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Drehkreuz Wostotschny steht still

NATO vermeidet Abzug aus Afghanistan über russische Luftwaffenbasis

Irina Wolkowa, Moskau *

Die russische Luftwaffenbasis Wostotschny bei Uljanowsk an der Wolga sollte zum Drehkreuz beim Abzug der NATO-geführten Schutztruppe ISAF aus Afghanistan werden. Doch es steht still. Das ist mehr als nur eine Frage des Preises.

Schon Anfang August sollten dort die ersten Transporter der Allianz zwischenlanden und auftanken. Beide Seiten hatten neben der Rückführung von Kriegstechnik auch die von Soldaten vereinbart, die russische KP daraufhin Massenproteste organisiert: Russlands Sicherheit sei akut bedroht.

Auf das Projekt Uljanowsk hatten sich beide Seiten vor knapp zwei Jahren geeinigt. Nach einem Konflikt mit den USA hatte Pakistan, Afghanistans Nachbar im Süden, seine Grenzen 2011 für die NATO-Konvois gesperrt. Auch die zentralasiatischen Republiken Usbekistan und Kirgisstan, über die der Löwenanteil des Gütertransits aus Afghanistan lief, legten sich quer.

Die Masse der Technik – insgesamt mehr als 100 000 Container und 60 000 Fahrzeuge – sollte daher vom Hindukusch über Uljanowsk in die Heimat zurückgeführt werden. Doch die zehn britischen Container, die im letzten Dezember auf dem russischen Luftstützpunkt probeweise umgeschlagen wurden, waren bisher die einzigen und werden es wohl auch bleiben.

Offiziell wird der Verzicht mit schnödem Mammon begründet. Russland, so zitierte die Moskauer Tageszeitung Kommersant [siehe den Artikel unten] eine Quelle im NATO-Hauptquartier in Brüssel, habe aus Sicherheitsgründen von Anfang an darauf bestanden, dass die Route von russischen Spediteuren bedient wird. Diese indes hätten die Preise dermaßen hochgeschraubt, dass kein Land der Anti-Terror-Koalition mehr Interesse daran habe.

Immerhin würde der Transport eines einzigen Containers via Uljanowsk 50 000 Euro kosten. Usbekistan und Kirgisstan jonglierten anfangs mit ähnlich unverschämten Forderungen, sind inzwischen aber auf 30 000 Euro pro Kiste heruntergegangen. Weniger ist besser als nichts.

Ein Sprecher der russischen Regierung erklärte indes, der Gütertransit über Uljanowsk hätte zwar das Zeug zu einem guten Beispiel für Zusammenarbeit zwischen Moskau und dem westlichen Militärbündnis gehabt, sei jedoch »von Anfang an ein kommerzielles Projekt« gewesen. Die Route sei nun mal teurer als andere, dafür aber »schneller und sicherer«. Seiner Meinung nach habe aber die NATO Angst, sich beim Rückzug vom Hindukusch zu sehr an Moskau zu binden.

* Aus: neues deutschland, Montag, 19. August 2013


Afghanistan-Abzug: Nato pfeift auf Drehkreuz in Russland **

Die Nato hat den Umschlagspunkt im Gebiet Uljanowsk bei ihrem Afghanistan-Abzug bislang nicht genutzt, schreibt die Zeitung „Kommersant“ am Donnerstag (15. August).

Der Gütertransit über Uljanowsk galt anfänglich als gutes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Russland und dem westlichen Militärbündnis. In Moskau rechnete man damit, dass die Isaf-Truppen einen großen Teil der mehr als 100 000 Container und 60 000 Fahrzeuge vom Hindukusch über den Umschlagspunkt in Uljanowsk abziehen.

Im Nato-Hauptquartier wird der russischen Seite vorgeworfen, die Preise unbegründet angehoben zu haben, weshalb die Transitroute über Uljanowsk noch nicht genutzt wurde. „Als der Weg via Uljanowsk eröffnet wurde, bestanden die russischen Behörden darauf, dass er nur von russischen Transportfirmen bedient wird. Diese haben aber die Preise dermaßen hochgeschraubt, dass kein einziges Land der Koalitionstruppen diese Route attraktiv findet“, heißt es aus Brüssel.

Pakistan hatte 2011 nach einem Konflikt mit den USA sein Territorium für die Nato-Konvois gesperrt, während Usbekistan und Kirgisien den Gütertransit aus Afghanistan ablehnten.

Bis dahin hatte die Nato mehr als 60 Prozent der zivilen Güter via Russland nach Afghanistan gebracht.

Anfang 2012 zeigte sich Moskau sogar bereit, sein Territorium für den Truppenabzug aus Afghanistan zur Verfügung zu stellen und bot den Flugplatz Wostotschny bei Uljanowsk an. Anfang August sollte die Transitroute eröffnet werden.

Laut einer Quelle in der Nato war das Interesse dafür anfangs ziemlich groß. Im Dezember 2012 wurden zehn britische Container testweise über den Flugplatz Wostotschny ausgeführt. Doch dabei blieb es. Ein Sprecher der britischen Regierung erklärte, dass andere Routen, vor allem via Pakistan und andere zentralasiatische Länder, günstiger seien.

Wie es heißt, kostet der Transport eines Containers via Uljanowsk 50 000 Euro und via Usbekistan nur 30 000 Euro.

In Moskau sieht man diese Situation allerdings anders. Ein Regierungssprecher erläuterte, dass der Gütertransit durch Uljanowsk von Anfang an ein kommerzielles Projekt gewesen sei. Er räumte ein, dass diese Transitroute teurer als andere sei, ergänzte aber, dass sie „schneller und sicherer“ sei.

Zudem sagte der Sprecher, dass die Nato auf das Lager bei Uljanowsk „aus Konjunkturgründen“ verzichtet habe. Die Allianz habe Angst, beim Gütertransit aus Afghanistan abhängig von Moskau zu werden.

Die Unternehmen, die für den Gütertransit aus Afghanistan verantwortlich sind, sehen auch andere Gründe für das Scheitern der Kooperation. Ein Nato-Vertreter wollte eine ausländische Firma damit beauftragen, was aber die „nationale Sicherheit Russlands gefährdet“. Aus anderer Quelle verlautete, dass die Nato gleichzeitig mit zentralasiatischen Ländern verhandelt habe. Diese haben eingesehen, dass sie eine wichtige Einnahmenquelle verlieren könnten und die Preise für den Transit gesenkt.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. August 2013; http://de.ria.ru


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