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Chronik des Krieges gegen Afghanistan

Januar 2002

  • 31. Dezember 2001/1. Januar 2002: Der Taliban-Chef Mullah Mohammad Omar soll sich nach Berichten des örtlichen Gemeindienstchefs von Kandahar in der südafghanischen Provinz Helmand aufhalten. Die Bewohner eines Dorfes seien aufgefordert worden, Omar auszuliefern. Die US-Streitkräfte teilten mit, ihre Marines seien von Kandahar aus zu einem Einsatz aufgebrochen.
    Im Osten des Landes fliegen die USA weiterhin Bombenangriffe. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AIP sollen in der östlichen Provinz Paktia mindestens 92 Menschen bei Bombenangriffen getötet worden sein. Ein US-Militärsprecher sagte, der Angriff habe einem Gelände gegolten, das von Taliban-Kräften und von Angehörigen der Organisation Al-Qaida genutzt worden sei. Die US-Maschinen seien von zwei Boden-Luft-Raketen beschossen worden. Ein Bewohner des Dorfes Kalaje Niasi berichtete hingegen, Mitglieder der Taliban oder der Al-Qaida seien nicht in seinem Dorf gewesen.
  • Am 2. Januar 2002 begann der größte Kriegseinsatz der deutschen Marine seit dem 2. Weltkrieg. In Wilhelmshaven liefen sechs Schiffe aus, die im Rahmen des US-"Kriegs gegen den Terror" zur Überwachung und Sicherung der Seewege im Golf von Aden eingesetzt werden sollen. An Bord befinden sich rund 750 Soldaten. In den nächsten Tagen werden weitere Schiffe dazu kommen. Die Marineoperation war Teil des Bundestagsbeschlusses vom 16. November 2001. Zum Marineverband gehören die Fregatten "Emden" und "Köln" mit jeweils rund 220 Soldaten. Begelitet werden sie von dem Versorgungsschiff "Freiburg", zwei Tendern ("Main" und "Donau") für Reparaturzwecke und mit einem Lazarett sowie einem Betankungsschiff ("Spessart"). Am 4. Januar erfolgt zusätzlich die Verladung von fünf Schnellbooten; ein paar Tage später soll eine weitere Fregatte ("Bayern") aus dem Mittelmeer ans Horn von Afrika verlegt werden. Unjklar ist bislang, wo der Flottenstützpunkt eingerichtet wird. Heißester Anwärter ist Dschibuti, im Gespräch sind aber auch Berbera in Somaliland und Mombasa in Kenia.

    Ebenfalls am 2. Januar sind neun Bundeswehroffiziere in Kabul eingetroffen, um vor Ort die Einsatzbedingungen für den deutschen Beitrag zur ISAF (Internationale Sicherungstruppe für Afghanistan) zu erkunden. Dieser Einsatz erfolgt im Rahmen der UN-Mission und ist unabhängig von dem oben genannten Einsatz. An der ISAF will sich die Bundesrepublik mit 800 bis 1.000 Soldaten beteiligen. Insgesamt sollen den Streitkräften 4.500 Soldaten angehören.
    Am 2. Januar informierte derWiener "Standard" in seiner Online-Ausgabe über alte Pläne Großbritanniens, die eine Teilung Afghanistans vorsahen. Wie aus am 2. Januar 2002 in London veröffentlichten Dokumenten hervorgeht, sollte das Land zwischen den Nachbarn Russland und Pakistan entlang des Hindukusch-Gebirges aufgeteilt werden. Als "nahe liegende Lösung" für die Probleme der Region bezeichnete demnach im Juni 1951 der britische Diplomat R.H. Scott eine Teilung. "Wenn es, was nicht unwahrscheinlich ist, irgendwann eine Umwälzung gibt, dürfte das endgültige Verschwinden Afghanistans keine Tragödie sein. Unter modernen Bedingungen scheint die afghanische Lebensfähigkeit auf lange Sicht hin zweifelhaft zu sein", schrieb Scott. Mit der Fortdauer des Kalten Krieges wuchs den Dokumenten zufolge in britischen diplomatischen Kreisen offenbar die Überzeugung, dass Afghanistan nicht länger als Puffer zwischen einer expandierenden Sowjetunion und Indien tauge. Afghanistan hatte in zwei Kriegen mit Großbritannien (1839-1842 und 1878-1880) seine Unabhängigkeit behaupten können. Im Ersten Weltkrieg blieb es neutral. Nach dem dritten afghanisch-britischen Krieg von 1919 erreichte Emir Aman Ullah die völlige Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit Afghanistans. Er schloss einen Freundschaftvertrag mit der Sowjetunion und nahm diplomatische Beziehungen zu Großbritannien auf. (Der Standard-online, 02.01.2002)
  • 3. - 5. Januar: In der Nacht vom 3. auf den 4. Januar und am 4. Januar bombardierten US-Kampfflugzeuge einen mutmaßlichen Stützpunkt von Al-Qaida in Ostafghanistan. Bereits am 3. Januar sollen bei US-Angriffen in der Provint Khost 32 Menschen in umliegenden Dörfern ums Leben gekommen sein - so berichtete die afghanische Nachrichtenagentur AIP. Erstmals wurde in Washington amtlich bestätigt, dass ein US-Soldat in einem Feuergefecht am 4. Januar durch Feindeshand ums Leben gekommen sei.
    Nach afghanischen Angaben ist dem Taliban-Führer Omar, der sich in den Bergen bei Baghran in der Provinz Helmand versteckt halten soll, ein Ultimatum gestellt worden sich zu ergeben, andernfalls würde er angegriffen. Das Ultimatum läuft am 5. Januar ab. Demgegenüber verlautete aus US-amerikanischen Armeekreisen, die USA würden jede Verhandlung mit den Taliban über eine Auslieferung Omars ablehnen.
  • In der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember bombardierten die USA wieder die Bergregion Tora Bora. Die US-Armee hat mindestens sechs Angriffe auf das Gebiet der Weißen Berge rund 45 Kilometer südlich von Dschalalabad geflogen, berichtet die in Pakistan ansässige Nachrichtenagentur AIP. Nach der Flucht von Al-Qaeda-Kämpfern aus der Bergfestung Tora Bora Mitte Dezember werden die Anhänger des Terroristenführers Osama bin Laden nun in dieser Region vermutet. Laut AIP handelte es sich um die ersten Luftangriffe in der Umgebung von Tora Bora in diesem Jahr.
  • Am 6. Januar begannen die US-Streitkräfte mit dem Verhör des ehemaligen Taliban-Botschafters in Pakistan, Mullah Abdul Salam Saif. Saif war am 3. Januar aus Pakistan nach Afghanistan abgeschoben und anschließend von US-Truppen in Gewahrsam genommen worden. Er wird auf einem US-Kriegsschiff im Arabischen Meer verhört.
    Heftige Luftangriffe flogen die USA gegen Ziele an der pakistanisch-afghanischen Grenze. Es soll sich um Tunnelsysteme handeln, die in den 80er Jahren von den Mudschahedin im Kampf gegen die Sowjettruppen benutzt worden waren. Insgesamt flogen die USA an diesem Tag 118 Einsätze in Afghanistan.
  • Am 7. Januar bezeichnete der britische Premierminister Tony Blair bei einem Besuch in Pakistan, der bisherige Afghanistan-Einsatz sei ein "immenser Erfolg" gewesen. Gleichzeitig kündigte er die Fortsetzung der Angriffe an.
    US-Kampfflugzeuge bombardierten bei Khost und Zawar vermeintliche Al-Qaida-Unterschlüpfe. Die Frankfurter Rundschau kommentiert besorgt: "Mittlerweile dürfte die Zahl der getöteten afghanischen Zivilisten die Zahl der im World Trade Center ermordeten US-Bürger erreicht oder gar übertroffen haben. Genau weiß dies niemand." (FR, 08.01.2001) Der Krieg beunruhigt zunehmend auch die UNO. Deren Sonderberichterstatter für die Menschenrechte in Afghanistan, Kamal Hossein, forderte am 7. Januar in Kabul eine Untersuchung über die Kriegsopfer. Er sagte, zivile Opfer der US-Bombenangriffe hätten ein Recht auf eine Untersuchung über eventuelle Verletzungen der Menschenrechte.
  • Am 8. Januar hat die Stadt New York die Zahl der am 11. September ermordeten Menschen im World Trade Center auf 2.893 korrigiert.
    Am 8. Januar starteten 70 Bundeswehrsoldaten als Teil der UN-Sicherheitstruppe nach Kabul. Das Vorauskommando besteht aus 50 Fallschirmjägern und 20 Fernmeldern und Sanitätern.
    Die USA erklärten einerseits die Suche nach Osama bin Laden bei Tora Bora für abgeschlossen, kündigten aber weitere Bombardierungen an, um das Terrornetzwerk Al-Qaida zu zerschlagen. In der Stadt Kandahar ergaben sich mehrere hochrangige frühere Minister der Taliban-Regierung.
  • Am 9. Januar entbrannte heftiger Streit über das Schicksal der Ex-Minister. Es handelt sich um Ex-Verteidigungsminister Mullah Ubaidullah und Justizminister Nuruddin Turabi sowie um mehrere andere ranghohe Taliban. Sie erhielten von der Provinzregierung eine allgemeine Amnestie, nachdem sie die Interimsregierung anerkannt hatten. Politisch dürfen sie sich jedoch nicht mehr engagieren. Das Innenministerium der Übergangsregierung in Kabul ist über diese eigenmächtige Entscheidung des Gouverneurs von Kandahar, Gul Agha, empört. Die Minister gehörten ins Gefängnis, erklärte ein Mitarbeiter des Ministeriums. Sie müssten vor Gericht für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Die Freilassung der Taliban-Führer sei "unakzeptabel für das afghanische Volk". Auch der US-Generalstabschef Richard Myers monierte, die USA erwarteten die Auslieferung aller Taliban-Minister. Sie seien für die Vereinigten Staaten von "großem Interesse".
    Über Pakistan ist ein US-Militärflugzeug mit sieben Soldaten an Bord abgestürzt. Das Tankflugzeug der Marine-Infanterie vom Typ KC-130 sei verunglückt, sagte ein Sprecher des US-Verteidigungsministeriums. Über die Unglücksursache sei aber noch nichts bekannt. Auch zu möglichen Opfern wollte der Sprecher sich nicht äußern.
  • Es gibt immer wieder Ziele, die sich angreifen lassen. In der Nacht vom 9. auf den 10. Januar flogen die USA bis in die Morgenstunden hinein heftige Bombenangriffe auf die Stadt Shawar und deren Umgebung in der Provinz Khost.
    10. Januar: Aus Kabul dringen Meldungen, wonach es offenbar Unstimmigkeiten in der Interimsregierung gibt. Außenminister Omar Samad sagte am 10. Januar, die Freilassung der gefangenen Taliban-Führer durch die Provinzadministration Kandahar sei "angemessen" gewesen. Damit widersprach Samad seinem Kabinettskollegen vom Innenministerium. (siehe 9. Januar).
    In der Bundesrepublik Deutschland verdichten sich die Gerüchte, wonach die Bundeswehr mit einem ABC-Abwehrtrupp bald nach Kuwait entsandt werden soll. Dies empfahl jedenfalls ein Voraustrupp, der sich im Dezember in geheimer Mission in Kuwait aufgehalten hatte. Wegen der Nachbarschaft zum Iral wird der Bundeswehreinsatz für problematisch gehalten. Ist doch an einenen Angriff auf Irak gedacht? Will (soll) sich die Bundeswehr daran bteiligen? Verteidigungsminister Scharping spielt das Ganze herunter. Es seien (noch) keine Entscheidungen getroffen. Bei der evtl. Stationierung handle es sich nach Meinung des Erkundungsteams "vom Charakter her um reine Katastrophenschutzeinsätze mit militärischen Mitteln", heißt es in dessen Bericht.
  • Am 11. Januar ist das deutsch-niederländische Vorauskommando in Kabul eingetroffen. Die ersten Bundeswehrsoldaten landeten auf dem Flugghafen Bagram nördlich von Kabul. 40 Soldaten müssen weiterhin in der Türkei auf den Weiterflug warten.
    Di afghanische Übergangsregierung hat zwischen 5.000 und 6.000 Soldaten der Nordallianz aus Kabul abgezogen. Das Petersberg-Abkommen sieht den vollständigen Abzug der Nordallianz vor. Weitere Soldaten sollen in der nächsten Woche folgen. Die Regierung besteht aber darauf, etwa 5.000 bis 6.000 Soldaten in Kabul zu belassen und sie zwischen dem Militär und der Polizei aufzuteilen.
  • Am 12. und 13. Januar sind die ersten gefangenen Taliban-Kämpfer und Al-Qaida-Mitglieder zum US-Stützpunkt nach Guantánamo auf Kuba geflogen worden. Hier sollen alle Gefangenen in einem eigens für sie errichteten Lager interniert werden.
    Die Probleme und Verzögerungen bei der Verlegung der Bundeswehrsoldaten im Rahmen der UN-Sicherungstruppe nach Kabul reißen nicht ab. 40 Soldaten warten immer noch in Trabzon (Türkei) auf die niederländischen Transportmaschinen, die angeblich im Iran fest saßen. Nun ist der Transport für Montag, den 14. Januar geplant.
    Reibungsloser verläuft die Verlegung der Marineeinheiten an das Horn von Afrika. Ein weiterer deutscher Marineverband lief am Wochenende von Wilhelmshaven aus.
    Derweil gingen die US-Bombardements im Osten Afghanistans weiter.
  • 14. - 17. Januar: Es wird weiter bombardiert. Ziele der US-Kampfflieger sind die Höhlen bei Shawar in der Provinz Khost. Aus dem Pentagon hieß es am 15. Januar, nach dem baldigen Ende der Bombardierungen von Shawar würden sich sie Angriffe auf das nächste Höhlensystem richten. Damit solle verhindert werden, dass sich Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer neu formieren.
    Aus CIA-Kreisen verlautete am 15. Januar, dass sich Ossam bin Laden nicht mehr in Afghanistan befände. Wahrscheinlich sei er im Dezember aus der Tora-Bora-Gegend verschwunden und per Schiff aus der Region geflohen. Dem widersprach US-Verteidigungsminister Rumsfeld am 17. Januar. Er glaube, dass bin Laden noch in Afghanistan sei, sagte er. Dasselbe gelte für den Taliban-Führer Mullah Mohammed Omar. "Wir gehen immer noch von dieser Annahme aus", wird Rumsfeld zitiert, "obwohl wir ab und zu auch an anderen Orten nachsehen".
    Während die Presse am 15. Januar stolz verkündete, Bundeswehrsoldaten würden zusammen mit afghanischen Polizisten in Kabul auf Streife gehen bzw. "patroullieren", saß die zweite Gruppe des Vorauskommandos immer noch fest. Erst am 16. Januar starteten 92 Soldaten vom Militärflughafen Wahn um zunächst ins türkische Trabzon zu fliegen. Am 17. Januar schließlich ist die zweite deutsche Gruppe vollständig in Afghanistan angkommen. Die 92 Fallschirmjägern landeten am Donnerstag in Bagram. Die übrigen 79 Mitglieder des deutschen Vorauskommandos sollen am Freitag nach Afghanistan geschickt werden. Der deutsche Kommandeur Carl Hubertus von Butler sagte der ARD, die Zusammenarbeit mit den afghanischen Behörden sei "ausgezeichnet"
    Der UN-Sicherheitsrat hob am 15. Januar die Sanktionen gegen die afghanische Zentralbank und die Fluggesellschaft Ariana auf.
    Am 16. Januar verhängte der UN-Sicherheitsrat dagegen weitere Sanktionen gegen Islamistenführer Osama bin Laden, seine Organisation Al-Qaida und die Taliban. In der einstimmig verabschiedeten Resolution werden alle Staaten aufgefordert, ein Waffenembargo und ein Reiseverbot gegen Einzelpersonen oder Gruppen zu verhängen, die zu diesen Verbindungen haben. Die Finanzguthaben von Bin Laden, Al-Qaida und den Taliban sollten eingefroren werden. Die neuen Sanktionen ersetzen die von 1999, in denen die Taliban zur Auslieferung Bin Ladens aufgefordert wurden.
    Aus Großbritannien wird Kritik laut an der Behandlung der gefangenen Taliban- und Al-Qaida-Kämpfer auf dem US-Marinestützpunkt Guantánao auf Kuba. Mitglieder der Labour-Fraktion im britischen Unterhaus protestierten gegen die "rabiate Politik" der USA. Unter den Gefangenen befindet sich eine Anzahl britischer Staatsbürger. - Auch die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, macht sich Sorgen um die Gefangenen. Sie seien wie Kriegsgefangene zu behandeln und fielen somit unter den Schutz der Genfer Konvention. Künftige Prozesse gegen die Gefangenen müssten "nach den Grundsätzen der Fairness und der Unschuldsannahme geführt werden", sagte sie am 16. Januar in Genf.
    US-Außenminister Colin Powell ist am 17. Januar bei seiner Südasien-Reise in Kabul eingetroffen. Powell kam aus Pakistan und will noch am gleichen Tag nach Indien weiterreisen. Er ist der erste US-Außenminister seit 25 Jahren, der Afghanistan besucht. (Damals war Henry Kissinger dort gewesen.) In einem Gespräch mit dem Chef der afghanischen Übergangsregierug, Hamid Karzai, sagte er dem Land langfristige Unterstützung zu. "Wir werden Euch begleiten, in der gegenwärtigen Krise und in der Zukunft", versprach Powell. Insbesondere beim Wiederaufbau des Bildungs- und Gesundheitssystems werde man Afghanistan unterstützen. Konkrete Summen wurden aber nicht genannt.
  • 18.-20. Januar: Die Kritik an der Unterbringung der Gefangenen auf dem US-Stützpunkt Guantánamo (Kuba) nimmt international zu. Amnesty international und andere Menschenrechtsorganisationen werfen den USA vor, die Gefangenen in Käfigen unter freiem Himmel unterzubringen und keine Rechtsanwälte zuzulassen. Am 18. Januar traf eine Delegation des Internationalen Roten Kreuzes ein, um die Haftbedingungen zu untersuchen.
    Unmut regt sich in Kanada. Die kanadische Regierung, in der Vergangenheit häufig an Peace-keeping-Aktionen der Vereinten Nationen beteiligt, hat es abgelehnt an der UN-Sicherungstruppe für Afghanistan (ISAF) teilzunehmen und will sich stattdessen 750 Soldaten an der Seite der USA in Afghanistan kämpfen lassen. Abgeordnete befürchten, Kanada setze seine Rolle als unabhängiger internationaler Akteur aufs Spiel.
    Indessen ist das deutsche Vorauskommanda für ISAF komplett. Jetzt befinden sich 292 Bundeswehrsoldaten in Kabul.
    Der pakistanische Präsident Musharaff hält es für möglich, dass Osama bin Laden an einem Nierenleiden gestorben sei. Washington wollte diese Meldung weder bestätigen noch bestreiten.
    Im Norden Afghanistans ist am 20. Januar ein Hubschrauber der US-Streitkräfte abgestürzt. Der Hubschrauber sei am Morgen von einem Flugplatz nahe Kabul in Richtung Norden aufgebrochen. Laut einem Sprecher der US-Streitkräfte befanden sich sieben Marineinfanteristen an Bord. Einige von ihnen hätten überlebt. Der Hubschrauber vom Typ CH-53E "Super Stallion" habe Versorgungsgüter in den Norden des Landes bringen sollen. Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur AP kamen bei dem Absturz zwei der sieben Besatzungsmitglieder ums Leben. Zwei weitere seien schwer verletzt. Es ist die dritte US-Maschine, die bisher beim Afghanistan-Einsatz abstürzte.
  • 21. Januar: Auf einer internationalen "Geberkonferenz" mit Vertretern aus rund 60 Staaten und 22 Hilsorganisationen wurden Afghanistan Hilfszusagen in Höhe von rund drei Milliarden Dollar für die nächsten drei Jahre gemacht, also 1 Mrd. pro Jahr. Erforderlich sind allerdings nach Schätzungen der Vereinten Nationen 15 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren, d.h. pro Jahr im Durchschnitt 1,5 Mrd. Die bisherigen Hilfszusagen kommen aus verschiedenen Regionen/Ländern. Aus Europa wurden für das laufende Jahr 486 Mio. Dollar zugesagt, drunter 70 Mio. aus der BRD. Die Bundesregierung will in den nächsten vier Jahren insgesamt 282 Mio. Dollar bereitstellen.
    Interimspräsident sagte auf der Konferenz, es gebe eine klare Vision für ein "wohlhabendes und sicheres Afghanistan". Sein Verteidigungsminister kündigte an, eine Armee mit 250.000 Mann aufzubauen.
    Am 20./21. Januar lieferten sich Anhänger rivalisierender Gruppierungen, die auch der Interimsregierung angehören, im Norden Afghanistans heftige Gefechte, in deren Verlauf mindestens 11 Menschen getötet wurden. Die Kämpfe fanden statt zwischen Anhängern des Ex-Präsidenten Rabbani und des usbekischen Warlord Dostam.
    Drei Fregatten und vier Versorgungsschiffe der Bundesmarine sind inwzischen in den Suezkanal eingelaufen. Zielgebiet ist der Indische Ozean.
  • Am 22. Januar kündigte Verteidigungsminister Scharping die Verlegung von 250 Bundeswehrsoldaten nach Kuwait an. Die speziell für die Bekämpfung von Angriffen mit atomaren, Biologischen und chemischen Waffen ausgebildete Truppe soll sich im Februar an einem Manöver im Rahmen der US-Operation "Enduring Freedom" beteiligen.
    Nach Javier Solana (Koordinator der EU-Außenpolitik), Mary Robinson (UN-Menschenrechtskommissarin) und dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz hat sich auch Außenminister Fischer der Forderung angeschlossen, die USA mögen die Gefangenen auf Guantánamo doch wie Kriegsgefangene behandeln. "Im Kampf gegen den Internationalen Terrorismus verteidigen wir auch unsere Grundwerte", sagte Fischer.
  • Am 23. Januar hat die amerikanische Regierung überraschend die Verlegung von afghanischen Gefangenen auf die Militärbasis Guantánamo Bay vorerst eingestellt. Es müssten erst neue Zellen gebaut werden, bevor weitere Personen dort untergebracht werden könnten, hieß es aus US-Armeekreisen. Die amerikanischen Behörden betonten, die Entscheidung habe nichts mit der internationalen Kritik an den Haftbedingungen auf im sogenannten «Camp X-Ray» auf der Militärbasis zu tun. - Insgesamt sind zur Zeit 158 mutmaßliche Taliban- oder Al-Qaida-Anhänger auf Guantánamo inhaftiert, 270 Gefangene sind noch in Afghanistan.
  • Der Krieg in Afghanistan ist nicht vorbei. Am 24. Januar bombardierten die USA zwei vermutete Al-Qaida-Stützpunkte, wobei zwölf mutmaßliche Terroristen getötet und einige "bedeutende" Terroristen-Führer gefangen genommen wurden. [Nach einer anderen Version sollen in Wirklichkeit unschuldige Dorfbewohner bombardiert worden sein. Es hat wohl tatsächlich Taliban-Kämpfer gegeben in der afghanischen Provinz Urusgan. Nach dem Bericht afghanischer Bewohner der Region haben sie sich einer Abordnung aus dem Dorf Tarin Kot ergeben. Die Dorfbewohner erzählen, nicht die Taliban, sondern sie selbst seien von den US-Soldaten angegriffen worden. Denn vorher habe man erfolgreich mit den Taliban verhandelt und anschließend eine große Ladung Waffen beschlagnahmt. Die Delegation mit den Waffen habe dann auf dem Rückweg in einer in einer islamischen Religionsschule übernachtet. Dort seien sie in der Nacht zum Donnerstag angegriffen worden. Das US-Verteidigungsministerium blieb bei seiner Version: Es habe sich um einen Angriff auf zwei Anwesen der Taliban gehandelt. (Netzeitung, 26.01.2002)]
    Die afghanische Fluggesellschaft "Ariana" nimmt ihren Flugbetrieb wieder auf.
    Die deutsche Fregatte "Bayern" ist im Hafen von Dschibuti eingelaufen; sieben weitere Schiffe werden am 27. Januar erwartet. Flottenadmiral Gottfried Hoch will nun von den US-Generalen erfahren, wie der deutsche Flottenverband im Rahmen von "Enduring Freedom" eingebunden wird. Hoch will nach Manama in Bahrein fliegen, um sich dort die Anweisungen zu holen, meldeten die Zeitungen.
  • Am 25. Januar traf UN-Generalsekretär Kofi Annan in Kabul ein. Es ist der erste Besuch eines UN-Generalsekretärs in Afghanistan seit 40 Jahren. Annan appellierte an die Nachbarländer, sich nicht in die Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. (An dieser Stelle hält der Chronist den Hinweis darauf für angebracht, dass weder die USA, noch Großbritannien, noch Deutschland "Nachbarländer" sind, folglich auch nicht gemeint sein können.)
    UNO-Generalsekretär Annan hat außerdem die Zusammensetzung der unabhängigen Sonderkommission bekannt gegeben. Sie hat die Aufgabe, bis spätestens in fünf Monaten die Mitglieder der Grossen Ratsversammlung (Loya Jirga) auszuwählen.
    Das Pentagon gab bekannt, dass die US-Bodentruppen mindestens noch bis zum Sommer 2002 in Afghanistan bleiben.
  • Am 26. Januar berichtete die "Washington Times", US-Außenminister Colin Powell habe in einem vierseitigen Memorandum US-Präsidenten Bush darum gebeten, seine Haltung zu überdenken und die Genfer Konvention für alle gefangenen Al-Qaida- und Taliban-Kämpfer anzuwenden. Dies wäre ein unüblicher Vorgang in der US-Administration, der auf tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten schließen lässt. Am 28. Januar soll der Nationale Sicherheitsrat der USA über das Thema beraten.
  • Am 27. Januar schreibt die englische Sunday Times, britische Soldaten hätten schon verschiedentlich Hubschrauber-Einsätze in Somalia geflogen, um dort vermutete Terroristen zu jagen.
    Der größte deutsche Marineeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg kann beginnen. Die Kriegsschiffe "Köln" und "Emden" sind gemeinsam mit vier Versorgungsschiffen am Sonntag im Hafen von Dschibuti eingelaufen. Damit ist der Verband vollständig. Die Fregatte "Bayern" war bereits am 24. Januar angekommen.
  • Am 28. Januar stürmten afghanische und US-amerikanische Soldaten ein Krankenhaus in Kandahar, in dem sich sechs mutmaßliche Al-Qaida-Kämpfer verschanzt hatten. Die sechs Araber wurden getötet, fünf afghanische Soldaten trugen Verletzungen davon. - Der Intermimspräsident Karzai rief afghanische Bürger im amerikanischen Exil auf, nach Afghanistan zurück zukehren und am Aufbau des Landes mitzuhelfen.
  • Während sich die Bundesregierung offenbar festgelegt hat, die Führung der UN-Sicherungstruppe ISAF in Afghanistan nicht zu übernehmen, verlautete am 30. Januar aus dem türkischen Außenministerium, dass die Türkei bereit sei, diese Rolle - nach der dreimonatigen Führung durch Großbritannien - zu übernehmen.
  • Am 31. Januar wurden bei Gefechten zwischen rivalisierenden Clans in Ostafghanistan etwa 40 Kämpfer getötet. Soldaten des neu ernannten Gouverneurs der Provinz Paktia, Padscha Khan, kämpften um die Provinzhauptstadt Gardes gegen den Clanführer Saif Ullah, der die Stadt offenbar noch unter Kontrolle hat.
    Die deutsche Marine ist am 31. Januar erstmals von Dschibuti aus zu einem Einsatz ausgelaufen. Berichte der Zeitung "Die Welt", wonach die Bundeswehr auch Truppen in Kenia stationieren werde, sind inzwischen vom Verteidigungsministerium bestätigt worden.


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