Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters,
Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.
Chronik des Krieges gegen Afghanistan
Oktober 2001
-
Seit Sonntagabend (7. Oktober), 18.15 Uhr MEZ befinden sich die USA und Großbritannien im Krieg gegen Afghanistan.
-
Am 8. Oktober wiederholt Bundeskanzler Schröder seine "uneingeschränkte Solidarität" mit den USA und sichert der US-Regierung seine Unterstützung für deren Krieg "ohne Vorbehalt" zu.
-
Am 9. Oktober werden bei den Angriffen vier zivile UN-Mitarbeiter in Kabul, die mit Aufgaben der Minenräumung befasst waren, getötet. Das US-Verteidigungsministerium sprach von einer verirrten Rakete, die vom ursprünglichen - militärischen - Ziel abgewichen wäre.
Ebenfalls am 9. Oktober billigt der UN-Sicherheitsrat die Militärschläge der USA gegen Afghanistan. -
Am 8./9./10. Oktober protestieren Hilfsorganisationen wie "Ärzte ohne Grenzen", terre des hommes, das UN-Flüchtlingswerk oder das UN-Kinderhilfswerk UNICEF gegen den Abwurf von Lebensmittelrationen über Afghanistan durch die US-Luftwaffe. Diese Aktion sei reine Propaganda und ein "Tropfen auf den heißen Stein". Gleichzeitig seien die Hilfsorganisationen daran gehindert, ihre wesentlich wirkungsvollere und umfassendere Hilfe der notleidenden Bevölkerung zukommen zu lassen.
-
Am 11. Oktober setzen die USA erstmals in diesem Krieg die berüchtigten "Streubomben" ein. Die Angriffe werden immer massiver. Die getöteten Zivilisten gehen möglicherweise schon in die Hunderte.
Am 11. Oktober bekennt sich Kanzler Schröder in seiner Regierungserklärung zu einer neuen Verantwortung Deutschlands auch an weltweiten Militäreinsätzen. Schröder erhält enthusiastischen Beifall auch von der CDU/CSU-Opposition. -
Am 12. und 13. Oktober intensivieren die USA und Großbritannien ihre Angriffe. Gleichzeitig eskalieren die Proteste insbesondere in asiatischen Ländern (Pakistan, Malaysia, Indonesien).
-
Am 13. Oktober kommt es zu Demonstrationen in aller Welt gegen die Angriffe auf Afghanistan und gegen die Pläne der USA zur Militarisierung des Weltraums. In Deutschland demonstrieren rund 80.000 Menschen (50.000 in Berlin, 30.000 in Stuttgart) gegen den Krieg.
-
Am Wochenende (13./14. Okt.) nehmen in den USA die Milzbrandfälle zu. US-Gesundheitsminister Thommy Thompson sagte: "Die Versendung von Milzbrandbakterien mit der Post ist sicherlich eine terroristische Tat."
-
Am 14. Oktober geben die USA mindestens drei "Fehltreffer" zu, bei denen Zivilisten zu Schaden gekommen seien. Nach afghanischen Angaben geht die Zahl der getöteten Zivipersonen bereits in die Hunderte.
-
Am 15. Oktober gehen die Grünen auf Distanz zum Krieg und fordern eine "Feuerpause". Dabei berufen sie sich auf die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson, die sich für eine Unterbrechung der Luftangriffe ausgesprochen hatte, um Hilfe für die notleidende Bevölkerung zu organisieren.
Am 15. Oktober legt Bundesinnenminister Schily ein zweites Paket zur Terrorismusbekämpfung vor. Der Entwurf zum "Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorimsus" ist 110 Seiten stark und geht noch weit über das hinaus, was bislang in der rot-grünen Koalition geplant war. Schwerpunkte sind die Sammlung personenbezogener Informationen, die Ausweitung der Überprüfungen von Personen auf ihre "Zuverlässigkeit" durch den Verfassungsschutz, die Festlegung von besonders überwachungssensiblen öffentlichen und privaten Betrieben sowie Verschärfungen im Ausländerrecht. -
Am 16. Oktober gab das amerikanische Verteidigungsministerium zu, dass US-Bomben ein Lagerhaus des Roten Kreuzes bei Kabul getroffen haben. 1000-Pfund-Bomben, die von einem Kampfflieger abgeworfen wurden, hätten ein oder mehrere Lagerhäuser getroffen. Die Lagerhäuser seien als Ziel ausgewählt worden, weil die Taliban darin Militärausrüstung lagerten, heißt es in der Mitteilung. Die USA hätten nicht gewusst, dass die Gebäude auch vom Roten Kreuz genutzt wurden. Nach Angaben des Roten Kreuzes in Genf sei bei den Angriffen ein Mitarbeiter verletzt worden. Nahrungsmittel, Medikamente und Decken seien zerstört worden.
Am 16. Oktober rückte die Fraktionsspitze der Grünen von ihrem Parteiratsbeschluss vom Vortag ab. Rezzo Schlauch und Kerstin Müller sagten, die Partei plädiere nicht für eine "Feuerpause", sondern nur dafür, "eine Feuerpause zu prüfen".
Beim Besuch des US-Außenministers Powell in Pakistan wurden dem Land wirtschaftliche Hilfen versprochen. Im Gegenzug stimmte Präsident Musharaff einer Beteiligung der Nordallianz an einer zu gründenden Nach-Taliban-Regierung in Kabul zu. Gleichzeitig hieß es, Musharaff und Powell strebten eine "multiethnische Regierung auf breiter Grundlage ohne ausländische Einmischung" an.
-
Am 16. und 17. Oktober verdichten sich die Anzeichen, dass ein Einsatz von Bodentruppen in Afghanistan unmittelbar bevorstünde. Dies geht u.a. daraus hervor, dass die USA erstmals auch Propeller-Flugzeuge vom Typ AC-130 einsetzten, die als besonders treffsicher gelten und in niedriger Flughöhe zur Unterstützung von kleinen Spezialeinheiten dienen. Die langsam fliegende Maschine verfügt je nach Modell über 40-oder 105-Millimeter-Kanonen und 25-Millimeter-Geschütze; sie kann pro Minute bis zu 1.800 Mal feuern. Das heißt, Ziele können mit einem "Teppich" von Geschossen belegt werden.
-
Am 17. Oktober haben die USA bei ihren Luftangriffen eine afghanische Schule bombardiert. Ein Sprecher der Vereinten Nationen bestätigte in Islamabad, dass eine US-Bombe in
eine Jungenschule in der Hauptstadt Kabul einschlug. Glücklicherweise detonierte sie jedoch nicht. Afghanische Sprengstoffexperten bemühten sich, die Bombe zu entschärfen.
-
Am 18. Oktober griffen die US-Streitkräfte den zwölften Tag in Folge Ziele in Afghanistan an. Beschossen wurden Kabul, Kandahar und Dschalalabad. Nach einem Bericht der privaten afghanischen Nachrichtenagentur AIP kamen bei den Angriffen am Donnerstag acht Bewohner Kabuls ums Leben.
Der britische Premierminister Tony Blair deutete am Donnerstag den
baldigen Beginn einer neuen Phase des Kriegs gegen den Terrorismus
an. Er sprach von einer Zeit größter Prüfungen in den nächsten
Wochen. Zu Beginn oder Umfang eines möglichen Bodenkriegs wollte
sich Blair nicht äußern. Er sagte aber, die Anti-Terror-Koalition habe
nie daran gedacht, dass die Ziele allein mit Luftangriffen erreicht
werden könnten.
Der Militärkommandeur von Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida, Mohammed Atif, drohte per e-mail damit, dass getötete amerikanische Soldaten durch die Straßen Afghanistans geschleift würden, wie dies bereits 1993 in Somalia der Fall gewesen war.
In einer von der PDS-Fraktion beantragten aktuellen Stunde im Bundestag forderte deren außenpolitischer Sprecher Wolfgang Gehrcke einen Stopp der Bombenangriffe. Alle anderen Parteien lehnten so etwas kategorisch ab. -
Am 19. Oktober sind nach Angaben aus dem Pentagon erstmals auch US-Bodentruppen in Afghanistan gelandet. Es soll sich um eine kleinere Spezialeinheit handeln, die im Süden des Landes eingesetzt werde, um Bemühungen der CIA zu unterstützen, einen Keil zwischen die Taliban und die Führer der Volksgruppe der Paschtunen zu treiben und die Paschtungen zum Überlaufen zu bewegen. Unterstützt wird dieser Versuch durch Radioprogramme, die von US-Flugzeugen ausgestrahlt werden.
Bei den Luftangriffen auf Kandahar am 19. Oktober wurden nach Angaben der afghanischen Nachrichtnagentur AIP mindestens sieben Zivilisten getötet und 15 verletzt. Damit habe sich die Zahl der zivilen Todesopfer auf über 470 erhöht. -
Am 20. Oktober sollen nach Angaben aus US-Regiertungskreisen rund 100 US-Soldaten eine Kaserne bei Kandahar angegriffen haben. Die Soldaten wurden per Hubschrauber ein- und wieder ausgeflogen. Bei dem Angriff sollen 25 afghanische Kämpfer getötet worden sein. Beim Rückflug sei ein US-Hubschrauber auf pakistanischem Gebiet abgestürtzt, wobei zwei US-Soldaten ums Leben kamen. US-Präsident sagte, die beiden seien "für eine gerechte und richtige Sache" gestorben. - Entgegen dieser Unfallversion erklärte ein Sprecher der Taliban-Botschaft in Islamabad, der Hubschrauber sei von der afghanischen Flugabwehr getroffen worden und dann knapp hinter der pakistanischen Grenze abgestürzt.
-
Am 21. Oktober sollen US-Kampfjets Frontstellungen der Taliban im Norden des Landes angegriffen haben. Die Taliban hätten die Attacken auf ihre Stellungen nahe der
Stadt Dara Souf in der Provinz Samangan
bestätigt, meldete AIP. Dara Souf
gilt als strategisch wichtig. Von dort aus könnte oppositionelle Nordallianz auf die Stadt
Mazar-i-Sharif vorrücken.
In der Nacht vom 20. auf. den 21. Oktober sind laut AIP die
Hauptstadt Kabul, die südliche
Taliban-Hochburg Kandahar sowie Dschalalabad im Osten bombardiert worden. Nach Angaben eines Reportes der Nachrichtenagentur AP sind in
Kabul acht Menschen von einer Bombe getötet worden. Das
Geschoss habe zwei Wohnhäuser im Wohnviertel Chair Chana
getroffen. Fünf der Toten – drei Frauen und zwei Kinder – habe er
selbst gesehen, so der Reporter.
In dem Wohnviertel befinden sich nach Agenturangaben keine
bekannten Stützpunkte der Taliban-Miliz; eine Kaserne und andere
Einrichtungen sind mehrere Kilometer entfernt. "Dieser Pilot muss
wohl blind gewesen sein", wird ein Nachbar der Getöteten zitiert. (Spiegel-online, 21.10.2001) In Kandahar sollen drei Zivilisten bei den Angriffen ums Leben
gekommen sein. -
Am 22. Oktober flogen die US-Streitkräfte die ersten massiven Angriffe auf die Frontlinien der Taliban im Norden des Landes (nördlich von Kabul und um die Stadt Masar-i-Scharif). Damit wollen sie die Rebellen der Nordallianz in ihrem Kampf gegen das radikal-islamische Regime unterstützen. Nach Augenzeugenberichten sollen die Amerikaner versehentlich aber auch Posten der Nordallianz bombardiert haben. Amerikanische Journalisten berichteten vom ehemaligen sowjetischen Stützpunkt Bagram nördlich von Kabul aus über den Einsatz von mindestens zwei amerikanischen F/A-10 Kampfjets. Der Stützpunkt ist in den Händen der gegen die Taliban kämpfenden Nordallianz. (Spiegel-online, 22.10.2001)
Am 22. Oktober warf der Taliban-Botschafter in Pakistan, Mullah Abd al-Salim Saif, den Amerikanern "Völkermord" vor. Seit Beginn der Angriffe am 7. Oktober seien mehr als tausend Zivilisten getötet worden, sagte er. Bei einer der jüngsten Attacken sind nach Angaben Saifs allein 100 Menschen beim Beschuss einer Klinik in der westlichen Stadt Herat ums Leben gekommen. Eine unabhängige Bestätigung dieser Zahlen gibt es nicht. Pentagon-Sprecher Bryan Whitman sagte, er habe keine spezifischen Informationen zu einem Angriff auf ein Krankenhaus.
Einen Tag später, am 23. Oktober, räumte ein Mitarbeiter des amerikanischen Verteidigungsministeriums ein, am 22. Oktober sei möglicherweise ein Altenheim nahe der Stadt Herat getroffen hätten. "Wir untersuchen (den Vorfall). Wir haben keine Informationen über Opferzahlen", sagte der Mitarbeiter. CNN brichtete dagegen, eine Bombe hätte ihr eigentliches Ziel verfehlt und sei auf einem Feld nahe einer militärischen Einrichtung explodiert. Dabei seien auch umstehende Gebäude zerstört worden. Diese könnten auch als Militärhospital oder Altenheim benutzt worden sein. Die Vereinten Nationen hatten zuvor mitgeteilt, ein Militärhospital in Herat sei getroffen und zerstört worden. -
Am 23. Oktober wurde Kabul erneut von Explosionen erschüttert. Augenzeugen zufolge zielten die Angriffe auf Gebiete, in denen Taliban-Truppen vermutet werden. Nach Angaben der Taliban wurden bei Angriffen südlich von Kabul 25 Menschen getötet. In der westafghanischen Stadt Herat seien bei Angriffen 15 Bewohner getötet und 25 verletzt worden.
-
24. Oktober: Mehr als zwei Drittel der Deutschen fordern nach einer
Forsa-Umfrage eine Feuerpause in Afghanistan. Wie das
Meinungsforschungsinstitut für die Zeitung "Die Woche" ermittelte,
unterstützen 69 Prozent der Befragten die Forderung von Grünen und
Hilfsorganisationen, die Angriffe gegen das Taliban-Regime und die
Terrorgruppe von Osama Bin Laden zu unterbrechen, um Flüchtlinge
und Hungernde zu versorgen. 60 Prozent sind dagegen, dass sich
deutsche Soldaten an einem Bodenkrieg in Afghanistan beteiligen.
Unterdessen gingen auch am 24. Oktober die Luftangriffe unvermindert weiter. US-Stellen stellten auch klar, dass sie nicht daran dächten, die Angriffe zu Beginn des Ramadan (des Fastenmonats der Muslime), der am 17 November beginnt, einzustellen. -
Am 25. Oktober erklärte der US-amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld, der Krieg gegen die Taliban würde möglicherweise auch während des Fastenmonats Ramadan fortgeführt. Er rechne vorher nicht mit einer erfolgreichen Beendigung des Krieges. Auch Bundeskanzler Schröder sprach sich in Paris gegen eine Unterbrechung der Angriffe aus. - Inzwischen häufen sich aber die kritischen Stimmen in Deutschland. Ottmar Schreiner (MdB-SPD) sprach von einem "wachsenden Unbehagen" innerhalb der Fraktion über die Bombenangriffe. Der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer sagte in einem Interview mit Spiegel-online: "Man kann den Terror gegen die USA nicht damit beantworten, dass nun in Afghanistan Unschuldige ihr Leben lassen müssen."
-
Am 26. Oktober haben nach Angaben des Internationalen
Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) US-Flugzeuge erneut zwei Warenlager
der Hilfsorganisation in Kabul bombardiert und einen Teil der Hilfsgüter
zerstört. Es seien mindestens zwei Bomben auf die IKRK-Lager
abgeworfen worden. Die Hilfsorganisation protestierte gegen diese
"schwere Menschenrechtsverletzung". "Wir sind umso wütender, als
dies bereits das zweite Mal ist. Wir bezweifeln, dass es zwei Unfälle
waren", sagte IKRK-Sprecher Kim Gordon-Bates in Genf.
Wegen der US-Bombardierungen werde ein Programm, im Zuge
dessen rund 50.000 Behinderte in Kabul Hilfe erhalten hätten, nicht
weitergeführt, sagte Gordon-Bates. - Bereits am 16. Oktober waren Warenlager des IKRK zerstört worden. Die USA hatten sich daraufhin entschuldigt.
Ebenfalls am 26. Oktober wurde bekannt, dass Großbritannien die US-Angriffe auf die Taliban in Afghanistan mit zusätzlichen 200 Elitesoldaten unterstützen will. Die
Spezialtruppe wird auf dem Kriegsschiff "HMS Fearless"
stationiert. Die Verstärkung der
Armeeeinheiten stellt eine "große
Verantwortung" dar, sagte
Premierminister Tony Blair. "Dies ist ein Kampf, der
danach strebt, zivile Werte zu
verteidigen, für eine freie Welt." Neben den 200 Elitesoldaten werden sich nach Angaben des
britischen Verteidigungsstaatssekretärs, Adam Ingram, der
Flugzeugträger "HMS Illustrious", ein U-Boot mit Tomahawk-Raketen,
ein Zerstörer und eine Fregatte weiter in der Region befinden.
Insgesamt werden damit 4.200 britische Soldaten in der Region im
Einsatz sein. Die 200 Elitesoldaten sollen auch für mögliche Einsätze in den Bergregionen im Winter in Frage kommen. -
Am 27. Oktober, nach drei Wochen Krieg, verstärken die USA abermals ihre Luftangriffe. Den ganzen Tag über bombardierten US-Flugzeuge in mehreren Angriffswellen Stellungen der Taliban. Bereits in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober waren Ziele in Kabul und in der Nähe des Flughafens von Kabul bombardiert worden. Konteradmiral John Stufflebeem erklärte, das Pentagon sei zwar "zufrieden mit dem Verlauf des Feldzugs", doch die Militäroperation sei die "schwierigste Aufgabe, die sich uns seit dem Zweiten Weltkrieg gestellt hat". Er fügte hinzu: "Wir werden alle unsere Kräfte und alle Arten der Kriegsführung außer Massenvernichtungsmittel zum Einsatz bringen."
Am selben Tag wurde über arabische TV-Sender bekannt, dass sich Tausende von Pakistanis über die Grenze nach Afghanmistan begeben hätten um sich den Taliban in ihrem Kampof gegen die USA anzuschließen. -
Am 28. Oktober verlautete aus Bagdad, dass dem Irak Informationen vorlägen, wonach die USA und Großbritannien Angriffe "auf 300 Ziele mit 1.000
Raketen" gegen den Irak planten. Der irakische Außenminister Asis in einem warnte in einem Interview der Londoner Zeitung "Sunday
Telegraph", ein amerikanisch-britischer Angriff auf den Irak könnte die von den USA angestrebte Koalition gegen den Terrorismus sprengen, in die auch islamische Länder eingebunden seien. Asis sagte weiter, die irakischen Streitkräfte hätten sich von ihrer Niederlage im Golfkrieg vor zehn Jahren erholt und seien "fähig und in der Lage, das Land zu verteidigen". Wenig später erfolgte ein Dementi aus London. Der britische Außenminister Jack Straw sagte im US-Fernsehsender ABC: "Irak wurde nicht als Ziel ausersehen." "Eine Militäraktion gibt es nur, wenn eindeutige
Schuldbeweise vorliegen und die Militäraktion als letzte
Option übrigbleibt", fügte er hinzu. Für eine Beteiligung
von Irak an den Anschlägen vom 11. September in
den USA gebe es keine Beweise.
Kabul erlebte in der Nacht vom 27. auf den 28. Oktober die schwersten Angriffe seit Beginn der Bombardements vor drei Wochen. Während elf Stunden fielen 35 Bomben auf die Hauptstadt. Außerdem wurde Kandahar bombardiert.
Nach einem Gespräch mit pakistanischen Staatschef Pervez Musharraf in Islamabad erklärte Bundeskanzler Schröder am 28. Oktober, die US-Angriffe auf Afghanistan dürften nicht unterbrochen werden. Musharraf hatte zuvor verlangt, die Attacken müssten kurz und zielgerichtet sein und die USA sollten während des Mitte November beginnenden Fastenmonats Ramadan die Waffen ruhen lassen. Nach Ansicht von Schröder würde eine vorübergehende Einstellung der Angriffe eine humanitäre und politische Lösung für Afghanistan erschweren. -
Einen Tag später, am 29. Oktober, kam Schröders Kabinettskollegin, die Entwicklungshilfeministerin Heidi Wieczorek-Zeul, die ebenfalls in Islamabad mit Musharaf gesprochen hatte, zu einer anderen Schlussfolgerung. Sie gab öffentlich zu bedenken, ob angesichts der prekären Situation für die Menschen in Afghanistan nicht ein Stopp der Luftangriffe geboten sei.
US-Kampfflugzeuge haben am 29. Oktober weit verzweigte
Tunnelsysteme in Ost-Afghanistan angegriffen. Sie gelten als
Versteck von Osama Bin Laden. Die Angriffe
zielten auf Stellungen der
al-Qaida-Organisation und der Taliban, zu
denen auch Höhlen und Tunnel gehörten,
sagte eine Sprecherin des
US-Verteidigungsministeriums. Wie die
Nachrichtenagentur AIP meldete, hätten
US-Kampfflugzeuge mindestens zwei
Bomben auf Gora Tangi im Grenzgebiet zu
Pakistan abgeworfen. Dort soll Osama bin
Laden während seiner Beteiligung im
Kampf gegen die sowjetische Besetzung
in den achtziger Jahren ein Tunnel-Netz errichtet haben. Diese
Höhlen und Tunnel könnten ihm nun als Unterschlupf dienen. - US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld gestand mittlerweile ein, dass bislang
keine mutmaßlichen Topterroristen getötet worden seien. Zwar seien die
Truppen der Taliban und das Terrornetzwerk al-Qaida empfindlich
getroffen worden und Terrorführer der mittleren Ebene den Angriffen
zum Opfer gefallen, doch sei darunter keiner der zehn ranghöchsten
Führer, sagte Rumsfeld.
Unterdessen kündigen sich erste Widersprüche zwischen Großbritannien und den USA an. Der britische Außenministers Jack Straw kündigte an, die
USA und Großbritannien erwägten nun doch, die Angriffe auf
Afghanistan für den islamischen Fastenmonat Ramadan zu
unterbrechen. In einem BBC-Interview sagte Straw, eine Feuerpause sei denkbar, aber noch keineswegs beschlossen. Auch Verteidigungsminister Geoff Hoon erklärte, eine Pause während des Ramadans werde erwogen. US-Verteidigungsminister Rumsfeld kündigte dagegen an, dass die US-Angriffe nicht wegen des moslemischen Fastenmonats unterbrochen würden. -
30. Oktober: Während die US-amerikanischen Luftangriffe fast pausenlos weitergehen, kündigte die Nordallianz ihren Vormarsch in Richtung Kabul an. Nach eigenen Angaben zogen sie weitere Truppen an der Front etwa 50 km nördlich von Kabul zusammen. Etwa 1.000 Kämpfer der so genannten Sarbati-Truppe seien in Stellung gebracht worden und würden nur noch auf ihren Einsatzbefehl warten.
Die Angriffe der US-Kampfflugzeuge konzentrierten sich auf zwei Bezirke in der Provinz Balch, die Front nördlich von Kabul und bei Talokan, auf die Taliban-Hochburg Kandahar, auf die Umgebung von Masar-e-Scharif sowie auf Dschalalabad. Die Nachrichtenagentur der Taliban, Bachtar, meldete darüber hinaus Angriffe auf ein Wasserversorgungssystem südlich von Kabul, das von internationalen Hilfsorganisationen aufgebaut worden sei. Bei den Angriffen auf Kandahar sollen nach Angaben der Taliban eine Klinik des Roten Halbmondes und ein Wohnhaus getroffen worden sein. Dabei seien 13 Zivilisten ums Leben gekommen. Dieser Darstellung widersprach einen Tag später der Sprecher des US-Verteidigungsministers, Bryan Whitman. Es sei ein "legitimes terroristisches Ziel" getroffen worden, das besagte Krankenhaus habe 200 Meter vom Ziel entfernt gelegen.
Beunruhigt zeigte sich UN-Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers über die Ausweitung der Luftangriffe. Nach einem Treffen mit dem pakistanischen Präsidenten Musharaf monierte er, dass es bislang keinerlei politische Fortschritte gegeben habe. An die Adresse der USA gewandt sagte er: "Ich hoffe, die Militärplaner verstehen, dass sich die Angriffe gegen Terroristen und die Beschützer von Terroristen richten müssen. Es kann kein Krieg gegen die Afghanen werden." (Zit. n. Frankfurter Rundschau, 31.10.2001)
Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF gab bekannt, dass 100.000 afghanische Kinder vom Hungertod bedroht seien, wenn die Hilfslieferungen nicht wieder aufgenommen würden. Dies könnten sie aber nicht, solange die Bombardierungen weiter gingen. -
31. Oktober: Bei seinem China-Besuch wurde Bundeskanzler Schröder von zwei für ihn unliebsamen Einwänden überrascht. Einmal forderte Ministerpräsident Zhu Rongji, die Bemühungen der USA im Kampf gegen den Terrorismus müssten "schneller und zielgerichteter" sein und bei den Militäraktionen müssten "zivile Ziele" vermieden werden. Peking hoffe auf ein baldiges Ende der Kämpfe. Zum anderen fiel dem Kanzler auch noch ein hoher Gewerkschaftsfunktionär, der sich im Tross der Reisedelegation befindet, in den Rücken. Der IG-Metall-Vorsitzende Klaus Zwickel forderte einen sofortigen Stopp der Luftangriffe. Das muss gesessen haben, denn Schröder reagierte barsch auf diese abweichende Meinung in seinem Gefolge. Die Gewerkschaftsführung, so wird Schröder zitiert, soll sich lieber um die Lebensbedingungen ihrer Mitglieder kümmern, als solche Beschlüsse zu fassen. Er könne den Gewerkschaften nur raten: "Lasst die Finger von der Außenpolitik." (Wir dokumentieren den Beschluss der IG Metall vom 31. Oktober im Wortlaut.)
Zwickel steht aber längst nicht mehr allein. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan bekräftigte am 31. Oktober seinen Wunsch nach einem Ende des Bombenkriegs. In New York erklärte er: "Aus unserer Sicht ist es wichtig, dass die Operation so schnell wie möglich endet, damit wir unseren humanitären Einsatz verstärken und möglichst viele Lebensmittel für den Winter ins Land bringen können."
Zurück zur Kriegschronik
Zu weiteren Beiträgen über Afghanistan
Zu weiteren Beiträgen zum Thema "Terrorismus"
Zurück zur Homepage