Afghanistan - Bilanz eines Krieges
Eine Monitor-Sendung von Jo Angerer und Mathias Werth
Afghanistan, der Krieg gegen Osama Bin Laden und sein Terrornetzwerk: Die Bilanz des
US-Pentagon nach sechs Monaten: Insgesamt 17.400 Bomben warfen die Amerikaner ab,
insgesamt 21.500 Einsätze flogen US-Maschinen. Die Überreste von 750 Splitterbomben gefährden
die Bevölkerung. Hunderte Zivilisten wurden durch die Bombenangriffe getötet, Tausende Verletzte -
doch das eigentliche Kriegsziel, die Zerstörung von Bin Ladens Netzwerk wurde bislang nicht
erreicht. Da wundert es nicht, dass die Amerikaner zunehmend die freie Berichterstattung aus dem
Kriegsgebiet einschränken.
Damit sind wir beim Thema der Monitor-Sendung vom 14. März 2002, deren Skript wir im Folgenden dokumentieren.
Sonia Mikich: "Wir sind eine kriegführende Nation. Nur: es sagt uns keiner so richtig. In Afghanistan
sind 92 deutsche KSK-Soldaten an vorderster Front dabei. Beim Bombenentschärfen starben zwei
deutsche Angehörige der internationalen Schutztruppe. Blut fließt, aber keine brauchbare
Information.
Es gibt Gründe fürs Schweigen. Die rotgrüne Regierung will weiß machen: die Kritiker haben sich
vertan. Krieg ist beherrschbar und Beweis politischer Reife.
Ja doch, das Taliban-Regime wurde verjagt. Seitdem aber sollen wir, die Bürger, uns in
Duldungsstarre üben. Bloß nix Genaues!
MONITOR liegt ein internes Fernschreiben vor mit einer Zwischenbilanz des Krieges. Die Zahlen
stammen vom Pentagon, Adressat ist das Auswärtige Amt in Berlin.
Genaue Zahlen der Kampfeinsätze und Bombenabwürfe. Was nicht drin steht: wie viele Zivilisten
starben. Dazu: Jo Angerer und Mathias Werth und Peter Jouvenal, der für MONITOR im Kriegsgebiet
ist."
Sie nennen es "Operation Anaconda", die bislang erbitterste Schlacht im Afghanistan-Krieg.
Tagelang Kämpfe und Luftangriffe auf Stellungen von Taliban und Al-Quaida. Deutsche Soldaten an
der Seite von Special Forces der USA.
Die Straße, die von der Stadt Gardez zur Front führt, gestern Mittag. Militärkonvois - Alltag in
Afghanistan. Von der Front erfährt man nur das, was die US-Militärzensur verbreitet wissen will.
Erfolgsmeldungen eben. Ansonsten gilt die Pressefreiheit wenig. Das wissen die Journalisten, die
aus Afghanistan berichten.
Reza Dejhaty, Journalist "National Geographic": "Da geht es nicht um
Sicherheit, da geht es darum, die Medien zu kontrollieren. Wenn du auf
die Militärs triffst, dann bedrohen sie dich mit der Waffe, wenn du mit
einer Kamera auftauchst dort, dann versuchen sie dir die Kamera
abzunehmen, deine Arbeit zu verhindern, den Film zu
beschlagnahmen. Und das ist nicht gerade der richtige Weg,
Demokratie zu vermitteln und zu fördern. Das führt zu einem sehr
schlechten Bild der westlichen Nationen in Afghanistan."
Auch die Veröffentlichung dieser Bilder würden die Militärs am liebsten unterbinden. Die zivilen Opfer
eines Krieges, der als Kampf gegen den Terror begann und zu Flächenbombardements wie damals
in Vietnam führte. Wie viele Bomben abgeworfen wurden und vor allem welche, das ist
Geheimsache. Niemand soll die Zahlen kennen.
Hier im Auswärtigen Amt in Berlin hält man sie unter Verschluss, spricht stattdessen gerne vom
Präzisionskrieg gegen Terroristen. So wird die Öffentlichkeit desinformiert. MONITOR liegt ein
vertrauliches Fernschreiben der deutschen Botschaft in Washington von vergangener Woche vor.
Empfänger: Auswärtiges Amt, Verteidigungsministerium, Bundeskanzleramt. Die Zahlen des
Pentagon:
Insgesamt ist von 21.500 Einsätzen die Rede, davon sind 6.500 Angriffseinsätze. 17.400 Waffen -
sprich: Bomben - wurden abgeworfen. Darunter auch 750 so genannte Clusterbomben, Streubomben zum Einsatz gegen "soft targets", wie
Menschen in der Militärsprache heißen. Jede Streubombe enthält 200 dieser kleinen, gelben Splitterbomben. Viele explodieren nicht beim
Abwurf - gefährden gleich Minen auf Jahre die Zivilbevölkerung in Afghanistan. Auch deshalb sind
Streubomben von der UNO als besonders grausam geächtet.
"Operation Anaconda" - hier in Gardez ist allenfalls der Lärm der Geschütze wahrnehmbar. Und die
Journalisten, die hier warten, sollen möglichst wenig erfahren über das, was 30 Kilometer weiter
geschieht.
Reza Dejhaty, Journalist "National Geographic": "Man will die
Demokratie fördern, dem Land auf dem Weg in die Unabhängigkeit
helfen. Doch in der Zwischenzeit verhaften die gleichen Soldaten aus
den gleichen Ländern Journalisten, schlagen sie zusammen, machen
ihnen Probleme, schneiden sie von Informationen ab. Für die Leute in
Afghanistan, die das sehen, ist es sehr schwer zu verstehen, wer diese
Ausländer sind. Zuerst kommen sie und sagen, sie wollen uns helfen,
wollen die Taliban und Al-Quaida rauswerfen. Und unmittelbar danach
verhaften sie Journalisten und lassen sie nicht arbeiten. Das ist ein
großer Widerspruch."
Der Krieg in Afghanistan. Ein Krieg für die Freiheit sollte er sein. Doch Pressefreiheit und
umfassende Information der Öffentlichkeit gehören nicht dazu, so scheint es.
MONITOR Nr. 488 am 14.03.2002
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