Afghanische Falle
Karsai hat Angst vor Truppenabzug
Von Werner Pirker *
Die USA haben genug vom Krieg in Afghanistan. Weil er schon zu lange dauert, zu kostspielig ist und ausländischen Mächten im Land am Hindukusch auf Dauer kein Glück beschieden ist. Über die Sowjets hatten sich die Westler lustig gemacht, als sie in die afghanische Falle tappten, nun sitzen sie selbst darin.
Der von außen erzwungene Regimewechsel mag in Teilen der afghanischen Bevölkerung Hoffnungen auf ein von islamistischem Tugendterror befreites Leben ausgelöst haben. Doch die amerikanischen »Befreier« brachten mit Hamid Karsai nicht nur ihren afghanischen Statthalter mit ins Land, sie ließen auch die Macht der Warlords ungebrochen und zeigten sich selbst von ihrer schlechtesten Seite. Das rücksichtsloses Vorgehen der US-Besatzer gegen Zivilisten – einzig der deutsche Oberst Klein versuchte sie an krimineller Energie noch zu überbieten – ließ die Hoffnung auf ein weniger elendes Leben schnell schwinden. US-Barbaren ließen es wenig vorteilhaft erscheinen, Anschluß an die westliche Zivilisation zu finden. Besatzerterror und ein völlig korruptes politisches System führten den zur Revanche angetretenen Taliban immer neue Kräfte zu.
Das Experiment »Nation building« am Hindukusch, die Zurichtung von Staaten, die für gescheitert erklärt wurden, zu Protektoraten der westlichen Hegemonialmächte, dürfte kein Erfolg beschieden sein..Nun sind es die Westmächte, die aus der afghanischen Falle wieder herauszukommen versuchen. Die Amerikaner etwas schneller als es ihren Marionetten lieb ist. Karsai, der die traditionell schwache Zentralmacht repräsentiert, fühlt sich nicht in der Lage, der Kräfte des nationalen Widerstandes Herr zu werden, weshalb er die Besatzer nicht so ohne weiteres ziehen lassen will.
Washington aber will den Truppenabzug bis Ende 2014 abgeschlossen haben. Danach soll nur noch ein kleines Truppenkontingent im Land bleiben, um, wie es heißt, einen Bürgerkrieg oder die Machtergreifung durch die Taliban zu verhindern. Die amerikanische Schützenhilfe soll indes nicht umsonst sein. In schlimmster Kriegsherrenmanier verlangt Friedensnobelpreisträger Obama Gegenleistungen seiner Vasallen. Die US-Soldaten sollen auch weiterhin vor Strafverfolgung durch afghanische Gerichte geschützt werden. Washington will es auch nicht zulassen, daß sich Karsai 2014 wieder zur Wahl stellt. Das stellt für den afghanischen Präsidenten, in dem viele ohnedies nur den Dorfschulzen von Kabul sehen, eine grobe Einmischung in die Angelegenheiten seines Landes dar. Aber was erwartet er denn? Daß die Besatzer ihm den Arsch retten, ohne sich in afghanische Angelegenheiten einzumischen?
Das Verhältnis zwischen dem Präsidenten und der überseeischen Besatzungsmacht ist auch deshalb so angespannt, weil besonders brutale Übergriffe der US-Boys von Karsai nicht immer unkommentiert hingenommen wurden, um sich nicht völlig als Diener fremder Herren bloßzustellen.Inzwischen steht er wohl auf verlorenem Posten.
* Aus: junge Welt, Samstag, 12. Januar 2013
USA lassen Taliban frohlocken
Afghanistan: Spekulation um Komplettabzug
Die Taliban haben Überlegungen der
US-Regierung zu einem vollständigen
Abzug aus Afghanistan bis
Ende 2014 begrüßt. Der stellvertretende
US-Sicherheitsberater
Ben Rhodes hatte diese Woche gesagt,
Präsident Barack Obama
schließe auch einen vollständigen
Abzug nicht aus. Dies wurde von
Beobachtern als Drohung gewertet,
um Afghanistans Staatschef
Hamid Karsai von seinen umfangreichen
Forderungen zur
künftigen Partnerschaft mit den
USA abzubringen. Obama wollte
Karsai am Freitag (Ortszeit) zu einem
Gespräch im Weißen Haus
empfangen. Ein Streitpunkt ist der
künftige Schutz für US-Soldaten
vor Strafverfolgung in Afghanistan.
Vor dem Treffen Karsai-Obama
sagte US-Verteidigungsminister
Leon Panetta bei einem Gespräch
mit dem Politiker aus Kabul,
die USA würden Afghanistan
auch nach dem Abzug der ausländischen
Kampftruppen Ende 2014
zur Seite stehen. »Wir haben gemeinsam
Opfer erbracht – das hat
eine Verbindung geschaffen, die in
der Zukunft nicht gebrochen
wird«, sagte Panetta. Karsai zeigte
sich zuversichtlich, dass ein Abkommen
geschlossen werde, das
den Sicherheitsinteressen beider
Länder diene. Nach dem Gespräch
mit Panetta kam Karsai mit USAußenministerin
Hillary Clinton
zusammen. Karsai dürfte sich in
Washington dafür einsetzen, dass
eine beträchtliche Zahl von USSoldaten
nach 2014 in Afghanistan
verbleibt. Weitere Themen
sind die Friedensgespräche mit
den Taliban und die Finanzhilfen
für Kabul.
(neues deutschland, Samstag, 12. Januar 2013
Kabul-Poker
Von Olaf Standke **
Seit Afghanistans Präsident Anfang der Woche in Washington eingetroffen ist, wurde dort kräftig politisch gepokert. Es geht um die Zeit nach dem Abzug der NATO-Kampftruppen und den künftigen Einsatz verbleibender Einheiten. Phasenweise konnte man den Eindruck gewinnen, die USA würden die im Nordatlantik-Pakt vereinbarten Planungen zur Makulatur erklären. Vom möglichen Abzug aller US-amerikanischen Verbände war da auf einmal die Rede.
Hamid Karsai, der einst von Präsident George W. Bush installiert wurde und zuletzt die ausländische »Schutztruppe« und allen voran die USA immer vehementer kritisierte, dürfte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden haben. Denn seine Regierung hätte nach Experteneinschätzung ohne weitere westliche Militärhilfe kaum eine Überlebenschance gegen die nach wie vor nicht besiegten Taliban. Auch das gehört zu den fatalen Folgen eines für die Bevölkerung am Hindukusch verheerenden elfjährigen Krieges. Pentagon-Chef Leon Panetta und Außenministerin Hillary Clinton jedenfalls haben dem Gast aus Kabul vor seinem abschließenden gestrigen Gespräch mit Präsident Obama langfristige Unterstützung zugesichert.
Wie sie letztlich aussieht, hängt allerdings davon ab, ob man sich im Hauptstreitpunkt einigt, der Immunitätsfrage. Denn USA und NATO wollen, dass ihre Soldaten auch nach 2014 vor der Strafverfolgung durch afghanische Behörden geschützt bleiben.
** Aus: neues deutschland, Samstag, 12. Januar 2013 (Kommentar)
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