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Advent an der Afghanistan-Front

Verteidigungsministerin von der Leyen frühstückte mit deutschen Soldaten und will ganz viel lernen

Von René Heilig *

Knapp eine Woche nach Amtsantritt hat sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zu ihrem ersten Truppenbesuch aufgemacht. Sie flog am 4. Advent an die Afghanistan-Front.

Von Heiligabend bis zum Zweiten Weihnachtsfeiertag erweitert der Bundeswehrsender »Radio Andernach« seine Grußsendungen in alle Welt. Täglich zwölf Stunden können die bewaffneten deutschen Botschafter neben Grüßen von Angehörigen auch die von Prominenten hören: Bundespräsident Joachim Gauck, Bundeskanzlerin Angela Merkel und alle Inspekteure der Streitkräfte wollen zu den Soldatinnen und Soldaten sprechen. Natürlich hatte auch die neue Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen ihre guten Wünsche per Radio mitgeteilt. Die Grüße für die Afghanistankämpfer überbrachte sie nun persönlich.

So »überraschend« wie ihre männlichen Vorgänger flog die neue Chefin zum vorgeschobenen Posten nach Masar-i-Scharif. Im Tross waren 40 Journalisten. Solch einen Medienauflauf hatte es im Kriegsgebiet zuletzt gegeben, als ein Mann namens Freiherr Karl-Theodor zu Guttenberg im Berliner Bendler-Block Verantwortung trug. Von der Leyens Vorgänger Thomas de Maizière begrenzte die Anzahl der »Frontberichter« auf maximal 15.

Die Adventszeit, so sagte die neue Verteidigungsministerin nach einem Frühstück mit den Soldaten im Camp Marmal, sei eine »typische Familienzeit«. Eine Bemerkung scheinbar ganz nebenbei. Da man weiß, dass die Ministerin selbst siebenfache Mutter ist, wächst der Respekt für von der Leyen um ein Vielfaches, wenn man vernimmt, dass ihr »sehr daran gelegen« war, »so schnell wie möglich« nach Afghanistan zu reisen, um die »Lebenswirklichkeit« der Soldatinnen und Soldaten kennenzulernen.

Das wird ihr – obwohl der Besuch zwei Tage dauert – nicht gelingen. Von der Leyen verlässt Camp Marmal, den letzten verbliebenen Stützpunkt der Bundeswehr in Afghanistan, nicht. Das hat zum einen mit der Sicherheitslage zu tun. Die ist äußerst fragil, und wie man weiß, halten sich Taliban und andere Aufständische nicht an deutsche Feiertagsbesinnlichkeit. Zumal dann nicht, wenn die Bundeswehr in ihrem Nordsektor gerade eine Operation afghanischer Kräfte »zur Wiederherstellung der eigenen Bewegungsfreiheit« unterstützt. Zudem ist der Ministerin auch nicht daran gelegen, in Helm und Splitterschutzweste Titelseiten von Friseur-Illustrierten zu füllen. Dennoch will sie die zwei Tage in Masar-i-Scharif nutzen, »um zu lernen« und »in die Tiefe einzusteigen«.

Die Beteiligung an der ISAF-Mission ist der größte deutsche Auslandseinsatz. 3107 deutsche Soldaten sind in Afghanistan, im ganzen Land stehen derzeit noch immer rund 80 000 Mann NATO-Kampftruppen. ISAF soll im Dezember 2014 enden. Doch schon jetzt übernehmen die Taliban immer größere Teile des Landes. Die einheimische Armee und die Polizei melden Monat um Monat dramatische Verluste. Es gibt keine klare Vorstellung, wie es weitergehen soll beim »Einsatz für Frieden, Menschenrechte und Demokratie«, den von der Leyen der Bundeswehr andichtet.

Nach wie vor ist offen, ob und wann es zu einem Abkommen der USA mit der Regierung in Kabul kommt. Das aber ist Voraussetzung für einen entsprechenden Vertrag der NATO über eine Nachfolgemission. Die Sache ist offenbar weit von einer einvernehmlichen Lösung entfernt und die Verstimmung in der NATO groß – weshalb es auch zu keiner Begegnung der deutschen Ministerin mit afghanischen Regierungsstellen kommt. Überdies will sich Berlin nicht dem transatlantischen Verdacht aussetzen, eine Sonderrolle innerhalb der NATO spielen zu wollen.

Die Bündnisplaner gehen bislang davon aus, dass die 320 000 mehr oder minder gut ausgebildeten und ausgerüsteten afghanischen Sicherheitskräfte ab Ende 2014 alleine für die Situation im Land verantwortlich sein sollen. Die NATO will für die dann anlaufende Mission »Resolute Support« 10 000 Soldaten einsetzen. Ausschließlich für Trainingsaufgaben. Dafür will Deutschland maximal 800 Bundeswehrsoldaten abstellen. Wer deren Sicherheit »resolut« garantieren wird, ist völlig offen. Über diese und andere Probleme mit »Resolute Support« will von der Leyen auch mit dem ISAF-Kommandeur, US-General Joseph Dunford, reden. Der hat sich selbstverständlich zum Gespräch mit der neuen deutschen Ministerin angemeldet.

Das, was jetzt in Afghanistan passiert, diese »großartige Leistung der Bundeswehr«, sind im Grunde politische Rückzugsgefechte einer gescheiterten politischen Mission. Aus der man zwar viel, doch offensichtlich nicht das Entscheidende gelernt hat.

Jüngst markierte der Chef des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Hans-Werner Fritz, neue Aufgaben für die Bundeswehr. In einem »taz«-Interview sagte er, dass »die deutschen Sicherheitsinteressen nicht in einem Radius von 2000 oder 5000 Kilometern um Deutschland herum enden«. Europa müsse darauf achten, »was vor unserer Haustür passiert. Dies gilt auch in Afrika.« Er glaube, Deutschland könne sich dem nicht entziehen. »Wir müssen uns mit Afrika beschäftigen, was wir bereits tun, weil die Entwicklungen in diesen Ländern auch unsere Interessen betreffen können.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 23. Dezember 2013


Afghanistan stabil fragil

Verteidigungsministerin von der Leyen auf Truppenbesuch in Masar-i-Scharif

Von Christian Selz **


Bei ihrem Antrittsbesuch bei Bundeswehrsoldaten im »Camp Marmal« im nordafghanischen Masar-i-Scharif hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen zunächst Nähe zur Truppe demonstriert. »Mir ist wichtig zu zeigen, ich bin für die Soldatinnen und Soldaten da«, behauptete die 55jährige. Von der Leyen bekräftigte allerdings den Willen der deutschen Bundesregierung zur Fortsetzung des Kriegseinsatzes auch nach 2014. »Die Kampfmission ISAF geht zu Ende«, konstatierte die frisch ernannte Ministerin zwar am Sonntag nach einem Treffen mit dem Kommandeur der NATO-geführten Besatzungstruppe ISAF, US-General Joseph Dunford. Es sei in Afghanistan aber »enorm viel erreicht worden, und das wollen wir sichern«.

Zur Untermauerung der vermeintlichen Erfolge in dem beinahe täglich von tödlichen Anschlägen und Attentaten erschütterten Land führte von der Leyen an, daß man bei der Registrierung für die Präsidentenwahl im April gut in der Zeit liege. Das spreche »ja dafür, daß geordnete, sichere Verhältnisse immer fester verankert werden hier im Land«. Auch wenn der Gast aus Berlin beim unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen durchgeführten Besuch in Masar-i-Scharif nicht umhin kam, die Sicherheitslage in Afghanistan zumindest als »fragil« einzustufen, war die Ministerin stets bemüht, das Kriegsszenario positiv zu sehen. »Sehr viel stabiler« als in den anderen Landesteilen sei die Lage im Norden des Landes, lobte von der Leyen die Arbeit der dort stationierten deutschen Truppen indirekt.

Mit der etwas weniger geschminkten Realität hatte sich ihr Amtsvorgänger Thomas de Maizière, der nur zehn Tage zuvor ebenfalls zum vorweihnachtlichen Truppenbesuch nach Afghanistan geflogen war, auseinandersetzen dürfen. Während seiner in bezug auf die Wahrung des Ministeramtes letztlich erfolglosen Public-Relations-Reise kam es in der im Nordosten des Landes gelegenen Hauptstadt Kabul zum ersten Selbstmordanschlag auf einen Bundeswehr-Konvoi seit mehreren Jahren.

»Was begonnen worden ist, wollen wir auch vollenden«, betete von der Leyen nun unbeeindruckt ihren Argumentationstext für eine Verlängerung des Kriegseinsatzes herunter. Die NATO beendet in einem Jahr ihren offiziellen Kampfeinsatz in Afghanistan, will danach aber mit »Ausbildern« und »Beratern« im Land bleiben. Deutschland hat bis zu 800 Soldaten für den Folgeeinsatz angeboten. Voraussetzung ist aber, daß der afghanische Präsident Hamid Karsai ein Abkommen unterzeichnet, das den ausländischen Truppen Immunität vor Strafverfolgung in Afghanistan verschafft. Bislang verweigert das afghanische Staatsoberhaupt die Unterschrift, die seiner Justiz faktisch fortgesetzt die Hoheit im eigenen Land entziehen würde. Von der Leyen nannte es dennoch »sehr realistisch«, daß der Vertrag rechtzeitig abgeschlossen werde.

** Aus: junge Welt, Montag, 23. Dezember 2013


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