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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

Mai 2002

  • Am 1. Mai startet die US-Armee eine neue Offensive in Ostafghanistan. Nach einer Meldung der afghanischen Nachrichtenagentur AIP hätten US-Hubschrauber Soldaten im Meesai-Gebirge in der Provinz Paktia abgesetzt.
    Bei Kämpfen rivalisierender Kriegsherren im Norden Aghanistans sind am 1. Mai mindestens sechs Menschen getötet worden.
  • Die Offensive von US-Streitkräften, britischen Spezialeinheiten und von afghanischen Truppen im Südosten des Landes hat am 2. Mai voll begonnen. Die Operation "Snipe" ("Schnepfe") soll Höhlen und Bunker in der unzugänglichen Bergregion ausfindig machen, in der sich Al-Qaida- und Taliban-Kämpfer aufgehalten hätten.
    Die UNO vermittelte im Norden Afghanistans zwischen Usbeken-General Abdul Raschid Dostam und dem tadschikischen General Atta Mohammed. Anhänger der beiden Kriegsherren haben sich seit Tagen heftige Gefechte in der Nähe von Masar-i-Sharif geliefert. Dostam kündigte außerdem die Freilassung von 600 gefangenen Taliban-Kämpfern an, die Ende 2001 von der Nordallianz festgenommen worden waren.
    Das UN-Welternährungsprogramm warnte am 2. Mai vor einer Hungersnot in Afghanistan. Die Lebensmittelvorräte seien fast aufgebraucht. Von Hunger bedroht seien etwa 9 Mio. Einwohner, das sind rund 40 Prozent der Bevölkerung.
  • Deutschland hat am 5 Mai den Oberbefehl über die alliierten Einsätze am Horn von Afrika übernommen. Damit hat der deutsche Flotillenadmiral Gottfried Horch die Führung der von fünf Nationen gestellten Task Force im Rahmen der Operation "Enduring Freedom" inne. Insgesamt sind derzeit etwa 1.400 Bundeswehr-Soldaten am Horn von Afrika im Einsatz. Zum Operationsgebiet gehören das südliche Rote Meer, der Golf von Aden und das Seegebiet entlang der Küste von Somalia.
  • Am 7. Mai berichtet das Hamburger Magazin "Stern" vorab, dass die in Afghanistan eingesetzten KSK-Truppen bei der Offensive im März auch Taliban- bzw. Al-Qaid-Kämpfer gefangen genommen und an die US-Armee ausgeliefert hätten.
  • Am 8. Mai nahm die Bundesregierung einen Bericht an, wonach eine deutsche Beteiligung am "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" und an dem US-Krieg "Enduring Freedom" "weiterhin unverzichtbar" sei. Verteidigungsminister Scharping kündigte außerdem an, in den nächsten zwei Tagen den Marineeinheiten am Horn von Afrika einen Besuch abstatten zu wollen.
  • Am 9. Mai traf Bundeskanzler Schröder zu einem Staatsbesuch in Kabul ein. Schröder sprach sich für die Fortsetzung des ISAF-Einsatzes über den 20. Juni hinaus ein. Im Tross des Kanzlers: Ein hochrangiger Siemens-Manager. Im März, beim Besuch Hamis Karsais in Berlin, haben beide Regierungen ein Memorandum über den Aufbau der afghanischen Infrastruktur und Telekommunikation unterschrieben. Siemens hat die Basis für das vom 20-jährigen Krieg völlig zerstörte frühere Telefonnetz gelegt. Ein interessantes Geschäft, auch wenn inzwischen ein britisches Unternehmen mit dem Aufbau des Mobilfunks in Afghanistan begonnen hat. Im Tross des Kanzler befand sich außerdem der Präsident des FC Bayern München, Franz Beckenbauer.
  • Am 11. Mai berichtete der SPIEGEL vorab, die Bundesregierung ließe von Experten des Verteidigungs- und Justizministeriums sowie des Auswärtigen Amts prüfen, auf welcher Rechtsgrundlage die KSK-Einheiten in Afghanistan kämpften. In einem vorläufigen Gutachten sei zwar geklärt, dass der Einsatz an sich von der UN-Charta "gedeckt" sei. Sorge mache aber die Auslieferung von Gefangenen an die USA, zumal den Häftlingen die Todesstrafe drohen könnte.
  • Nach dem Besuch des deutschen Verteidigungsministers bei den Marineverbänden, die im Rahmen der Militäraktion "Enduring Freedom" am Horn von Afrika seit Anfang Mai das Kommando über die "internationale" Operation (sog. Task Force 150) übernommen hatte, gab sich Scharping am Wochenende (11./12. Mai) zufrieden. Die Aktion sei ein "voller Erfolg". Die Präsenz der Schiffe habe zu Stabilisierung der Lage in der Region beigetragen. Laut Scharping gab es bisher rund 2.000 "Kontakte" zu fremden Schiffen. Bisher wurde aber kein einziges Schiff durchsucht.
  • Am 13. Mai wurde aus Afghanistan gemeldet, dass die britisch-amerikanischen Truppen ihre vor zwei Wochen begonnene "Operation Snipe" gegen Al Qaida erfolgreich abgeschlossen hätten. Es wäre ein riesiges Waffenarsenal zerstört worden. Irgendwelche verdächtige Persponen seien aber nicht gesichtet worden. Die Tatsache, dass man bei der Offensive auf keinen Gegner gestoßen sei, kann man so oder so auslegen. Der britische Brigadegeneral Roger Lane sagte, dies zeige, dass Al Qaid einen der strategisch besten Stützpiunkte habe aufgeben müssen (FR, 14.05.2002). Man kann natürlich auch fragen, ob hier nicht eine großangelegte Militäroffensive ins Leere gestoßen sei.
  • Am 16. Mai wurde bekannt, dass 18 britische und ein US-Soldat an einem mysteriösen Fieber erkrankt sind und bereits am 14. Mai zur medizinischen Behandlungn nach Hause geflogen worden sind. Ein Terrorangriff mit Biowaffen wurde von Regierungsseite ausgeschlossen. Die Erkrankten gehören zum medizinischen Personal eines Feldlazaretts, das unter Quarantäne gestellt wurde. Eine "beruhigende" Meldung des Armeesprechers Ben Curry aus dem britischen Hauptqartier: "Es ist ein Rückschlag, aber unsere militärische Planung für künftige Operationen wird dadurch nicht beeinträchtigt."
  • Im Südosten Afghanistans kam es am 17. Mai zu schweren Gefechten zwischen US-Truppen, britischen und australischen Truppen auf der einen, und einer erheblichen Zahl von Taliban- und Al Qaida-Kämpfern auf der anderen Seite. Auf der "Seite des Feindes" gab es nach Angaben des britischen Brigadegenerals Roger Lane mehrere Tote.
    Am 17. Mai berichtete die in Pakistan ansässige afghanische Nachrichtenagentur AIP, dass US-Hubschrauber eine Hochzeitsfeier im Osten des Landes bombardiert hätten. Dabei wurden mindestens 10 Hochzeitsgäste getötet. Die US-Truppen hätten möglicherweise Freudenschüsse bei der Feier im Dorf Bulkhel für einen Angriff gehalten. Aus US-Kreisen gab es keine Stellungnahme.
    Das mysteriöse Fieber hat sich offenbar ausgebreitet und auf Soldaten der Eliteeinheit "Royal Marines" übergegriffen. Bisher seien 41 Soldaten erkrankt.
  • Über Pfingsten (19./20. Mai) kam "Entwarnung": Der britische Truppensprecher Ben Curry sagte, bei dem mysteriösen Fieder soll es sich um eine normale Magen-Darm-Infektion gehandelt haben. "Das so genannte Wintererbrechen" sei die "am weitesten verbreitete Magenentündung in Großbritannien", sagte er.
    Am Pfingswochenende gingen die Kämpfe in der ostafghanischen Region Khost unvermindert weiter. Dabei wurde am 19. Mai ein US-Soldat erschossen.
    Angeblich gerieten auch australische Soldaten unter Beschuss, bis US-Kampfhubschrauber aus der Luft eingriffen. Dabei wurden etwa 10 Gegner getötet. Angehörige des Stammes Sabari widersprachen der Darstellung uns behaupteten, sie hätten die Australier nicht angegriffen, sondern mit einem rivalisierenden Stamm (dem Balchiel-Stamm) gekämpft. Dann seien plötzlich die US-Bomben gefallen.
  • In Berlin demonstrierten am 21. Mai bis zu 100.000 Menschen anlässlich des Besuchs des US-Präsidenten gegen die Kriegs- und Hegemonialpolitik der USA.
    Im Westen Afghanistans wurde am 21. Mai ein Wahlmann für die Loya Jirga kurz nach seiner Wahl durch den Dorfrat ermordet. Hintergründe der Tat waren nicht bekannt.
  • In einer von manchen als "historisch" gepriesenen Rede vor dem Deutschen Bundestag am 23. Mai wiederholte US-Präsident Bush seine bekannten Vorstellungen vom weltweiten Kampf gegen den Terror.
  • Acht Kandidaten, die an der Versammlung Loja Dschirga in Afghanistan teilnehmen sollten, sind im Mai getötet worden. Das teilte die UNO am 28. Mai in Kabul mit. Dass die Morde in Zusammenhang mit der Kandidatur stünden, könne nicht eindeutig nachgewiesen werden, werde jedoch vermutet. Die Kandidaten seien vor ihrer offiziellen Aufstellung als Delegierte ermordet worden. Vier Morde seien in der südafghanischen Provinz Kandahar begangen worden, einer ehemaligen Taliban-Hochburg, einer in der Hauptstadt Kabul und drei in der Provinz Gor im Landesinneren. (Quelle: Netzeitung)
  • Seit März kehrten mehr als 815.000 Menschen nach Afghanistan zurück, 730.000 davon aus Pakistan. Auch aus Iran werden in diesem Jahr noch etwa 480.000 Flüchtlinge erwartet. Dies teilte die Internationale Organisation für Migration (IOM) am 31. Mai in Genf mit. Den Hilfsorganisationen gehe das Geld aus, sodass eine Fortführung der Rückkehrhilfe akut gefährdet sei. Die IOM habe ihr Rückführungsprogramm wegen Geldmangels ausgesetzen müssen. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR befürchtet gleiches im Juni. Die Organisation teilte mit, sie habe von den für 2002 veranschlagten 271 Millionen Dollar (etwa 290 Millionen Euro) erst 180 Millionen Dollar erhalten.


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