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Krieg und Terror: Afghanistan - Grab der Imperien

Von Jan Myrdal

Der schwedische Schriftsteller Jan Myrdal gilt nach seinen zahlreichen Reisen durch China, Afghanistan, das ehemals sowjetische Mittelasien und Indien als ausgewiesener Asienkenner. Sein großer Afghanistan-Report »Kreuzweg der Kulturen« erschien 1964 im Verlag Volk und Welt.
Den folgenden Beitrag entnahmen wir der Zeitung "Neues Deutschland" am 17. Oktober 2001


Die Gründe, die USA-Präsident George W. Bush für den Angriff auf Afghanistan bekannt gab, waren ähnlich glaubwürdig wie die, die Napoleon Bonaparte am 21. März 1804 geltend machte, als er den Herzog von Enghien hinrichten ließ. Die Indizien, die Osama bin Laden mit dem Terrorangriff auf das World Trade Center und das Pentagon verbinden, haben etwa den gleichen Wert wie die, die den letzten Spross des Hauses Condé an das mit englischem Gold finanzierte Komplott von Cadoul und Pichegru banden.

Im Falle Napoleons war das der erste Schritt zu seiner unausweichlichen totalen Niederlage und seinem Weg nach St. Helena. Ich bin überzeugt, dass künftige Chronisten den US-amerikanischen Angriff auf Afghanistan als den ersten entscheidenden Schritt auf dem Weg der Vereinigten Staaten zum Verlust ihrer Welthegemonie und zum Untergang für deren Imperium werten. Napoleon wurde nach seinem Beschluss über die Hinrichtung des Herzogs von Unruhe ergriffen, aber Enghien war schon tot, als die Order Napoleons über einen Aufschub eintraf. Präsident Bush indes scheint kaum von irgendwelchen bösen Ahnungen ergriffen zu sein, nachdem die ersten Marschflugkörper in Afghanistan eingeschlagen waren. Außerdem ist er historisch offenbar wenig gebildet. Und darin liegt einer der Gründe für das Unberechenbare und zugleich Kurzsichtige in der Politik der Vereinigten Staaten. Nicht nur Mao Zedong, sondern auch Jawaharlal Nehru und andere asiatische Spitzenpolitiker mit historischem Denkvermögen haben darauf hingewiesen, dass ein qualitativer Unterschied zwischen der politischen Perspektive eines Staates, einer Nation, einer Kultur mit einigen hundert Jahren politischer Geschichte und solchen mit vieltausendjähriger Vergangenheit besteht.

Nun braucht man nicht bis zu Alexander dem Großen zurückzugehen - auch wenn das von Nutzen sein kann - um zu erkennen, dass Afghanistan das Grab vieler Imperien ist. Es war jedenfalls in Afghanistan, wo das britische Imperium ab 1839 seine ersten großen Niederlagen erlitt. Im zweiten britischen Afghanistan-Krieg wurden dessen Truppen völlig vernichtet - nur ein einziger Mann der gewaltigen Kriegsmaschine überlebte und konnte die Nachricht von der Niederlage übermitteln.

Der dritte verlorene britische Afghanistan-Krieg von 1919 löste die militante Phase der indischen Befreiungsbewegung gegen die britische Herrschaft aus. Das führte schließlich dazu, dass die Briten Indien 1947 verlassen mussten und dass ihr ganzes Weltreich wie ein Kartenhaus zusammenfiel. Das große Britannien wurde ein Staat zweiten Ranges mit einem speziellen Verhältnis (der Unterordnung) zu Washington.

Während meiner Mittelasienreise 1965 sagten mir Russen, die Afghanen würden sich danach sehnen, von der Sowjetunion vom Feudalismus befreit zu werden. Sie glaubten, ich mache Spaß als ich ihnen sagte, das würde unausweichlich zu einer militärischen Niederlage der Sowjetunion und deren Auflösung führen. Außerdem würden dann alle meine Freunde unter den afghanischen Linken fliehen müssen oder getötet werden. Diese Äußerung betrachteten meine russischen Gesprächspartner als einen weiteren Beweis dafür, dass ich eigentlich ein CIA-Agent sei. Aber ich hatte letztendlich Recht - was die Russen schließlich selbst erleben mussten. Afghanistan wurde auch das Grab dieses Imperiums.

Ja, alle historischen Erfahrungen besagen, dass die Macht, die nach Moskau marschiert, die China zu erobern sucht oder in Afghanistan interveniert, ihrem Untergang entgegen geht. Es hilft im Falle Afghanistans auch nicht, wenn irgendeine ausländische Großmacht glaubt, durch ihre Intrigen eine freundschaftlich gesinnte Regierung zu installieren. Die Vereinigten Staaten unterstützten Osama bin Laden und die Taleban in ihrem Krieg und dafür wurde ihnen eine Ölleitung quer durch Afghanistan versprochen. Aber sobald die Taleban in Kabul an der Macht waren, wurde diese Übereinkunft gebrochen. Und wenn die USA mit großer militärischer und ökonomischer Unterstützung zu einem Sieg der Nordallianz beitragen würden, würden sie bald sehen, dass sie weder die versprochene Erdölleitung noch eine freundschaftlich gesinnte Regierung erhielten.

Was Präsident Bush mit seinem Angriff am 7. Oktober getan hat, kann nicht rückgängig gemacht werden. Und tausende Männer, Frauen und Kinder - ebenso unschuldig wie alle anderen Kriegsopfer in der Geschichte - werden nun leiden und an Hunger, Krankheiten und Verletzungen sterben. Auch in den USA werden Mütter ihre Söhne in schwarzen Plastesäcken zurück bekommen. Nun haben die USA ihre Hände in das Hornissennest gesteckt. Damit ist der Untergang dieses Imperiums ebenso unausweichlich wie zuvor der des britischen und sowjetischen. Das weiß man in Asien.

Aus: Neues Deutschland, 17. Oktober 2001

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