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Drohung gegen afghanische Linkspartei

Kritik an "Dschihad-Führern" wird mit Blasphemie gleichgesetzt - und ist lebensgefährlich

Von Thomas Ruttig *

Der Solidaritätspartei Afghanistan droht das Verbot, weil sie Dschihad-Führer vor Gericht sehen will.

Einer kleinen afghanischen Linkspartei, die den Konsens über die guten »Dschihad-Führer« ihres Landes infrage stellt, droht das Verbot. Mitte vergangener Woche erhielt die 2004 gegründete Solidaritätspartei Afghanistan (SPA) einen Brief der Staatsanwaltschaft, dass sie ihre Tätigkeit vorläufig einzustellen habe. Die Justizbehörden waren auf Ersuchen des afghanischen Senats, des Oberhauses des Parlaments, in Aktion getreten.

150 SPA-Anhänger hatten am 30. April gegen die staatlich organisierten Feierlichkeiten zum sogenannten Mudschahedin-Tag protestiert. 20 Jahre zuvor waren die Mudschahedin nach dem Fall der linksgerichteten Regierung von Präsident Nadschibullah in die afghanische Hauptstadt eingezogen und hatten die Macht übernommen. Nach ein paar friedlichen Monaten waren blutige Fraktionskämpfe ausgebrochen, die allein in Kabul zehntausende Opfer forderten. Das kostete die Mudschahedin ihre politische Legitimität. Doch da viele ehemalige Mudschahedinchefs, die sich jetzt »Dschihad-Führer« nennen, Schlüsselpositionen in der aktuellen Regierung Präsident Hamid Karsais einnehmen, darf Kritik an ihnen höchstens hinter vorgehaltener Hand geäußert werden.

Die Mitglieder der SPA trugen die durchgestrichenen Porträts zahlreicher Dschihad-Führer mit sich, aber auch von Talibanchef Mulla Muhammad Omar und ehemaligen Größen des Nadschibullah-Regimes. Sie alle sollten wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden, verlangten die Aktivisten. Um das zu verdeutlichen, führten sie Bilder des bosnisch-serbischen Generals Ratko Mladic mit sich, gegen den zurzeit vor dem Jugoslawientribunal in Den Haag verhandelt wird.

Mit ihrer Forderung steht die SPA eigentlich nicht allein da unter den Afghanen. Vor allem Menschenrechtsgruppen fordern eine gerichtliche Aufarbeitung der Verbrechen der Bürger- und Fraktionskriege. Aber Karsais Allianz mit den Warlords und deren internationale Unterstützer, vor allem in den USA, verhinderten bis jetzt solche Konsequenzen - aus Furcht, die Regierung könne noch stärker destabilisiert werden, wenn wichtige Verbündete im Kampf gegen die Taliban vor Gericht landeten.

Dass ein paar Heißsporne bei der Demonstration mitgeführte Porträts verbrannten, wendete sich nun gegen die Solidaritätspartei. Im afghanischen Senat warf man ihr »Verunglimpfung der Werte des Dschihad« vor. So etwas ist bei mehreren früheren Fällen - etwa beim Verbot der Wochenzeitung »Aftab« 2003 - mit »Kritik am Islam« gleichgesetzt und damit als Blasphemie behandelt worden. Darauf kann unter Umständen sogar die Todesstrafe stehen.

Eine Anhörung vor dem Beschwerdeausschuss des Senats half nicht, obwohl Vertreter der Partei dort ihre Position verteidigten und betonten, dass auch sie am Dschihad gegen die sowjetische Besatzung teilgenommen hatten. Einige Gründer der Solidaritätspartei gehörten zum maoistischen Teil des politischen Spektrums, das sich an diesem Kampf beteiligt hatte. Allerdings steht seit zwei Jahren eine junge Generation an der Spitze der Partei. Sie hatte die Geduld mit den Gründern verloren, die sich zwar sehr kritisch, aber dennoch an dem Demokratieexperiment unter Karsai beteiligt hatten, das die Jungen für gescheitert halten. Sie verlangen nun den sofortigen Abzug aller NATO-Truppen aus Afghanistan und sprechen von einer neuen »Okkupation«. In ihrem Büro hängen Antikriegsplakate der deutschen Linken, die schwedische Linkspartei organisiert gemeinsam mit pakistanischen Sozialisten eine Solidaritätskampagne.

Ob die SPA allerdings in einem Afghanistan überleben kann, in dem die Dschihad-Führer nach einem Abzug der meisten westlichen Truppen und dem Sinken der internationalen Aufmerksamkeit die politische Landschaft dominieren, ist fraglich. Wie der Verbotsantrag zeigt: Mit Kritik können die Dschihad-Führer nicht viel anfangen, und die afghanische Justiz ist alles andere als unabhängig.

* Aus: neues deutschland, Montag, 11. Juni 2012


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