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Kundus – na und?

Zwei Jahre nach dem Massaker: ZDF-Doku verklärt verantwortlichen Oberst zu "Menschen mit hohen ethischen Maßstäben"

Von Frank Brendle / Rüdiger Göbel *

Vor zwei Jahren hat Bundeswehroberst Georg Klein die Bombardierung einer Menschenmenge unweit der afghanischen Stadt Kundus befohlen. Zwischen 91 und 142 Afghanen wurden an jenem 4.September 2009 getötet, darunter auch Kinder. Der Angriff gilt als der »blutigste deutsche Militäreinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg«, heißt es in einer Dokumentation des ZDF, die in der kommenden Woche ausgestrahlt werden soll. Der Film ist darum bemüht, den für das Kundus-Massaker verantwortlichen Militär als »Menschen mit hohen ethischen Maßstäben« zu präsentieren. Kleins afghanische Opfer erscheinen allesamt als finstere Taliban.

Die Bundeswehr wiederum hat nach Angaben des Rechtsanwalts Karim Popal versucht, mit Schmiergeldzahlungen an einen afghanischen Großgrundbesitzer Entschädigungsforderungen zu unterlaufen. Popal vertritt gemeinsam mit anderen Anwälten 456 Hinterbliebene, die eine Wiedergutmachung des Massakers am Kundus-Fluß fordern. Die Klage wird kommende Woche am Landgericht Bonn eingereicht.

Das Bombardement einer großen Gruppe von Menschen, die sich um zwei von Taliban entführte Tanklastzüge geschart hatten, um Benzin abzuzapfen, war von Bundeswehroberst Klein befohlen worden. Nach wochenlanger Verschleierungstaktik hatte der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eingeräumt, der Angriff sei »militärisch nicht angemessen« gewesen. Eine Entschädigung gab es dennoch nicht, lediglich eine als »humanitäre« Geste deklarierte Summe von 5000 US-Dollar pro betroffener Familie. Von dem Geld kam aber nur ein Teil an. Auf einer Pressekonferenz an diesem Donnerstag in Berlin warf Popal der Bundesregierung vor, eine regelrechte Verleumdungskampagne gegen ihn zu führen. So habe die Bundeswehr an einen örtlichen Großgrundbesitzer 50000 Dollar gezahlt, damit der sich von dem Anwalt distanziere und das Gerücht streue, er habe keine ordentlichen Vollmachten von seinen Mandanten. Das Geld sei als Ausgabe für den Bau einer Straße ausgewiesen worden, die nie gebaut worden sei. Gegen den Empfänger, Omara Khan, liefen derzeit Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Kundus, so Popal.

Die Unterstellung, seine Mandanten seien Taliban, wies der Bremer Anwalt zurück: Drei der Kundus-Überlebenden seien mittlerweile als Asylsuchende in Deutschland, weil sie nach dem Massaker dem starkem Druck der Taliban entfliehen wollten, sich ihnen anzuschließen. Der Bürgermeister des Nachbardorfes sei von den Taliban getötet worden, die die Entschädigungsklage ablehnten.

Das Anwaltsteam um Popal fordert eine Entschädigung von 33000 Dollar pro Opfer. Als juristische Grundlage wird eine »Amtspflichtverletzung« der Bundeswehr angeführt, die es versäumt habe, den Schutz der Zivilbevölkerung sicherzustellen.

Daß Oberst Klein gravierende Fehler begangen habe, vor allem bei der Lageaufklärung, ist dem Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele zufolge eindeutig. Die Entschädigungsforderung sei angemessen, zumal Bundeswehrsoldaten, die aufgrund einer Kriegsverletzung dienstunfähig werden, künftig 150000 Euro erhalten. Die Erfolgsaussichten der Klage nannte Ströbele hingegen »nicht unproblematisch«. So sei der Nachweis, daß die Kläger tatsächlich Angehörige verloren haben, mitunter schwer zu führen – »die Leichen sind verbrannt oder beerdigt«. Zum anderen sei es »juristisch umstritten«, ob zivile Kriegsverletzte Schadenersatz verlangen könnten.

Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke, forderte, man dürfe »nicht alles auf Oberst Klein schieben«. Der Bundesregierung warf er vor, sich bis heute nicht für den Angriff entschuldigt zu haben und die Zusammenarbeit mit den Klägern abzulehnen. Der Verdacht sei nicht ausgeräumt, daß die geheim operierende »Task Force 47« beim Kundus-Angriff Einfluß genommen hat, um gesuchte Personen auszuschalten: So räume die Bundesregierung in geheimen Lagebesprechungen ein, daß die Bundeswehr Namen von Afghanen auf Listen »nominiert«, die später von den USA getötet würden. »Deutschland ist bei den gezielten Tötungen viel tiefer drin, als man öffentlich zugibt«, so Gehrcke.

Strafrechtlich ist das Verbrechen bis heute nicht aufgeklärt worden. Am 12. März 2010 hatte die Bundesanwaltschaft ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein und Hauptfeldwebel Wilhelm wegen Verdachts eines Kriegsverbrechens eingeleitet. Dieses wurde am 16. April 2010 vorläufig wieder eingestellt. Am 19. August 2010 teilte das Verteidigungsministerium mit, daß auch kein internes Disziplinarverfahren gegen Oberst Klein und andere Beteiligte eingeleitet werde.

»Zwei Jahre nach dem Luftangriff bleibt festzuhalten, daß der Vorfall strafrechtlich nicht aufgeklärt wurde«, konstatierte der Berliner Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), in einer Stellungnahme zum Weltfriedenstag am 1. September. Ein Grund hierfür liege in der fehlenden Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft gegenüber der Bundesregierung und der fehlenden Kontrollmöglichkeiten der Entscheidungen der Bundesanwaltschaft durch Gerichte und Geschädigtenvertreter. Bislang habe kein deutsches Gericht die Einstellungsentscheidung und die Ermittlungsführung der Bundesanwaltschaft überprüft. Zudem konnten die vollständigen Akten durch Vertreter der Geschädigten nicht eingesehen werden.

* Aus: junge Welt, 3. September 2011


"Dieser Mann muß bestraft werden"

Anwalt der Kundus-Opfer will beim Bundesverfassungsgericht Klage gegen Oberst Klein erzwingen. Gespräch mit Karim Popal **


Karim Popal ist Rechts­anwalt in Bremen und ­vertritt Opfer des Luft­angriffs bei Kundus.

Das Strafverfahren gegen Oberst Wolfgang Klein, der den Angriff bei Kundus befohlen hatte, wurde von der Generalbundesanwaltschaft eingestellt. Wie kommt das in Afghanistan an?

Das ist ein Schlag ins Gesicht der afghanischen Bevölkerung. Der Mann hat ein Kriegsverbrechen begangen und muß bestraft werden. Wir versuchen im Moment, vor dem Bundesverfassungsgericht eine Klage gegen Klein zu erzwingen. Die Bundesanwaltschaft hat ihn geschützt, sie hat uns keine umfassende Akteneinsicht gewährt. Anstatt ihn zu bestrafen, hat man ihn befördert, obwohl er nachweislich gelogen hat, obwohl er die Menschenmenge dort drei Stunden lang beobachten und sich vergewissern konnte, daß sich dort Zivilisten aufgehalten haben. Aber er wollte gemeinsam mit dem korrupten Gouverneur von Kundus und gemeinsam mit den USA ein Zeichen setzen und demonstrieren, wer die Macht hat. Aus diesem Grunde hat er mit dem Leben von mehr als 139 Menschen gespielt.

Mit welcher Begründung verweigert die Bunderegierung eine Entschädigung, wo sie doch den Angriff selbst als »militärisch unangemessen« bezeichnet?

Wir kennen keine vernünftige sachliche Begründung dafür. Mal will man gar nicht zahlen, mal will man eine »Hilfe« gewähren. Das ist ähnlich undurchsichtig, wie sie mal von einem Krieg spricht, mal von einem Beinahe-Krieg und mal von überhaupt keinem Krieg. Ich gehe davon aus, daß die Bundesregierung mit den USA konform geht: Auf keinen Fall sollen die Summen für Entschädigungen nach oben gehen. Denn dort werden täglich unschuldige Menschen getötet, und wenn alle entschädigt werden, dann müßten die Zahlungen sehr, sehr hoch ausfallen.

Was wissen Sie mittlerweile über die Opferzahlen?

Wir wissen nach wie vor von 139 Toten, dazu kommen sieben Verletzte und 20 Vermißte. Allerdings konnten wir bei unserer Recherche in den vergangenen zwei Jahren nur Dokumente von 113 Toten vorlegen. Es handelt sich überwiegend um Jugendliche und Kinder. Frauen sind nicht darunter. Organisationen wie das Rote Kreuz oder auch die NATO sprechen sogar von bis zu 179 Toten.

Kann man in Afghanistan realistisch unterscheiden zwischen Kämpfern und Zivilisten?

Natürlich. Die Taliban haben eine spezielle Art von Bekleidung und sind bewaffnet, aber kleine Kinder, die zur Schule gehen, nicht. Die Bilder, die ich recherchiert habe, zeigen einfach, daß diese Menschen keine Taliban sein konnten. Ein Mensch, der gegen den Willen von Taliban zur Wahl geht, ist selbst kein Taliban. Drei von den Überlebenden sind mittlerweile Asylbewerber in Deutschland – weil sie von den Taliban unter Druck gesetzt worden waren, sich ihnen anzuschließen.

Was ist mit den 5000 Dollar Entschädigung für jeden Toten passiert, die bisher gezahlt worden sind?

Die Gelder sind teilweise angekommen, teilweise nicht. Die Beträge wurden auf Konten bei der Bank von Kabul überwiesen. Aber diese armen Frauen und Kinder haben kein Konto, sie müssen sich vertreten lassen, und zwar von einem Mann. Ich vertrete eine Frau mit drei Kindern, zu ihr kam plötzlich ein angeblicher Onkel aus Pakistan, der sagte, ihm stehe das Geld zu. Dabei kennt die Frau diesen Mann überhaupt nicht.

Eine zivilrechtliche Klage von Bürgern eines ausländischen Staates gegen die BRD ist juristisches Neuland. Die Klage von Opfern aus dem serbischen Varvarin, die 1999 bombardiert wurden, steckt fest. Woher nehmen Sie Ihren Optimismus?

Ich habe das Gefühl, daß uns der Verteidigungsminister von A bis Z belogen hat. Auch Politiker im Parlament. Wenn sie es jetzt nötig haben, über die Zahlen der Toten Tag für Tag zu lügen, und ich aber die Wahrheit nachweisen kann, dann gibt mir das Optimismus. Zudem können wir hier, anders als bei der Varvarin-Klage klar nachweisen, daß die BRD direkt an dem Angriff beteiligt war. Der Befehl kam von einem deutschen Oberst. Der hat auch die amerikanischen Piloten belogen und von einer unmittelbaren Bedrohung gesprochen. Die Tötung einer unverhältnismäßig großen Anzahl von Zivilisten ist ein Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht.

Interview: Frank Brendle

** Aus: junge Welt, 3. September 2011

Terminhinweis:

10 Jahre Krieg in Afghanistan:

Bilanz und Anklage

Am Freitag, 7. Oktober, 17.00 - 20.30 Uhr
in Berlin, IG Metall-Haus, Alte Jakobstr. 149

(U-Bhf Hallesches Tor)
Veranstalter: Bundesausschuss Friedensratschlag

Und am Samstag, 8. Oktober:

PROTESTMARSCH ZUM KANZLERAMT:
TRUPPEN ABZIEHEN - SOFORT UND BEDINGUNGSLOS

Veranstalter: FRIKO Berlin




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