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Ein deutscher Krieg

Die Schriftsteller und Afghanistan. Der Waffengang am Hindukusch ist hierzulande noch kaum literarisch verarbeitet worden

Von Kai Köhler *

Seit einem knappen Jahrzehnt führen deutsche Truppen in Afghanistan Krieg. Schriftsteller haben sich bislang um diesen Stoff wenig gekümmert. Man mag dazu bemerken, daß fast alle wichtigen Romane über den Ersten oder Zweiten Weltkrieg erst mehr als ein Jahrzehnt nach Ende der Kämpfe erschienen; daß Literatur ein langsames Medium ist und Zeit braucht. Aber vorher gab es eben doch unzählige weniger wichtige Bücher, von denen die meisten heute vergessen sind.

Warum also diese Zurückhaltung? Ein Grund ist sicher, daß es den Autoren an eigener Erfahrung fehlt und damit an Detailwissen, das literarisch verarbeitet werden könnte. In den Weltkriegen kamen ganze Jahrgänge ins Militär, damit viele Männer an die Front. Den heutigen Schriftstellern bleibt dies erspart, und wer im Westen aufwuchs, dürfte zur Gruppe der Kriegsdienstverweigerer gehören. Mit einer solchen Lebensgeschichte ist man auf der sicheren Seite, wenn man das abertausendste Buch über den Zweiten Weltkrieg schreibt. Den hat man zwar auch nicht erlebt, aber dafür gibt es mittlerweile erprobte literarische Muster.

Zweitens ist die Gesellschaft gegenüber der Tatsache, daß Deutschland im Krieg ist, relativ gleichgültig, denn bislang sind nur wenige von den Folgen betroffen. Zwar gibt es eine politische Opposition, doch ist sie klein; ein allgemeines Gemurre ist größer, aber folgenlos. Für keine Partei ist die Friedensfrage entscheidend dafür, gesellschaftliche Hegemonie zu erringen.

Nicht, daß es an politischen Appellen fehlen würde. So unterschiedliche Autoren wie Günter Grass, Uwe Timm und Martin Walser haben sich öffentlich für ein Ende der deutschen Beteiligung am Krieg ausgesprochen. Es fällt aber auf, wie zurückhaltend und abgewogen die Texte formuliert sind. Vergebens sucht man den Zorn, mit dem ein Peter Handke auf die NATO-Bomben auf Belgrad reagierte. Ebenso fehlt die moralisierende Menschenrechtsrhetorik, die ein Wolf Biermann oder Peter Schneider damals zur Rechtfertigung des westlichen Imperialismus aufboten.

Letzte Blicke auf den Faschismus

Afghanistan ist geschichtspolitisch neutrales Gebiet. Niemals zuvor kämpften dort deutsche Soldaten, und es fehlt an ethnisch begründeten Morden, die man polemisch mit Naziverbrechen parallelisieren könnte. Getötet wird, aber aus anderen Gründen. Wenn heute deutsche Soldaten sich daran beteiligen, so gilt das kaum mehr als Skandal.

Entsprechend selten sind in der Literatur Bezüge auf die faschistische Vergangenheit. Eine Ausnahme ist hier Boris Alexander Knops Theaterstück »Deutsch-Afghanistan«, das bereits 2002 entstand und etwas überarbeitet 2009 uraufgeführt wurde. Im Zentrum des Stücks steht die Zurichtung von Männern und auch Frauen zu brutalisierten, einsatzfähigen Soldaten.

Doch gibt es ein Motto, das das Werk durchzieht und auf eine problematische Nationalgeschichte verweist: »Ich könnte weinen. Deutsche, ihr Idio­ten!« Entsprechend sieht der kommentierende Chor eine »NEUE/DEUTSCHE/REICHSWEHR« im Einsatz, bricht ein Kriegsschiff vom »ehemaligen Reichshafen Kiel/Ostsee« auf, loben an Bord dieses Schiffes deutsche Beamte den Jugoslawien-Einsatz der Bundeswehr als Fortführung der »Verteidigung«, die das Naziregime betrieben habe, und läßt der Autor in Kabul einen »CSU-Kongreß zur AuSSenpolitik« stattfinden, auf dem eine »BLUTSBRÜDERSCHAFT« mit dem »indogermanischen« afghanischen »Mitvolk« beschworen wird.

Doch weiß Knop, daß sich seit 1945 manches geändert hat. Nun soll nicht mehr Deutschland, sondern »unser Hab und Gut/ÜBER/ALLES/IN DER WELT« stehen – der imperiale Freihandel wird eben auch am Hindukusch verteidigt. Überhaupt montiert Knop alte Formeln neu: »Weltfrieden schaffen mit intelligenten Waffen« – so zeigt er, was aus den Grünen, die sich früher einmal als Bestandteil der Friedensbewegung ausgaben, geworden ist. Eine andere Formel, die er aufnimmt und verwandelt, lautet bei ihm: »VON DEN AMERIKANERN LERNEN HEISST SIEGEN LERNEN«. Bedenkt man, daß den sozialistischen Ländern der Propagandaslogan: »Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen« sich in der Praxis zuletzt, seit Gorbatschow, nicht bewährt hat, und zudem die Niederlage der Sowjetunion in Afghanistan, so läßt dies kaum einen im Sinne der NATO erfolgreichen Ausgang des Konflikts erwarten.

Knops Deutschland ist ambivalent zwischen nationaler Unterordnung unter die westliche Führungsmacht und national-imperialer Tradition verortet. In einer Politikerrede an Soldaten, die nach Afghanistan entsandt werden, werden einander widersprechende Formeln gereiht. Die Abfolge von »IM NAMEN DES/DEUTSCHEN VOLKES« und »OH AMERIKA IST GROSS«, von »DEUTSCHLAND GLAUBT AN SIE« und »GOD BLESS YOU« zeigt eine Übergangssituation zwischen nationalem Interesse und Bündnis­treue.

Ganz anders ist die Anlage von Timo Hemmanns Roman »Und weil die Stunde kommt« von 2007. Der Autor hat sich keinen Gefallen damit getan, im Titel auf Hemingways Bürgerkriegsbuch »Wem die Stunde schlägt« anzuspielen – ein Vergleich läßt seine hanebüchene Psychologie und schlampige Handlungsführung um so deutlicher hervortreten. Hauptfigur ist der Journalist Paul, mehrfach betont als »der Deutsche« bezeichnet. Paul hält sich zu Recherchen in einem Lager der afghanischen Guerilla auf. Dort ist auch der zwölfjährige Kriegswaise Haydar, der zum Kämpfer ausgebildet wird. Haydar, dessen Eltern von sowjetischen Soldaten getötet wurden und der auch selber schon gekämpft hat, ist vom Krieg schwer traumatisiert. Paul heilt ihn mittels einiger Plaudereien und durch den Hinweis darauf, wie wichtig Menschlichkeit doch sei. Um den Jungen in Sicherheit zu bringen, flieht er mit ihm bis nach Indien, wo es den beiden gelingt, sich trotz terroristischer Umtriebe der Aufständischen in ein Flugzeug nach Deutschland zu retten. Haydar kommt in eine glückliche Familie und wird Ehrendeutscher; Paul legt den neuen Geburtstag des Jungen auf den Nationalfeiertag am 3. Oktober fest.

Die faschistische Vergangenheit wird nirgends explizit erwähnt. Allerdings erinnert sich Paul mehrfach an Kriege, über die er berichtet hat. So hat er früher einmal deutsche Soldaten, die Kindern warme Schuhe bringen wollten, in die afghanischen Berge begleitet. Statt daß er Fotos »von lachenden Kindern, deren Füße bei minus zwanzig Grad endlich in warmen deutschen Schuhen stecken durften« machte, fuhr ihr Jeep jedoch auf eine »russische« Mine, und drei Soldaten starben. Dem ist unmittelbar eine Episode kontrastiert, in der Paul einen Hamas-Vertreter interviewte, der dabei von einer israelischen Rakete getroffen wurde, die auch einige Kinder tötete.

Juden als Kindermörder, deutsche Soldaten als Opfer beim Versuch, rettende Schuhe zu bringen: Das ist eine krude Travestie der Auschwitz-Ikonograpie, zu der Haufen von Schuhen ermordeter Opfer gehören. Der Einwand, daß im Gaza-Gebiet ja tatsächlich auch Kinder getötet werden, trägt nicht. Hemmanns Verknüpfung der beiden Ereignisse zeigt, daß es ihm vor allem um die Entlastung der Deutschen und ihrer Armee im Kriegseinsatz geht.

Gehaßtes Bündnis

Entsprechend kommen die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs blutdürstig daher. Ob es sich um die »Russen« in Afghanistan oder die USA handelt, in diesem Roman ist alles eins. Doch vertritt Paul gegenüber dem Kommandanten der Guerilla eine klare Trennung zwischen amerikanischer Aggression und deutschen »Einsätzen für den Frieden« im Auftrag des Weltsicherheitsrats. Angesichts der faktischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und den USA in Afghanistan ist diese Trennung zwar nur schwer zu begründen. Sachlich richtig verweist denn auch der Guerillachef genau auf diesen Punkt. Doch ist er durch den »Haß« in seinen Augen ebenso ins Unrecht gesetzt wie durch den späteren Handlungsverlauf, in dem er sich gegen Paul und dessen Schützling wendet.

So ganz genau weiß Hemmann am Roman­ende nicht mehr, was er in der Mitte des Buches geschrieben hat. Dann nämlich klagt Paul darüber, daß Deutschland als »Hilfssheriff« dem »großen Bruder« USA »beim Erringen der Weltherrschaft behilflich zu sein« versuche. Doch wird immerhin klar, daß er dieses Bündnis negativ beurteilt.

Darüber besteht ohnehin weitgehend Einigkeit. Exemplarisch steht dafür Wolfgang Schorlaus Kriminalroman »Brennende Kälte«, erschienen 2008. Hier geht es um einen traumatisierten Kriegsheimkehrer, der im Besitz einer neuartigen Waffe ist, eine Art modernisierter Flammenwerfer auf Mikrowellenbasis. Es handelt sich zwar um eine deutsche Entwicklung, weshalb auch BKA-Beamte im Verlauf der Handlung mit ihren Vertuschungsversuchen als Schurken auftreten. Anders als bei Hemmann sind die Deutschen skrupellos; nur, sie sind zu dumm und zu langsam. Als es endlich darum gehen soll, die Waffe in der Praxis zu erproben, stellt sich heraus, daß die USA bereits seit Jahren über solch ein Gerät verfügen. Die deutschen Spezialisten können nur zuschauen und dann auf Befehl ihrer Verbündeten die verkohlten Leichen wegtragen.

Der Afghanistan-Krieg wird bei Schorlau als Vernichtungskrieg gegen die afghanische Zivilbevölkerung dargestellt. Wenn auch die Haupthandlung in Deutschland spielt, so sind doch Berichte aus dem Kampfgebiet einmontiert. Dabei werden Krankenhäuser bombardiert, Zivilisten ermordet, Gefangene mißhandelt und erscheinen Hausdurchsuchungen als Mittel, die Bevölkerung zu terrorisieren. Für all diese Verbrechen tragen amerikanische Truppen die Verantwortung. Dies verweist auf den weiteren Punkt, der die Machtverhältnisse innerhalb der Allianz betrifft. Bereits im ersten der Berichte wird deutlich, daß die deutschen Spezialkräfte von den Amerikanern nur als wenig brauchbare Hilfstruppen angesehen werden. Sie bekommen eine »bessere Müllhalde« als Standort zugewiesen, bleiben bei Einsätzen außen vor und erweisen sich allein dadurch als brauchbare Partner, daß sie dank großzügiger Lieferungen den Alkoholnachschub zu sichern vermögen.

Bei Hemmann erscheinen die Deutschen im Kontrast zu den US-Amerikanern als gut, bei Schorlau als die nachhinkenden Möchtegernmörder. In Roger Willemsens Reisebericht »Afghanische Reise« von 2005 ist der Blick differenzierter: Zwar konstatiert ein Gesprächspartner, die Deutschen seien beliebter als die Amerikaner oder Briten – doch wird auch reflektiert, daß dies lediglich eine Folge der Arbeitsteilung ist, nach der, seinerzeit, sich die Deutschen weitgehend auf Polizeiausbildung und Stromversorgung konzentrierten. Das dürfte sich inzwischen erledigt haben.

Die USA stellt Willemsen als Staat dar, der foltert, der auch seine afghanischen Hilfstruppen gewissenlos opfert und der sich um die Details des Landes, das ihnen zum Opfer fällt, nicht weiter kümmert. Auch die Bombardements von 2001 werden gleich eingangs abgelehnt: Niemand, der sie befürworte, könne als human gelten; die Amerikaner hätten, wie zuvor die »Russen«, das Land »aus der Luft bekämpft«. Die Abwertung der USA kommt auch kulturalistisch daher. So ist die Rede vom »Stolz des Volkes, das jetzt in eine Kultur geschoben wird, die nicht die seine ist, in westliche Demokratie, Welthandel, in die Internationale der Unterhaltung und des Fastfood«. Auch die beifällig zitierte Äußerung eines Afghanen: »Die Amerikaner haben erst seit 120 Jahren Elektrizität. Wir haben seit viertausend Jahren Kultur«, gehört in diesen Zusammenhang.

Afghanen

Das Argument, daß irgendwer eine Kultur habe, die es zu respektieren gelte, gehört zum Standardrepertoire vieler Antiimperialisten. Allerdings besteht in Gesellschaften selten Einigkeit, was zum kulturellen Kernbestand zählt und was daraus in der Praxis folgt. Die afghanischen Kommunisten hatten darüber ganz andere Ansichten als die zahlreichen islamistischen oder völkischen Mörderbanden, die mit CIA-Geldern zum Sieg kamen und fortan bestimmten, was als afghanische Kultur zu gelten habe, soweit ihnen das wechselseitige Abmetzeln dafür noch Zeit ließ.

Willemsen hingegen will die afghanische Kultur vorstellen und vergißt dabei, daß er über eine Gesellschaft schreibt, die sich seit Jahrzehnten im Kampf um verschiedene Inhalte der Kultur befindet. Er nimmt das Widersprüchliche durchaus wahr, doch wird dies nicht zum Anlaß von Überlegungen oder wenigstens Irritation. Statt dessen schert er sich nicht um Inkonsequenzen. Mal lobt er die jahrtausendealte Tradition, mal jedoch lobt er, daß der afghanische König schon in den zwanziger Jahren die Gleichstellung von Mann und Frau durchgesetzt habe. Nie weiß er so recht, ob er nun Afghanistan an seinen eigenen, westlich-liberalen, Maßstäben messen soll oder nicht.

Unter den hier vorgestellten Texten steht sein Reisebericht damit am ehesten dem Roman Hemmanns nahe, in dem Paul wortreich die Bedeutung der islamischen Kultur beteuert, Haydar dann aber doch lieber zu einem deutschen Jungen macht. Sonst fehlt das Thema; auch weil meist Afghanen überhaupt fehlen.

Bei Hemmann sind sie klischeehafte Stichwortgeber ohne jede Persönlichkeit; ganz anders weiß Willemsen, wenn’s auch mit seinem Denken manchmal hapert, die Leute, die er trifft, doch anschaulich vorzustellen. Mit Stereotypen arbeitet die kurze Erzählung »Fünf Tage in Bernstein« von Stephan Waldscheidt, 2007 in der Literaturzeitschrift Am Erker erschienen. Sie ist aus der Sicht eines 2005 in Kabul stationierten Bundeswehrsoldaten erzählt. Er verliebt sich in eine Afghanin an einem Verkaufsstand, an dem er regelmäßig auf Patrouillenfahrt vorbeikommt. Auch wegen der äußeren Umstände ist Kommunikation fast unmöglich. Desto lebhafter die Phantasie: So behauptet der Erzähler zu wissen, daß hinter Schleier oder Burka das Gesicht vieler Frauen »so üppig geschminkt war wie das einer Braut oder einer Hure« – was einen »fließenden Übergang« darstellen soll. Im folgenden Absatz jedoch korrigiert er sich: »Meine nicht ganz drei Monate in Kabul hatten genügt, mir das Denken der Männer, was Frauen angeht, zu eigen zu machen« – nämlich daß eine Frau ohne Schleier und Kopftuch »nur eine Nutte« sein könne. Es handelt sich also nicht um eine Sichtweise aus der rauhen Soldatenwelt, sondern die Gefahr, barbarische Gebräuche der Einheimischen zu übernehmen.

Immerhin bewegt sich die Erzählung insoweit im Umkreis exotistischer Literatur, als die fremde Frau bis zum Ende geheimnisvoll bleibt. Am Verkaufsstand wird auf das allzu berechenbar aufkreuzende Bundeswehrfahrzeug ein Anschlag verübt, und der Erzähler erfährt nie, ob die Geliebte davon wußte. Waldscheidt weiß das Schema vom westlichen Kämpfer und einheimischer Frau im Detail durchaus intelligent zu handhaben – überzeugender ist die Umkehrung, die Dirk Kurbjureit in seinem 2011 erschienenen Roman »Kriegsbraut« vornimmt.

Das Buch ist besser als sein Titel. Die Hauptfigur, Esther, wird Freiwillige bei der Bundeswehr und freut sich, als sie aus dem Kasernen-Einerlei nach Afghanistan abkommandiert wird. Sie erhält den Auftrag, regelmäßig militärische Präsenz bei einer Mädchenschule zu demonstrieren. Bei den Patrouillenfahrten verliebt sie sich in den Schulleiter Mehmet, der einerseits wegen seiner modernen Ansichten wohl von den Taliban verfolgt wurde. Andererseits weiß er dem Gestus der Überlegenheit, mit dem Esther auftritt, durch Hinweise auf den sexistischen Alltag in der Bundeswehr zu begegnen.

Hier ist es einmal der fremde Mann, der undurchschaubar bleibt, der – zu welchem Zweck? – vielleicht mit dem Feind zusammenarbeitet. Mehmet wirkt intellektuell überlegen; insofern ist das überkommende Geschlechterbild gewahrt. Obwohl Fremder, besitzt er einen komplexen und nur schwer durchschaubaren Charakter – dadurch sprengt Kurbjureit die von der Kolonialliteratur vorgefertigten Schemata.

Der Krieg kehrt heim

Esther kehrt, nachdem sie in einer Kampfsituation irrtümlich den Tod von Zivilisten herbeigeführt hat, desillusioniert nach Deutschland zurück. Bei Schorlau terrorisiert ein traumatisierter Soldat die heimische Gesellschaft. Er kommt am Ende ums Leben, womit sich die Frage, wie mit solchen Menschen umzugehen sei, in diesem Roman erübrigt. Bei Hemmann muß man über die Probleme nur mal vernünftig reden, und dann ist alles in Ordnung. Bei Knop ist die Angst der auf die Heimkehr hoffenden Mutter in einer Szene gezeigt. Die Frage danach, wie die Rückkehrer in die Gesellschaft zu integrieren seien, ist nur angedeutet. Dabei geht es weniger um Kampferfahrungen als um dehumanisierende Wirkungen militärischer Ausbildung überhaupt.

Einen anderen Zugang wählt Christa Weber in ihrem 2008 uraufgeführten Theaterstück »Sieben Witwen«. Der arbeitslose Robby, der sich als Berufssoldat verpflichtet, weil er keine andere Möglichkeit mehr sieht, tritt gar nicht auf. Im Zentrum des Stückes stehen seine Frau Lea und seine Mutter Evi. Zunächst ist die Pazifistin Evi gegen die Entscheidung ihres Sohnes, und Lea verteidigt ihn. Als die Nachricht eintrifft, daß Robby gefallen ist, kehrt sich das Verhältnis um: Nun dringt die Mutter darauf, sich an ökonomischen Notwendigkeiten zu orientieren, während Lea die Wahrheit über diesen Krieg herausfinden will. Sie findet Informationen über westliche Kriegsverbrechen und schafft es gegen Widerstände, zusammen mit anderen Witwen an den Ort des Geschehens zu reisen.

Nach der Rückkehr ist sie zunächst krank und spricht wie im Fieberwahn. Später aber vermag sie sich konkret zu erinnern. So gelingt es ihr, die wenigen Stunden zu schildern, in denen sie der militärischen Kontrolle entkam und einen authentischen Blick auf die Lage im Land werfen konnte. Dabei erlebte sie, wie brutal und rücksichtslos US-Truppen mit den Einheimischen umgehen und kommt zu dem Resultat, daß es sich um keinen Aufbaueinsatz handele, sondern um einen Krieg gegen die einheimische Bevölkerung. Am Ende setzen Evi und Lea ihre Hoffnung auf eine andere der sieben Witwen, die die beiden nicht nur bei der Bewältigung des Alltags unterstützt hat, sondern auch künftig Widerstand organisieren wird.

»Sieben Witwen« bietet damit eine Identifikationsmöglichkeit für Schwankende, die, den offiziellen Begründungen für den Krieg entgegen, zur Opposition geführt werden sollen. Die beiden Hauptfiguren entwickeln erst allmählich und in einem alles andere als geradlinigen Verlauf politisches Bewußtsein. Sie müssen sich dabei nicht nur mit den Konsequenzen ihrer Erkenntnisse herumschlagen, sondern auch mit Alltagsproblemen wie der Frage, wer sich um das Baby von Lea und Robby kümmert, wenn Lea nach Afghanistan fliegt. In mehrerlei Hinsicht steht damit politisches Handeln im Konflikt mit ökonomischen Notwendigkeiten und individuellen Verpflichtungen.

Auch bei Weber werden die Kriegsverbrechen von US-amerikanischen und britischen Truppen begangen. Einmontierte und vertonte Gedichte Erich Mühsams wie auch Hinweise auf die Nazivergangenheit einer der Firmen, bei der sich Evi bewirbt, versperren allerdings jedem Nationalpazifismus den Weg. Statt dessen sind hier Arbeit und Krieg ganz nahe an die Ökonomie gerückt.

Die Theaterautorin Dea Loher dagegen hat sich zwar zweimal mit der Figur des Kriegsheimkehrers befaßt. Doch spielt Politik bei ihr eine wesentlich geringere Rolle. Wo der Exsoldat in »Das letzte Feuer« (uraufgeführt 2008) im Krieg war, ist gar nicht erwähnt; seine Probleme werden ganz auf der Ebene privater Beziehungen gestaltet. Wichtiger ist hier »Land ohne Worte«, der Monolog einer Frau, die wohl aus Afghanistan zurückgekehrt ist. Der Name des Landes fällt auch in diesem Stück nirgends. Nur daß die Reise in ein Kriegsgebiet sie nach »k.« führte, was für Kabul stehen mag, daß das Land vermint ist, »fettschwanzschafe« und ein »bazar« sowie eine »verhüllte frau« deuten auf ein islamisch geprägtes Kriegsgebiet hin.

Die Sprecherin ist – oder war – vielleicht eine Malerin und machte probehalber den Versuch, das Land mit Farben zu erfassen. Der Vorsatz »ich wollte das licht malen«, erweist sich indessen als uneinlösbar. Als Ziel war zuvor formuliert worden: »ein weiß schaffen/quadrat fläche ebene/das zu den rändern hin unscharf ausläuft (...).« Oder, am anderen Ende des Lichtspektrums: »dunkles rot braun schwarz/braunbraunschwarzrot/holz feuer asche/wüste schritt explosion/himmel blitz hölle.« Doch weisen auch die realen Verletzungen, die sie sieht, diese Farbtöne auf. Das führt sie zu der Frage, inwieweit Kunst das Geschehen erfassen kann: »ich kann die bilder nicht vergessen/bilder verstehen Sie/keine farben keine flächen nichts abstraktes/konkrete/szenen/concrete scenes.«

Die ästhetisierende Schlußwendung wehrt allerdings den Einbruch des Konkreten ab, indem das Kriegsgebiet wieder wie ein Kunstwerk erscheint – jetzt eben nicht mehr wie ein Bild, sondern wie eine Performance. Wo in diesem Monolog von Erfahrung die Rede sein soll, lenkt die Rede doch immer auf vorgeformte Muster der künstlerischen Moderne zurück. Und in Gegensatz zum Titel, der ein »Land ohne Worte« verspricht, besteht dieses Theaterstück nur aus Worten und legt keinerlei Handlung auf der Bühne nahe.

Es handelt sich nicht um Unvermögen, sondern um einen bewußt gestalteten Gegensatz. Auch kann Loher, wenn sie gerade einmal keine Stücke schreibt, Gesellschaft genau beobachten: In ihrer Rede zur Verleihung des Bertolt-Brecht-Literaturpreises 2006 wußte sie genau über ihre Theaterarbeit zu berichten. Vielmehr scheinen bestimmte, in der Hochkultur hegemoniale Ideologien das Problem zu sein.

Richtig ist, daß Kriege medial inszeniert werden; falsch ist, daß man, spricht man über sie, stets das Mediale in den Mittelpunkt stellen müsse. Richtig ist, daß Kriegserfahrungen schwer kommunizierbar sind; doch versucht Literatur stets das in Worte zu fassen, was sich sonst nicht ohne weiteres sagen läßt. Falsch ist es daher, einen Unsagbarkeitstopos anzubeten und auf das Sagen dessen, was immerhin gesagt werden könnte, zu verzichten.

Die anderen hier vorgestellten Autoren lassen sich davon denn auch nicht beeindrucken. Sie gestalten, auf ganz unterschiedliche Weise, den Krieg als deutschen Krieg – nur noch selten in bezug auf den Faschismus, sondern häufiger mit kritischem Blick auf das Verhältnis zu den USA. Die Afghanen, soweit sie überhaupt auftauchen, gewinnen kaum je scharfe Konturen. Als Feindbild fungieren sie nie. Zumeist ist ihr Hauptzweck, die Deutschen zu spiegeln. Diese stehen in allen Werken im Mittelpunkt, zunächst als Kriegsteilnehmer, dann als Rückkehrer, die den Krieg in die Heimat tragen. Mit solchen Figuren sich zu beschäftigen, wird die deutsche Literatur in den nächsten Jahren noch einigen Anlaß haben.

Literatur
  • Dirk Kurbjureit, Kriegsbraut, Rowohlt Berlin, Berlin 2011, 336 S., geb., 19,95 Euro
  • Wolfgang Schorlau, Brennende Kälte, Kiepenheuer&Witsch, Köln 2008 352 S., brosch., 7,95 Euro
  • Dea Loher, Land ohne Worte. Das letzte Feuer, Verlag der Autoren, Frankfurt/M. 2008, 130 S., brosch., 14 Euro
* Kai Köhler ist Professor für Germanistik an der Hankuk University of Foreign Studies, Seoul.

Aus: junge Welt, 13. Oktober 2011



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