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Tötung wegen "Verfahrensfehlern"

Oppositionsberichte zu Kundus-Massaker der NATO / LINKE: Verstoß gegen Völkerrecht

Von René Heilig *

Die Oppositionsparteien im Bundestag haben gestern (11. Aug.) jeweils ihr Fazit aus dem sogenannten Kundus-Untersuchungsausschuss vorgelegt. Am 4. September 2009 waren – laut NATO-Untersuchungsbericht – bis zu 142 Menschen getötet worden.

Vertreter der Grünen, der SPD und der LINKEN präsentierten am Donnerstag getrennt voneinander ihre jeweiligen Sondervoten. »Weitgehend aufgeklärt« sieht SPD-Ausschuss-Obmann Rainer Arnold den »Fall Kundus« und führt zahlreiche »Verfahrensfehler« auf. Von einer »langen Liste von Fehlern« sprach auch der Obmann der Grünen, Omid Nouripour, und bezog das sowohl auf Entscheidungen vor Ort, nach denen zwei entführte und im Kundus-Fluss festgefahrene Tanklaster bombardiert wurden, als auch auf die Aufklärung in Berlin.

So wie Paul Schäfer, Obmann der LINKEN, sind sich die Grünen sicher, dass Bundeswehr-Oberst Georg Klein gegen das Völkerrecht wie gegen interne Einsatzregeln der NATO verstoßen hat, als er den Angriff befahl. Einig sind sich die drei Parteien – die jeweils fast 300-seitige Berichte gefertigt haben, die jedoch als Verschlusssachen behandelt werden müssen –, dass der Angriff militärisch »unzulässig« gewesen sei und politisch weiter aufgearbeitet werden muss.

SPD und Grüne werfen vor allem Kanzlerin Angela Merkel »gravierende Bewertungsfehler« vor. Sie habe sich – wider ihr Versprechen vor dem Parlament – nicht um Aufklärung bemüht. Schäfer betonte, dass Union und FDP insgesamt die Aufklärung der Tötungen »eher erschwert, behindert, verschleppt« haben. Doch auch der damalige Vizekanzler und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), habe sich nicht als Aufklärer hervorgetan, ergänzte Nouripour. Arnold dagegen würdigte dessen »zurückhaltende Äußerungen« unmittelbar nach dem Bekanntwerden des Angriffs.

Auf der Suche nach den Hauptschuldigen entdeckten die Grünen – so wie bereits im Juli die Koalition – den damaligen Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und den einstigen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Peter Wichert. Sie hätten Ex-Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) Informationen vorenthalten. Aus diesem Grund habe Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die beiden entlassen. Unsinn, kontert die SPD. Zum Skandal sei es erst durch die »desaströse Öffentlichkeitsarbeit« von Jung gekommen. Guttenbergs Behauptung, ihm seien ebenfalls wichtige Dokumente vorenthalten worden, sei nur vorgeschoben.

Die SPD rückte die Rolle der geheimdienstlich operierenden Task-Force 47 ins Licht. Deren Diensthabender habe Oberst Klein zu dem Angriff gedrängt und ihm nicht alle notwendigen Kenntnisse über den Informanten, der über die aktuellen Vorgänge am Fluss berichtet hatte, zukommen lassen. Vor allem wurde die Aussage des Spions, es seien nur Taliban-Kämpfer bei den Tanklastern, nicht überprüft. Später sei die Frage nach möglichen zivilen Opfern gänzlich ignoriert worden.

Auch die Linksfraktion verlangt entsprechende Antworten. Die Bundesregierung hätte die Aussagegenehmigungen der Beteiligten zur Task-Force 47 so beschnitten, dass viele Fragen offen geblieben sind. Arnold regte an, die Beziehungen zwischen dem Geheimdienst BND und dem militärischen Nachrichtenwesen generell zu überprüfen.

* Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011


Untersuchung beendet – und nun?

Oppositionsfraktionen haben Berichte zum Kundus-Bombardement verfasst. Jede für sich.

Von René Heilig **


Anders als die Koalition sehen die Oppositionsparteien die handelnden Akteure in der sogenannten »Kundus-Affäre« massiv belastet. Nach der SPD äußerten sich am Donnerstag auch Grüne und Linksfraktion zu den Ergebnissen des Bundestags-Untersuchungsausschusses. Dabei geht es um die Bombardierung zweier Tanklaster am Kundus-Fluss am 4. September 2009. Die – und damit die Tötung von vermutlich über 100 Zivilisten – hatte ein Oberst der Bundeswehr angewiesen.

Es ist fast zwei Jahre her, da befahl Oberst Georg Klein, Kommandeur des PRT Kundus, den »folgenschwersten militärischen Waffeneinsatz in der Geschichte der Bundeswehr«. So nennt die SPD das, was im Laufe der vergangenen Monate immer mehr zur »Affäre Kundus« heruntergeredet worden ist.

Der Hergang ist geklärt. Doch nicht Dank des Versprechens, das Angela Merkel einige Tage nach dem grausamen Angriff im Parlament abgegeben hatte. Sie versprach »lückenlose Aufklärung«, das sei ein »Gebot der Selbstverständlichkeit«. Dazu getan hat sie nichts. Im Gegenteil, so sagen die drei Oppositionsparteien. Sie loben da eher ihre eigene Arbeit im eingesetzten Bundestags-Untersuchungsausschuss. Auch darüber kann man geteilter Meinung sein.

Dennoch, man weiß relativ viel über die Hintergründe und das Geschehen selbst. Das ZDF schickte sich sogar an, eine Dokufiction zum zweiten Jahrestag des verheerenden Ereignisses zu senden. Doch am Sendetermin, dem 2. August um 20.15 Uhr, strahlte man statt »Ein Fall für Kunduz« eine Folge der Reihe »ZDF Royal« aus. Im Gegensatz zum Kriegsgeschehen bringen »Traumhochzeiten! Traumpaare?« Quoten. Deutscher Krieg soll nun am 7. September gesendet werden. Um 22.45 Uhr.

Sollte zu geringes Interesse ein stichhaltiges Argument zur Verschiebung der Sendung gewesen sein, dann hätte die Regierungskoalition im Herbst leichtes Spiel, ihre verharmlosenden Ergebnisse aus dem Kundus-Untersuchungsausschuss des Bundestages an die Frau und den Mann zu bringen. Für Union und FDP ist klar: Oberst Klein hat Fehler gemacht, für die öffentliche Darstellung seines Tuns waren der Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert aus dem Verteidigungsministerium verantwortlich. Beide sind vom damaligen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) gefeuert worden. Guttenberg selbst und sein Vorgänger Franz-Josef Jung (CDU) haben auch persönliche Konsequenzen aus ihrer falschen Einschätzung gezogen. Jung wie Guttenberg hatten darauf beharrt, dass der Angriff militärisch angemessen, ja sogar notwendig gewesen sei.

War's das? Aufgabe des Untersuchungsausschusses war, die Umstände zu klären, unter denen Oberst Klein den Befehl zum Bombenabwurf gab, bei dem 22 Kinder unter 15 Jahren sowie mindestens weitere 60 unschuldige Zivilisten umgebracht worden sind.

Nach der Vernehmung von 41 Zeugen in mehr als 145 Stunden sowie dem Studium zahlreicher Dokumente nennen die SPD-Ausschussmitglieder den Angriff in ihrem Sondervotum immerhin »einen schweren militärischen Fehler«. Die LINKE betont in ihrem Sondervotum, dass die Attacke völkerrechtswidrig war und dass die Bundesregierung sich aus Sorge um ihr Abschneiden bei der Bundestagswahl Ende September 2009 sowie aus Angst um die Moral der kämpfenden Truppe in Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlaviererei geflüchtet hat. Ähnlich sehen das die Vertreter der Grünen. Die SPD dagegen fand zumindest keine Hinweise – »nicht einmal eine E-Mail« – darauf, dass die Regierung – an der sie ja 2009 noch beteiligt war – aus Furcht vor negativer Wahlwerbung Dinge vertuscht hat.

Bei den zu 80 Prozent geheimen Beratungen des Untersuchungsgremiums – entsprechend dürftig sind die öffentlich zugängigen Berichte – ist deutlich geworden: Es ging bei der Attacke nicht um Selbstverteidigung und nicht darum, Gefahren von ISAF abzuwenden. Man wollte vier am Fluss geortete Taliban-Führer töten. Billigend nahm man in Kauf, dass dabei Unschuldige umgebracht wurden. Das geschah offenbar vor allem auf Betreiben der geheimnisvollen Task-Force 47.

Obwohl die Berichte der Oppositionsparteien zum Bombardement von Kundus viele Gemeinsamkeiten enthalten, kam es nicht zu einem gemeinsamen Dokument. Mit den Grünen hätte das ja vielleicht noch geklappt, sagte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Doch keinesfalls mit denen von der Linksfraktion. Denn die »lehnten ja den Einsatz in Afghanistan grundsätzlich ab und nutzen dafür jedes Argument«.

** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011


Offensiv liquidiert

Von Jörn Boewe ***

Knapp zwei Jahre nach dem Bombardement von Kundus ist die parlamentarische Untersuchung der bislang folgenschwersten von der Bundeswehr zu verantwortenden Militäroperation beendet. Am Donnerstag legten SPD, Grüne und Linke ihre Abschlußberichte vor. Alle drei Oppositionsfraktionen beurteilen den Luftangriff in ihren gestern auszugsweise veröffentlichten Sondervoten als klar völkerrechtswidrig. Die Regierungskoalition hatte die Einsatzentscheidung in ihrem Anfang Juli vorgelegten Bericht als »nachvollziehbar« verteidigt.

Bei dem von Oberst Georg Klein in der Nacht vom 3. auf den 4.September befohlenen Angriff zweier US-amerikanischer Kampfbomber auf zwei gestohlene Tanklaster waren mindestens 83 und möglicherweise bis zu 113 Zivilisten getötet worden– darunter mindestens 22 Kinder. In NATO-Berichten ist von bis zu 142 Opfern die Rede.

»Niemand kann mehr behaupten, Oberst Klein habe in der damaligen Situation die richtigen Entscheidungen getroffen«, schreibt der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, in seiner Zuammenfassung des 268 Seiten umfassenden SPD-Berichts. Die »Legende eines defensiven Luftschlags, der nur dazu gedient habe, einen unmittelbaren Angriff mit zwei Tanklastern als ›rollende Bomben‹ auf das Bundeswehrlager in Kundus zu verhindern«, sei nach der anderthalb Jahre währenden Beweisaufnahme »nicht mehr zu halten«. Vielmehr habe es sich »um ein offensives Vorgehen der Bundeswehr gehandelt«: »Mit der ›Liquidierung‹ mutmaßlich gefährlicher Taliban sollte den Aufständischen ein ›schwerer Schlag‹ versetzt werden«, schreibt Arnold.

Kritisch bewertet Arnold die Rolle der deutschen Spezialeinheit »Task Force 47«, einer halb militärisch-geheimdienstlichen Truppe. Nach Arnolds Angaben wurde deutlich, daß TF-47-Angehörige Klein dazu drängten, den Angriffsbefehl zu erteilen und Informationen zurückhielten, die ihr afghanischer Informant geliefert hatte. So erfuhr dieser offenbar »nichts davon, daß die Aufständischen vorhatten, die Tanklaster ›auszuschlachten‹ und ›in Brand zu setzen‹; er erfuhr nichts über den Verbleib der zivilen Lastwagenfahrer« noch darüber, »daß die Kontaktperson gar nicht vor Ort war, sondern nur Erkenntnisse von ominösen ›Subkontakten‹ weiterleitete, über deren Hintergründe niemand in dieser Nacht etwas Näheres wußte.« Tatsächlich habe sich die Einschätzung, es seien keine Zivilisten am Ort, lediglich auf die Information dieses einen Informanten, der gar nicht dort war, gestützt. Schließlich habe Klein die US-amerikanische Luftunterstützung und den Bombenabwurf unter dem offensichtlich falschen Hinweis auf Feindberührung am Boden angefordert.

Ähnlich äußerten sich die Grünen. Deren Verteidigungsexperte Omid Nouripor bezeichnete den Einsatzbefehl als »militärisch nicht angemessen«. Nouripour fügte hinzu, er könne sich »des Eindrucks nicht erwehren«, daß der Provinzgouverneur Mohammed Omar die Situation ausgenutzt habe, eigene politische Rechnungen zu begleichen.

»Der Bombenangriff von Kundus verstieß gegen das Völkerrecht«, erklärte der Vertreter der Linken im Ausschuß, Paul Schäfer. Ein Erfolg der Ausschußarbeit sei, daß heute niemand mehr die zahlreichen zivilen Opfer des Luftschlages bestreite. Schäfer erneuerte seine Kritik an der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen gegen Klein durch den Generalbundesanwalt.

*** Aus: junge Welt, 12. August 2011


Wem das Recht nicht passt

Von René Heilig ****

Der zum Kundus-Untersuchungsausschuss gemodelte Verteidigungsausschuss sollte nicht nur klären, wie es zum verheerenden, von der Bundeswehr bestellten Bombardement am 4. September 2009 kam und wer dafür verantwortlich ist. Das Gremium sollte auch Vorschläge machen, damit derartiges vermieden wird.

Natürlich wollte sich kein Volksvertreter mit dem Spruch »Krieg ist eben so!« erwischen lassen, doch wirklich Lebenserhaltendes ist keinem eingefallen – mal abgesehen von der LINKEN, die partout noch immere keinen Krieg führen und die Bundeswehr umgehend aus Afghanistan heimholen wollen.

Anders ist die Sache bei Rainer Arnold. Der repräsentiert die SPD im Verteidigungsausschuss und überraschte mit der Frage: Passt deutsches Recht eigentlich noch zu deutschen Auslandseinsätzen?

Mal ehrlich, da ist was dran. Der ganze Afghanistan-Ärger einschließlich Entschädigungszahlungen kommt doch nur auf, weil man nach deutschen Gesetzen nicht einfach jemanden umlegen darf. Selbst dann nicht, wenn man ihn als feindlich gesonnen betrachtet. Es gibt eine ganze Reihe von Regeln, die nicht nur das Kriegführen erschweren, sondern auch immer wieder zu unliebsamen politischen Debatten, ja sogar zu Untersuchungsausschüssen führen.

In Arnolds Frage steckt Logik: Es reicht eben nicht aus, wenn die Bundeswehr fit ist. Auch die Gesetze müssen kriegstauglich sein.

**** Aus: Neues Deutschland, 12. August 2011 (Kommentar)


Kundus-Bomber will Ermittlung korrigieren

Oberst Klein schickte Brief an Bundestag

Von René Heilig *****


Knapp zwei Jahre nach seinem verhängnisvollen Befehl zur Bombardierung zweier Tanklaster nahe dem afghanischen Kundus führt Oberst Klein nun Klage gegenüber dem Bundestagsuntersuchungsausschuss.

In einem Brief an die Chefin des Kundus-Untersuchungsausschusses, Susanne Kastner (SPD), will Oberst Georg Klein seine »persönliche Enttäuschung nicht verhehlen«. Seine Familie und er hätten »eine Vielzahl von Vorverurteilungen und dauerhaften unzutreffenden Darstellungen der Medien hinnehmen müssen«, heißt es in dem vierseitigen Brief, in dem er sich beklagt, dass immer wieder Dokumente unter »dem Verschlussgrad VS-Geheim« in die Öffentlichkeit gelangen. Auch Kleins Beschwerde unterliegt diesem Geheimhaltungsgrad.

Der Bundeswehroffizier hatte am 4. September 2009 in Nordafghanistan den Angriff auf zwei von Taliban gekaperte Tanklaster befohlen. Dabei waren bis zu 142 Menschen ums Leben gekommen. Klein, der sich in die »Rolle des ›Schweigenden‹ gedrängt« sieht, verlangt erneut »Gelegenheit zur umfassenden und zusammenhängenden Stellungnahme« vor dem Ausschuss. Er deutet an, neue Fakten zu unterbreiten, um falsche Darstellungen zu korrigieren. Daraus wird ersichtlich, dass – anders als der Ausschuss meint – die Untersuchung nicht gründlich genug erfolgte. Klein nennt vier Schwerpunkte. Unter anderem betont er – entgegen der Sicht aller Ausschussmitglieder –, dass er »als ›Task Force Commander‹ im Dienstgrad Oberst durchaus befugt war, den Waffeneinsatz ... freizugeben«. Das wirft abermals drängende Fragen zu seiner Stellung als Bundeswehr-PRT-Kommandeur sowie nach der Rolle der beteiligten Sondereinheit »Task Force 47« auf. Es besteht der Verdacht, dass Klein durch diese nachrichtendienstlich agierenden Taliban-Jäger zum Bombenbefehl gedrängt wurde, weil so – entgegen einer ministeriellen Weisung – auch vier regionale Aufstandsführer umgebracht werden konnten.

Oberst Klein moniert mangelnde Chancen, seine Sicht umfassend darzulegen. In der Tat, während der Abschlussbericht der Koalitionsfraktionen sowie die Sondervoten der Opposition zahlreiche Leser finden, wurden dem quasi Hauptbeschuldigten »nur wenige Ausrisse des Berichts« vorgelegt, »deren Einordnung in den Gesamtzusammenhang für mich faktisch unmöglich ist«, schreibt der Militär, der inzwischen im Verteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe Dienst tut.

***** Aus: Neues Deutschland, 13. August 2011


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