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Keine Festtagsruhe in Afghanistan

Deutsche Debatte über Truppenverstärkung und Untersuchungsausschuss

Von René Heilig *

Der US-Präsident hat seine Afghanistan-Strategie erläutert, die NATO weiter ewige Gefolgschaft versprochen, der Bundestag bestätigte brav das ISAF-Mandat. Nun herrscht nach den Vorstellungen der Kriegsherren erst einmal wieder mediale Ruhe - bis sich zur Afghanistan-Konferenz Ende Januar Erfolge vermelden lassen.

Festtagsruhe wird sich nicht einstellen am Hindukusch. Nicht nur, weil man dort - außer in westlichen Festungen - kaum Weihnachten feiert. Gestern, am zweiten Advent, verkündete die NATO, dass am Wochenende bei Anschlägen und Gefechten mindestens 18 Menschen ums Leben gekommen sind. Unter den Opfern ist ein US-Soldat der ISAF. Damit stieg die Zahl der in diesem Jahr am Hindukusch getöteten US-Militärs auf 301, berichten die Internetzähler von www. icasualities.org. Im vergangenen Jahr wurden am Hindukusch 295 ausländische Soldaten getötet, darunter 155 Angehörige der US-Streitkräfte getötet.

Die Opfer unter der afghanischen Bevölkerungen werden nicht so akribisch gezählt. Bei zwei Luftschlägen der Invasoren in den Provinzen Laghman und Wardak wurden - so das afghanische Verteidigungsministerium am Wochenende - vermutlich zwölf Taliban getötet. Fünf weitere Aufständische seien in der südlichen Provinz Kandahar erschossen worden. Im Süden lief zugleich eine Offensive von US- und afghanische Truppen an, ließ der Gouverneur der Provinz Helmand verkünden. Die rund 1000 Soldaten sollen sogenannte Aufständischen zurückdrängen.

Doch auch an den »Heimatfronten« der westlichen Truppenstellerstaaten spitzen sich die Kämpfe zu. Bei der Abstimmung im Bundestag zur Verlängerung des ISAF-Bundeswehrmandats in der vergangenen Woche war nur die Regierungskoalition »auf Linie«. In der Union widersprachen drei, bei der FDP zwei Parlamentarier. Die SPD verzeichnete elf Gegenstimmen und zwei Enthaltungen, die Grünen-Befürworter scheinen auf dem Rückzug: Acht stimmten für ISAF-Verlängerung, 19 dagegen, 40 waren meinungslos. Nur die Linksfraktion stand geschlossen gegen den Militäreinsatz.

Dessen Ausweitung droht. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat eine Aufstockung des deutschen Kontingents nach der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar in London nicht ausgeschlossen. Dagegen hat sein CSU-Chef, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer, »wenig Sympathie dafür«.

Für politischen Zwist sorgt weiter die Untersuchung des Bombenangriffs am 4. September, bei dem über 140 Afghanen umgebracht wurden. Sollte der beschlossene Untersuchungsausschuss nicht öffentlich genug tagen, wäre ein zweiter Ausschuss denkbar, erklärte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin und schloss sich damit Überlegungen der LINKEN an.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2009


"Negativ. Das Ziel soll angegriffen werden"

Deutscher Offizier bestand auf Bombardierung. Vorwarnung bei Attacke auf Tanklastzüge nahe Kundus abgelehnt **

Der Fliegerleitoffizier des deutschen Obersten Georg Klein, Codename »Red Baron«, wollte bei seinem Angriff auf entführte Tanklastzüge bei Kundus am 4.September offenbar keine Überlebenden. Nach einem Bericht des Spiegel unter Berufung auf den NATO-Abschlußbericht lehnte er jegliche Vorwarnung vor dem Bombardement ab. Vorschläge der US-Luftwaffe, den zahlreichen Menschen, die sich in der Nähe der Tank­lastzüge aufhielten, mit Tiefflügen als Drohgebärden Gelegenheit zur Flucht zu geben, habe er abgelehnt. Und zwar gleich fünfmal. »Negativ. Das Ziel soll angegriffen werden«, seien die Worte des Deutschen gewesen. Zudem hat »Red Baron« laut NATO-Bericht die Besatzung des F-15-Jagdbombers aufgefordert, sechs Bomben abzuwerfen, obwohl ihn die Flieger darauf hingewiesen hatten, daß nur zwei Bomben nötig seien. Bei dem Massaker kamen selbst nach NATO-Angaben bis zu 142 Menschen ums Leben.

Informationen über den Luftangriff wurden womöglich auch dem Auswärtigen Amt vorenthalten. Diese Frage müsse vom Untersuchungsausschuß geklärt werden, sagte der damalige Außenminister und heutige SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Welt am Sonntag. Steinmeier verwies darauf, daß dem Auswärtigen Amt der Feldjägerbericht zum Hergang des Angriffs erst am 27.November zugestellt worden sei. Der Untersuchungsausschuß habe auch zu klären, »was das Kanzleramt wann wußte«. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) wies den Versuch zurück, den Fall Kundus »nahe ans Kanzleramt heranzurücken«. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe nichts verschwiegen, sagte er in der Passauer Neuen Presse vom Samstag (5. Dez.).

Als Untersuchungsgremium soll der Verteidigungsausschuß fungieren, der nicht öffentlich tagt. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schloß in der Wochenzeitung Das Parlament daher nicht aus, zusätzlich einen regulären Ausschuß einzurichten.(AFP/AP/jW)

** Aus: junge Welt, 7. Dezember 2009

Wer hat Osama gesehen?

Von René Heilig

Irgendwie gab es schon lange keine Witze mehr über Osama bin Laden, den bösesten der Bösen. Bis zu diesem Wochenende, da machte ein ganz mieser die Runde. Der geht so: Die USA haben seit Jahren keine brauchbaren Informationen über den Verbleib des Al-Qaida-Führers, man weiß nicht, wo er sich aufhält. US-Verteidigungsminister Robert Gates konnte nicht ein bisschen lachen, als er diese Peinlichkeit im ABC-Interview verkündete.

Mag sein, er schwindelt aus taktischen Gründen. So wie ein in Pakistan inhaftierter Taliban-Chef, der Osama immerhin noch Anfang vergangenen Jahres freundschaftlich - also ganz anders als die Amis es seit Jahren versuchen - getroffen haben will.

Hinter diesem »Witz« steckt etwas Erschreckendes, denn wir erinnern uns, mit welcher Losung die US-Militärs - und in ihrem Schlepptau auch die Bundeswehr - in den Krieg gezogen sind. Sie wollten den Terrorismus vernichten und vor allem jenen Mann fassen, der angeblich der Inspirator für die Flugzeugangriffe auf die New Yorker Twinn-Towers war. Tot oder lebendig, ganz egal. Und obwohl die größten und perfektesten Geheimdienste der Welt bin Laden als Nummer 1 auf ihrer Zielliste führen, sind sie so dumm wie zuvor. Kann das sein? Oder ist etwas dran an dem Gerücht, dass ein lebender bin Laden - oder zumindest sein wandelnder Geist - einfach notwendig ist, damit der Westen den Krieg weiterführen kann? So wie die Gegenseite bin Laden als Abziehbild braucht. Und so wird weiter gemordet und gestorben - im Namen von oder gegen Osama bin Laden. Fürwahr - ein ganz schlechter Witz.

Aus: Neues Deutschland, 7. Dezember 2009 (Kommentar)




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