblich auf Rückkehr gehofft hatten. Nach dem Abzug der Sowjets im Februar 1989 hatte die Kriegsfurie erst recht begonnen, das Land am Hindukusch abzugrasen. In Kabul waren 1993 ganze Viertel zu Warlord-Distrikten degeneriert - die Sieger über das säkulare Regime des Präsidenten Nadschibullah waren korrupt, verschlagen und machtgierig - ob es sich nun um den zeitweiligen Staatschef Rabbani, den Usbeken-General Rashid Dostam oder den islamistischen Hardliner Gulbuddin Hekmatyar handelte.

Davon angewidert und enttäuscht, verfing sich eine ganze Generation junger afghanischer Paschtunen im Netz der traditionellen Lehrstätten des Islam in den paschtunischen Stammesgebieten Nordwestpakistans. Die Zahl dieser Koranschulen - sie waren im frühen Mittelalter als Madrasas entstanden - hatte sich unter dem Patronat des Diktators Zia ul-Haq, der nie ein Hehl aus seinen fundamentalistischen Vorlieben machte, mehr als verzehnfacht. Gab es 1971 etwa 800 davon in ganz Pakistan, waren es 1988 über 9.000. Wer sich mit religiöser Inbrunst der Lehre des Islam ergeben hatte, besuchte die Madrasa für eine achtjährige Grundausbildung und konnte danach die "islamische Wissenschaft" noch vier weitere Jahre studieren. Es sei denn, der Taleban - wörtlich übersetzt: der Religionsstudent - bestand darauf, vorzeitig als Prediger entlassen zu werden.

Vollstrecker eines Gottesurteils

Es fügte sich, dass Anfang der neunziger Jahre der damalige Führer der Muslim-Partei Jamaat-e Ulemaye Islam (JUI), Fazlu Rehman, zum Koalitionspartner in der zweiten Regierung der Premierministerin Benazir Bhutto (1993 - 1996) aufstieg. Gebraucht wurde nicht zuvörderst der Mehrheitsbeschaffer - erwünscht war die JUI als Rivale der Jamaat-e Islami, der Islamischen Gemeinschaft, die Benazir Bhutto schon wegen deren enger Kontakte zum pakistanischen Geheimdienst ISI in Schach halten wollte. Die JUI verschaffte sich dank Bhuttos Protektion mit dem Regierungsmandat Zugang zur Spitze von Armee und Beamten-Elite. Für die Madrasas zweifellos ein Erfolg, denn niemand sonst als Fazlu Rehman entschied zu jener Zeit mehr über die Mission dieser islamischen Kaderschmiede und das Selbstverständnis der Missionierten.

Als die Taleban im September 1996 Kabul eroberten und damit die Macht in Afghanistan an sich rissen, war die Mehrheit der Sieger nicht älter als 35 und hatte in den Madrasas über Jahre hinweg gehört, zum Gotteskrieger und Vollstrecker eines Gottesurteils berufen zu sein. Eine Generation, die Vergeltung suchte für eine Jugend im Flüchtlingslager und eine Karawane der Rache formierte, die nicht zufällig aus einem Land aufbrach, das seit 1979 als Brückenkopf des von den USA koordinierten und alimentierten Widerstandes gegen die sowjetische Präsenz in Afghanistan gedient hatte. Pakistans Geheimdienst ISI fungierte als Drehkreuz für Waffen und Geld, immer darauf bedacht, die islamistischen Hardliner im Nachbarland einer besonderen Fürsorge zu unterstellen. Anfangs galt sie der Hezb-i-Islami des Gulbuddin Hekmatyar, doch als der Anfang der neunziger Jahre im Sumpf eines endlosen Warlord-Krieges um Kabul, Macht und Pfründe zu versinken drohte, gerieten die Taleban ins Blickfeld.

Bevor allerdings der ISI seine Prioritäten korrigierte, waren schon zwei andere Lobbyisten unterwegs, sich der jungen Djihadisten anzunehmen: Es handelte sich um Premierministerin Bhutto und ihren Innenminister Hameed Babar - einen pensionierten General, der in seinem Ministerium die "Zelle für Handel mit und Entwicklung für Afghanistan" unterhielt und als Parallelstruktur zum Afghanistan-Engagement des ISI aufgebaut hatte. Barbar versah die sich formierende Taleban-Armee mit einem logistischen Rückgrat, das seinesgleichen suchte. Es entstand ein separates Kommunikationsnetz für die afghanischen Südprovinzen, ein als Radio Scharia firmierender Sender strahlte sein Programm nach Afghanistan aus, das im November 1994 von den Taleban eroberte Kandahar verdankte eine funktionierende Wasser- und Energieversorgung dem Einsatz pakistanischer Ingenieure. Als schließlich eine Vorhut der Gotteskrieger im März 1995 mit einem ersten Angriff auf Kabul scheiterte, wurden in Pakistan Hunderte von Madrasas geschlossen und 12.000 Studenten rekrutiert, die zur Front im Nachbarland zogen.

Kein Statthalter Islamabads

Wenn sich also die Taleban nicht auf Käferflügeln zum Olymp der Macht tragen lassen mussten, sondern sehr viel schneller voran kamen - dann war es der Regierung Bhutto zu verdanken, den Amerikanern recht und mit dem Segen des saudischen Herrscherhauses versehen, das vergeblich darauf hoffte, die Taleban würden den Wahhabi-Islam am Hindukusch fest verankern.

Diese Wahl- und Seelenverwandtschaften fanden freilich ein jähes Ende, als nach dem finalen Triumph im September 1996 das Taleban-Oberhaupt Mullah Omar weder den Statthalter Islamabads in Afghanistan geben wollte, noch Anstalten machte, den Amerikanern für den Bau einer Öltrasse aus Zentralasien die nötige Transiterlaubnis zu erteilen. Über Nacht wurden die Gotteskrieger für die Clinton-Regierung von "mutigen Freiheitskämpfern mit ehrbaren Werten" zu "finstren Vollstreckern des Bösen", die ein Land per Scharia und Frauenmarter ins Mittelalter stießen. Pakistan mied den jähen Sinneswandel allein schon deshalb, weil viele Pakistani - enttäuscht von der parlamentarischen Demokratie - die Taleban als Inspiration empfanden. Während das Regime in Kabul einem allgemeinen Boykott anheim fiel, saß in Islamabad eine von drei Regierungen weltweit, die auf geregelte diplomatische Kontakte inklusive Botschafteraustausch Wert legten - auch noch nach dem 11. September 2001. General Musharraf, seit Oktober 1999 der starke Mann in Pakistan, soll Mullah Omar nie getroffen haben, aber wer weiß das schon.

* Aus: Freitag 46, 16. November 2007


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